Des Kalifats modus operandi und die Außenpolitik der EU

, von  Davide Zurlo, übersetzt von Jagoda Pokryszka

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Des Kalifats modus operandi und die Außenpolitik der EU
Mehr als 240 IS-Militanten umgeben von afghanischen Regierungskräften Fotoquelle: Wikimedia commons / Mirwais Bezhan / Public Domain

Die Entstehung des Islamischen Staates (IS) lassen sich auf zwei Ereignisse zurückführen: den politischen Aufruhr, der zum Niedergang Saddam Husseins 2003 geführt hat und die regionale Instabilität, die durch den Bürgerkrieg in Syrien (2011) ausgelöst worden ist. Das war ein „perfekter Sturm“, wodurch der IS entstanden ist und de facto einen Staat gegründet hat, indem er zum Nachteil von Syrien und dem Irak große Gebiete eingenommen hat. Ende Juni 2014 hat sich Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalif ernannt und damit die alte Institution des Islams – Kalifat – wiederbelebt.

Abu Bakr hat kein Reich, keine Republik ausgerufen. Er hat sich auch zu keinem Präsidenten oder König erkoren. Für diejenigen, die sich nicht so gut mit dem Islam auskennen, mag das ohne Bedeutung scheinen. Nichtdestotrotz bedeutet der Begriff „Kalif“ sowohl die irdische als auch geistliche Autorität, denn der Kalif ist der Herrscher von Umma, der muslimischen Gemeinschaft. Um seine Ansprüche aufrechtzuerhalten muss der IS eine Art von Legitimität erlangen, sodass der Kalif und das Kalifat aus der islamischen Perspektive legitim sind.

LEGITIMITÄT IST ESSENTIELL, UM DIE AUßENPOLITIK DES IS ZU ERKLÄREN

Legitimität ist ein erreichter Zustand, die Konsequenz der Legitimation (Kurtz 1984: 302). Der IS sucht nach der religiösen Legitimität, im Gegensatz zu z.B. Italien oder Großbritannien, deren Legitimität sich von den internationalen Regelungen ableitet. Das erste Konzept benötigt eine Übereinstimmung auf der religiösen Ebene, das andere bezieht sich mehr auf die westliche säkularisierte Diplomatie, die auf der gegenseitigen Anerkennung der Souveränität basiert – die Grundlage der internationalen Gemeinschaft einzelner Staaten. Deswegen ist die Legitimität essentiell, um die außenpolitischen Schritte des IS zu erklären. Aus der Sicht des Islams bedarf die Legitimität der Autorität des Kalifs die Übereinstimmung von Umma. Bisher bleibt die Realität des sogenannten Islamischen Staates bitter, weil seine Ansprüche von der muslimischen Gemeinschaft abgelehnt wurden.

Diplomatie wird gewöhnlich als „eine Antwort auf die Möglichkeit der Gewalt“ (Constantinou 2013: 142) betrachtet; oder latu senso „die Praxis der Beziehungen zwischen Staaten oder den Einheiten mit der politischen Stellung von den offiziellen Vertretern und auf eine friedliche Art und Weise“ (Bull, 1995: 156-7). Zu welchem Ausmaß sollte aber die Haltung des IS diplomatisch betrachtet werden? Vielleicht ist seine außenpolitische Handlung am besten als anti-diplomatisch zu bezeichnen. Der IS meidet die westliche säkularisierte Art der Diplomatie, betrachtet sie als götzendienerisch und wählt den Weg von al-Qutb und al-Faraj. Deshalb hält sich der IS an keine internationalen Verträge, die über diplomatische Immunität sprechen und erkennt kein Kriegsgesetz an. Die Anti-Diplomatie des IS ist darauf ausgerichtet, die muslimische Gemeinschaft von der eigenen Legitimität zu überzeugen und schließt die Benutzung der herkömmlichen – und säkularisierten – Kommunikationswege aus.

Als die Terrororganisation „Rote Brigaden“ ein Foto von dem entführten Aldo Moro (damals einer der einflussreichsten Menschen in der italienischen Regierung) veröffentlich hat, ist es auf den ersten Seiten der 45 wichtigsten Zeitungen weltweit erschienen (Der Derian 1992). Die Roten Brigaden konnten von Zuhause aus weit entfernte Orte erreichen. Das macht heute der IS in globalem Maßstab. Ohne Botschaften oder offizielle Vertreter*innen konnte der IS die Kommunikation durch weniger kontrollierte Kanäle wie TV oder Internet etablieren.

Die Gefahr ist „nicht auf ein Gebiet begrenzt, wie beim konventionellen Krieg, aber temporal; seine Macht stammt von der unmittelbaren Repräsentation und Ausbreitung der Gewalt durch das globale Kommunikationsnetz“ (Der Derian 1992: 116). Amaq [1] und Dabiq [2] haben eine wichtige Rolle in der Ausbreitung von IS-Propaganda im Netz gespielt. Der kluge Umgang mit der Technologie hat es dem IS ermöglicht, die traditionellen Kommunikationskanäle zu vermeiden, wodurch die IS-Diplomatie schnell und weitreichend ist.

RELIGION IN DER AUßENPOLITIK DER EU: EIN VERNACHLÄSSIGTER ASPEKT?

Die Strategie des IS ist eine durchdachte Skrupellosigkeit und Logik. Mainstream-Diplomatie leitet die internationalen Beziehungen mit Hilfe von Verhandlungen (Nicolson, 1950: 15) , aber die Anti-Diplomatie des IS, die die regulären Kommunikationskanäle umgeht und verspottet, wird als die Antithese zum westlichen Konzept der Diplomatie betrachtet, die auf der Mediation zwischen den Staaten beruht. In diesem Fall könnte die EU die Entstehung von dem neuen Abu Bakr und die Gründung des neuen Kalifats vorbeugen, indem sie sich in der Terrorismusbekämpfung engagieren würde. Und zwar durch konkrete Maßnahmen, wie der Förderung der Vertiefung religiöser Kenntnisse ihrer Vertreter*innen, fonctionnaires.

In Februar 2016 wurde von dem Präsidenten der EU-Kommission das Amt des Sonderbeauftragten für die Religionsfreiheit außerhalb der Europäischen Union ins Leben gerufen. Drei Monate später wurde der Posten Jan Figel verliehen. Schon 2013 wurden die EU-Leitlinien zur Förderung und zum Schutz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit angenommen, die die Rahmenbedingungen für das Mandat Jan Figels geschafft haben. Die Leitlinien sind ein wichtiges Mittel zur Unterstützung des Sonderbeauftragten in den Außenbeziehungen der EU und bei der internationalen Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen und Institutionen, der Bürgergesellschaft, Menschenrechtsorganisationen und noch wichtiger den religiösen Führern, könnte dazu beitragen, an der Energie der künftigen Terrorgruppen zu zehren. Außerdem sollte die EU einen pragmatischeren Zugang annehmen, um die Vielfältigkeit der Religionen und interkulturelle und interkonfessionelle Dialoge in der EU selbst und bei ihren südlichen Nachbarn zu fördern. Beschäftigt mit den Folgen der Migration sollte die EU nicht vergessen, dass der Terrorismus lediglich durch die Rhetorik nicht bekämpft wird: konkrete Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Kluft zwischen den Ufern des Mittelmeeres zu füllen.

Referenzen:

  • Bull, Hedley. (1977/1995) The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics. London: Macmillan.
  • Constantinou, Costas M. (2013) Between Statecraft and Humanism: Diplomacy and Its Forms of Knowledge. International Studies Review.
  • Der Derian, J. (1992) Antidiplomacy. Wiley-Blackwell.
  • Kurtz, D. (1984) Strategies of Legitimation and the Aztec State. Ethnology 23: 301-314.
  • Nicolson, Sir Harold George. (1950) Diplomacy. Institute for the Study of Diplomacy.
Schlagwörter
Anmerkungen

[1Die Amaq News-Agentur wurde 2014 gegründet und hat verbindungen zum IS

[2Dabiq war ein Online-Magazin zum Zweck der IS-Propaganda

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