Desinformationen in der EU: Demokratie in Gefahr?

, von  Ida Leinfelder

Desinformationen in der EU: Demokratie in Gefahr?
Die Verbreitung von Falschinformationen. Foto: Elimende Inagella / Unsplash / Lizenz: Unsplash

Fehl- und Desinformationen manipulieren die öffentliche Meinung. Trotzdem sind die Auswirkungen schwer messbar. Warum Desinformationen gefährlich sind und was man gegen sie tun kann erklärt Ida Leinfelder.

„Die Verbreitung sowohl von Desinformation als auch von Fehlinformationen kann eine Reihe schädlicher Folgen haben, wie zum Beispiel die Bedrohung unserer Demokratien, polarisierende Debatten und die Gefahr von Gesundheit, Sicherheit und Umwelt der EU-Bürger“ – Europäische Kommission, 2023.


Wie unterscheiden sich Fehl- von Desinformationen. Foto: treffpunkteuropa.de

Von Desinformationen wird gesprochen, wenn mit der Intention der Täuschung gezielt Unwahrheiten verbreitet werden. Sie werden zur Gefahr, wenn sie durch Manipulation Einfluss auf beispielsweise Wahlentscheidungen nehmen. Fehlinformationen oder Fehlmeldungen sind hingegen Unwahrheiten, die nicht mit der Intention der Täuschung verbreitet werden. Trotzdem sind sie falsch und sollten schnellstmöglich richtiggestellt werden.

Desinformationen im Internet

Durch die Pandemie wurde sichtbar, was schon lange in den Tiefen des Internets steckt: Falschinformationen, Meinungskampagnen, Verschwörungserzählungen, Manipulation. Es zirkulierten zur Covid-19-Impfung viele irreführende Informationen und Narrative. Manche kamen absurd bis lustig daher. Gefährlich waren und sind sie alle. Denn Desinformation hat in einigen Fällen zu Impfverweigerung und damit tödlich geendet.

Andere aktuelle Beispiele sind der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, dessen Online-Diskurs durch kremlfreundliche Fake News und russische Kriegspropaganda begleitet wird. Auch Donald Trump reiht sich ein. Der ehemalige Präsident der USA hält nach wie vor an der erwiesenen Lüge der „gestohlenen Wahl“ fest.

Desinformation und Wahlen

Wahlen sind von Desinformationskampagnen besonders betroffen. Dabei gibt es Narrative, die häufig wiederkehren: So zum Beispiel die Behauptung, falsche Wahlhelfer*innen würden die Stimmauszählung manipulieren oder die Frage, ob die Wahlurnen wirklich sicher verschlossen seien. Möglicherweise könnten die Wahlunterlagen, die sehbeeinträchtigte Menschen benutzen, zur Manipulation verwendet werden. Auch werden Zweifel daran geäußert, ob die Briefwahl tatsächlich sicher sei. Bei altbekannter Desinformation ist es nicht schwer, Wahl-Mythen zu entkräften und im Vorhinein das sogenannte „Pre-Bunking“ zu betreiben. Im internationalen Kontext kann das komplizierter werden.

Karolin Schwarz ist Journalistin und setzt sich unter anderem mit den Themen Verschwörungsideologien, Rechtsextremismus und Faktenchecks auseinander. Im Bürger*innendialog „Informierte Bürger, starke Demokratie! Desinformation vor den Europawahlen 2024“, den die Europa-Union Deutschland am 28. November 2023 organisiert hatte, sagte sie, dass es schwierig sei, den Einfluss von Informationsmanipulation auf Wahlentscheidungen zu messen. Es sei aber erwiesen, dass sich Desinformationskampagnen auf die (De-)mobilisierung von Wähler*innen auswirken.

Internationale Akteur*innen und europäische Wahlen

Eine im November dieses Jahres erschienene Studie zu den Einmischungsversuchen Chinas und Russlands in europäische Wahlen kommt zu dem Ergebnis, dass Informationsmanipulation das am häufigsten genutzte Instrument ist. Auch wenn es in der technischen Umsetzung qualitative Unterschiede gebe, sei die Rolle der aufmerksamen Zivilgesellschaft bei der Aufdeckung unverzichtbar: In fast allen größeren Fällen, über die in Europa berichtet wurde, kamen die Hinweise zunächst von investigativen NGOs, Journalist*innen oder Akademiker*innen. Erst dann wurden Ermittlungen nationaler Regierungen eingeleitet.

Auch wenn Informationsmanipulation häufig mit anderen Arten von Wahlmanipulation (wie Bestechung oder Kandidat*innenfinanzierung) in Zusammenhang stehe, sei eine tiefgehende Untersuchung unbedingt notwendig, so die Studie. Nur so könne umfassend aufgeklärt werden, ob und wie auf Wahlen Einfluss genommen wurde.

Einschätzung der Europäer*innen

Eine repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung, die im August 2023 veröffentlicht wurde, hat sich mit der Einstellung zu Desinformationen in Europa befasst. Dazu wurden im März dieses Jahres rund 13.000 Bürger*innen im Alter von 16 bis 70 Jahren in allen 27 Mitgliedsländern der EU online befragt. Sie ergab, dass über die Hälfte der EU-Bürger*innen (54 %) in den letzten Monaten häufig bis sehr häufig unsicher über den Wahrheitsgehalt von Informationen im Internet waren. 39 % haben Desinformationen bewusst wahrgenommen. Zehn Prozent haben dagegen keine Desinformationen bemerkt. Dabei nehmen jüngere Menschen Desinformationen häufiger wahr und sind gleichzeitig seltener unsicher als ältere Befragte.

Etwas weniger als die Hälfte der Teilnehmer*innen der Studie haben in der letzten Zeit eine Information auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. 22% haben schon einmal einen Account wegen der Verbreitung falscher Informationen gemeldet oder eine*n Nutzer*in durch Kommentare aktiv auf die Verbreitung falscher Nachrichten hingewiesen.

„Gesunder Skeptizismus“

Auch wenn sich viele Menschen unsicher sind, was den Wahrheitsgehalt von Aussagen betrifft, heißt das nicht, dass sie auch gleich aktiv werden. Insgesamt gehen jüngere Menschen und Menschen mit höherer Bildung aktiv gegen Falschbehauptungen vor und informieren andere darüber.

Karolin Schwarz sagte dazu, dass Desinformationen in Form von Videos und Bildern oft aus dem Zusammenhang gerissen seien. Durch eine Google Bildersuche können Mediennutzer*innen nachschauen, wann das Bild zum ersten Mal indexiert wurde, also im Internet aufgetaucht ist. So lässt sich schnell der ursprüngliche Kontext erfahren.

Kian Badrnejad, Redakteur beim dpa-Faktencheck Team und Teil des EUD-Panels, empfiehlt im Bürgerdialog, einen gesunden Skeptizismus an den Tag zu legen und im Zweifel nach verifizierenden Quellen zu recherchieren. Gleichzeitig müsse gerade bei jungen Menschen Medienkompetenz gestärkt werden, sagt Annkatrin Kaiser. Sie ist Programmdirektorin für das Deutschlandprogramm der Lie Detectors „Journalismus macht Schule“ und war ebenfalls Expertin beim Bürgerdialog der Europa-Union Deutschland. Insbesondere in selbstmoderierten, geschlossenen Räumen wie Videospielen komme es sonst schnell zur Verbreitung von Fehl- und Desinformationen.

Die EU ist am Zug

Die Befragten der Bertelsmann-Studie wünschen sich ein aktiveres politisches Vorgehen gegen Desinformationen im Internet. Dabei stehen auch die Plattformbetreiber*innen in der Verantwortung. Auf europäischer Ebene hat die Kommission schon eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, darunter einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Desinformationen und einen Verhaltenskodex für Industrie und Plattformen, der allerdings auf Freiwilligkeit setzt.

Die Bertelsmann-Studie empfiehlt eine systematische Überwachung von Desinformationen, besonders im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz. Außerdem seien Sensibilisierung und Aufklärung der Bevölkerung, Vermittlung von Medien- und Nachrichtenkompetenz für alle Generationen und die Sicherstellung konsequenter und transparenter Inhaltsmoderation auf digitalen Plattformen wichtig.

Auch wenn noch einiges passieren muss, waren sich die Expert*innen des EUD-Bürgerdialog-Panels einig: Desinformationen sind mittlerweile Teil unseres Lebens geworden. Doch wenn wir uns dessen bewusst sind, ist schon viel erreicht.

Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa - Wir müssen reden!“ berichten.

Der Online-Bürgerdialog wurde von der überparteilichen Europa-Union Deutschland e.V. veranstaltet und ist Teil des Bürgerdialogprojekts „Europa in der Welt – Wir müssen reden!“. Die Veranstaltung wurde durch das Auswärtige Amt gefördert und fand in Kooperation mit den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Deutschland und der Union Europäischer Föderalisten (UEF) statt.

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