#1 Außenpolitisches: Digitales Gipfeltreffen zwischen der EU und China
Julia Bernard, Redakteurin mit Schwerpunkt „Europa und die Welt“
Von Klima- und Investitionsabkommen über Menschenrechte bis zum Umgang mit der Corona-Pandemie: Es gab viele schwierige Themen beim digitalen Gipfel zwischen der Europäischen Union und China. Vor den Bildschirmen saßen der chinesische Präsident Xi Jinping, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel und die deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im Auftrag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Ein wichtiges Thema des virtuellen Treffens war die Klimakrise, auch in Vorbereitung auf die Weltklimakonferenz in Glasgow Ende 2021. Bei den Verhandlungen stellte die EU zahlreiche Forderungen. Dabei konnte sie als Einheit auftreten, was von vielen als großer Erfolg gewertet wird. Selbst Mitgliedstaaten, die ein besonderes Verhältnis zu China haben, darunter zum Beispiel Italien, das Teil des chinesischen Infrastrukturprojekts „Neue Seidenstraße“ ist, standen hinter der einheitlichen Front. Nicht erfolgreich war die EU bei dem Versuch, EU-Unternehmen besseren Marktzugang und Investitionsschutz zu sichern.
Mit dem Thema Menschenrechte stand ein besonders sensibles Thema auf der Agenda. Von den Protesten in Hongkong über die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren versuchte die EU, einen Dialog herzustellen. Dabei lies die chinesische Führung die EU abblitzen. Präsident Xi habe damit „nichts am Hut.“ Eines der handfesten Ergebnisse des Gipfels ist ein wirtschaftlicher: Münchner Bierbrauer*innen oder Feta-Bäuer*innen können sich freuen, denn ab Anfang 2021 sind ihre Produkte durch ein neues „Abkommen zum Schutz geografischer Angaben“ geschützt. Konkret bedeutet dies, dass Importeur*innen aus Asien oder den USA ihre „gefälschten“ Produkte in China nicht mehr verkaufen dürfen.
Charles Michel sagte nach der Videokonferenz: „In einigen Bereichen sind wir auf dem richtigen Weg. In anderen muss noch mehr getan werden.“
#2 Scheuer will Trans-Europ-Express wiederbeleben
Florian Bauer, Redakteur mit Schwerpunkt „Wirtschaft“
Es ist eine Überraschung aus dem deutschen Verkehrsministerium: Andreas Scheuer, der bisher vor allem durch eine katastrophal gescheiterte PKW-Maut in Erscheinung getreten ist und nicht gerade als Posterboy der Verkehrswende gilt, hat einen Plan zur Stärkung des europäischen Schienenverkehrs vorgelegt. Bis vor etwa 30 Jahren verbanden luxuriöse Hochgeschwindigkeits- und Nachtzüge die westeuropäischen Großstädte. Diese Vergangenheit soll nun zeitgemäß wiederbelebt werden.
Grenzüberschreitende Bahnverbindungen sollen ausgebaut, Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt und der Deutschlandtakt europäisch integriert werden. Dass Scheuer damit eine grüne Zeitenwende einleutet, ist indes unwahrscheinlich. Hinter dem großen Namen verbergen sich bisher hauptsächlich graduelle Verbesserungen von Infrastruktur, die zudem viele Jahre in Anspruch nehmen werden.
#3 Zögerliche Zeitenwende in der EU-Agrarpolitik
Florian Bauer, Redakteur mit Schwerpunkt „Wirtschaft“
Bei den Verhandlungen zur zukünftigen europäischen Agrarpolitik im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen geht es um rund ein Drittel des EU-Haushaltes. Dieses wird bisher eher mit der Gießkanne als mit effizienter Tropfbewässerung vergeben - gezielte Vorgaben gibt es kaum. Dabei fordern Umweltschützer*innen und inzwischen auch viele EU-Staaten ambitioniertere Klima- und Umweltauflagen.
Die deutsche Agrarministerin Klöckner sprach sich auf dem Agrargipfel im September dafür aus, dass solche Umweltregelungen verpflichtend in allen EU-Ländern gelten und mit einem Mindestbudget ausgestattet werden sollten. Bisher können die Staaten selbst entscheiden, wie viel der Förderung sie an Umweltauflagen koppeln. Allerdings weichte sie die Forderung sogleich wieder auf und schlug eine zweijährige “Lernphase” vor, in der die Regelung de facto noch nicht greift. Eine weitere Verschleppung der dringend benötigten Reform der Agrarpolitik ist somit wahrscheinlich.
#4 Klimapolitik: 55 Prozent-Ziel
Marie Menke, Redakteurin mit Schwerpunkt „Europa erklären“
Mitte September schlug Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, die EU solle sich zum Ziel setzen, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Aktuell liegt das 2030er-Ziel bei 40 Prozent. Ende September stellte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Rede vor dem Bundestag hinter das Ziel. Einige osteuropäische Länder sprachen sich gegen den Vorschlag auf. Finnland, Schweden und Dänemark hingegen argumentierten, dass 55 Prozent ein nötiges Mindestziel seien.
Umweltministerin Svenja Schulze nannte die Erhöhung „eine enorme Herausforderung für manche Mitgliedsstaaten“. Auch Verkehrsminister Andreas Scheuer nannte die Klimaziele „überzogen“ und insbesondere für von der Pandemie stark betroffene Länder problematisch. Befürworter*innen sagen jedoch: Ohne das erhöhte Ziel wird die EU die im Pariser Abkommen festgelegten Klimaziele nicht einhalten können. Mehr E-Autos, bessere Fenster und Heizungen in vielen älteren Häusern, mehr Wald und neue Konzepte für Energie, Agrar und Industrie sind daher nötig.
#5 Asyl- & Migrationspakt: Nur leere Versprechungen?
Moritz Hergl, Redakteur mit Schwerpunkt „EU-Politik“
Nachdem in der Nacht auf den 9. September das Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos komplett abbrannte, rückte die Thematik von Flucht und Migration nach Europa wieder in den medialen Fokus. Die deutsche Bundesregierung entschied sich 1553 Geflüchtete aus den Lagern aufzunehmen, verwies aber auf die Wichtigkeit einer europäischen Lösung. Eine Woche später präsentierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schließlich ein europäisches Migrations- und Asylpaket.
Der neue Pakt sieht die Überwindung des aktuellen Dublin-Systems vor, das die Zuständigkeit dem EU-Mitgliedstaat zuteilt, in dem die erste Einreise des*der Migrant*in stattfand. Künftig könnten die Mitgliedstaaten wählen, ob sie Asylbewerber*innen aufnehmen wollen oder lieber bei der Rückführung und Abschiebung von abgelehnten Asylbewerber*innen helfen wollen. “Mit ihrem neuen Asyl- und Migrationspakt wendet sich die Europäische Union noch weiter von denen ab, die auf Schutz und Teilhabe in Europa hoffen.”, titelte dazu die Frankfurter Rundschau. Generell lesen sich die Vorschläge nicht so als gehe es um Menschenleben: Worte wie „Migrationsmanagementsystem“, „Effektivität“ und „Rückkehrförderung“ dominieren den Vorschlag.
Seit langem steht die (fehlende) Asyl- und Migrationspolitik der EU in der Kritik. Bereits 2016 und 2018 hatte die Kommission legislative Vorschläge für eine gemeinsame europäische Politik eingebracht, doch diese scheiterten immer wieder am Widerstand einiger Mitgliedstaaten. Die Antwort der vier Visegrád-Länder kam sofort: Sie lehnen den Vorschlag ab. Bundesinnenminister Horst Seehofer nannte den Vorschlag dennoch eine „gute Grundlage für Gespräche mit Mitgliedstaaten“. Deutschland setzt sich im Rahmen der aktuellen Ratspräsidentschaft für ein gemeinsames EU-Asylsystem ein, konnte aber noch keine Fortschritte präsentieren. Bisher sind vor allem die Länder erfolgreich, die Migration nach Europa eindämmen möchten. Die “Schaffung eines neuen Gleichgewichts zwischen Verantwortung und Solidarität”, wie der EU-Pakt es betitelt, scheint vorerst eine leere Versprechung zu sein.
#6 Journalist*innen ziehen (negative) Zwischenbilanz
Marie Menke, Redakteurin mit Schwerpunkt „Europa erklären“
Drei Monate Ratspräsidentschaft sind vergangen: Für viele Journalist*innen Zeit für ein erstes Fazit. Die Stimmung ist jedoch gedrückt: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft „verpufft“, titelt die Nordwest-Zeitung; Deutschland laufe „in der EU-Ratspräsidentschaft die Zeit davon“, findet die Augsburger Allgemeine. Als „ohne Glanz und Ideen“ beschreibt das ostbayrische Idowa die deutsche EU-Ratspräsidentschaft; sie „beeindruckt noch nicht“, schreibt der Weser-Kurier.
Die Kritikpunkte klingen jeweils ähnlich: Von den anfangs geäußerten Plänen Deutschlands für die kommenden sechs Monate sei nicht mehr viel übrig. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie und die dadurch nur begrenzt arbeitsfähigen EU-Institutionen tragen dazu bei. Auch macht sie es nötig, dass Fragen wie jene nach dem Recovery Fund Platz gegeben wird, den auch weitere Themen gebraucht hätten. Beispielsweise eine Reform der europäischen Asylpolitik war zwar angekündigt: Bewegt hat sich aber noch nichts.
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