Die Angst vor dem Islam dominiert: Die Flüchtlingskrise in der tschechischen Debatte

, von  Hannah Illing

Die Angst vor dem Islam dominiert: Die Flüchtlingskrise in der tschechischen Debatte
Mitglieder der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Passau besuchen die JEF Czech Republic in Prag. Foto: privat, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Seit Monaten blockiert die tschechische Regierung gemeinsam mit Ungarn, Polen und der Slowakei den Vorschlag der EU-Kommission, ein Quotensystem zur gerechten Verteilung der Flüchtlinge zu etablieren. Man wolle sich von der EU keine Flüchtlinge aufzwingen lassen, heißt es aus der Regierung. Diese ablehnende Haltung wird mit den Terroranschlägen in Paris noch mehr Befürworter finden.

Wer mit Tschechen über die Flüchtlingskrise spricht, tschechische Zeitungen liest oder die Statements tschechischer Politiker verfolgt, dem begegnen immer wieder dieselben Argumente: Es drohe eine „Islamisierung“ der tschechischen Kultur, die Flüchtlinge seien potenzielle Arbeitslose, Unruhestifter – und Terroristen. Auch Tschechiens Präsident Miloš Zeman befeuert die Hetze gegen Flüchtlinge durch seine Reden; kürzlich ließ er verlauten, dass Migranten die Scharia nach Europa bringen würden. Es gibt in Tschechien zudem keine Partei, die sich klar für eine Aufnahme von Migranten ausspricht. Der Deutsche Lutz Bachmann von dem islamfeindlichen Bündnis Pegida ist auf tschechischen Anti-Islam-Demos ein gefragter Redner.

Die Flüchtlingsgegner dominieren die öffentliche Debatte in Tschechien

Hält man sich die Fakten vor Augen ist es auf den ersten Blick überraschend, dass das Thema Migration in Tschechien seit Monaten die öffentliche Debatte dominiert. Von Januar bis September 2015 erhielten gerade einmal 46 Personen Asyl. 1115 Migranten hatten sich im selben Zeitraum um Schutz beworben. Allein die kleine Grenzstadt Passau in Deutschland hat weitaus größere Erfahrung mit Flüchtlingen. Mehr als 100 000 Migranten kamen dort zwischen August und Oktober an.

Das Thema bot sich also auch für Diskussionen im Rahmen eines Austauschwochenendes der JEF Passau und der JEF Czech Republic an. Ehrengast bei der Veranstaltung in Prag war Chalid Bitar, der syrisch-tschechische Wurzeln hat und in Tschechien die „Syrian Free Community“ gegründet hat. Bitar sieht sich als Advokat der Interessen seiner rund 500 Landsleute in Tschechien und bemühte sich auch bereits um eine Kooperation mit der Regierung. „Das war aber leider umsonst - es besteht kein Interesse, oft erhält man nicht einmal eine Antwort. Wir kooperieren also nur mit NGOs und einigen katholischen Kirchen.“

Wie einige Tschechen den Flüchtlingen helfen

Tatsächlich gibt es zwei NGOs, die sich in der tschechischen Republik um die Flüchtlinge kümmern und immer wieder die Zustände in den Internierungslagern kritisieren. Die „Organisation für die Hilfe von Flüchtlingen“ (OPU) bietet zum Beispiel den Menschen in den Lagern kostenlosen Rechtsbeistand. Durchreisende Flüchtlinge werden in Tschechien zwangsinhaftiert. Für jeden Tag im Lager müssen sie dem Staat umgerechnet circa 9 Euro zahlen.

Auch die NGO „People in Need“ unterstützt, zum Beispiel die tschechischen Freiwilligen an der slowenisch-österreichischen Grenze. Rund 150 Tschechen, meist Studenten, versorgen dort zusammen mit jungen Leuten aus anderen EU-Ländern seit Monaten wartende Flüchtlinge mit dem Nötigsten. Sie organisieren sich über Facebook und sind ein gutes Beispiel dafür, dass die tschechische Gesellschaft auch anders kann. Bereits im Mai diesen Jahres plädierten auch tschechische Intellektuelle für die Aufnahme von Flüchtlingen. Mit den Anschlägen von Paris werden sie es nun wieder deutlich schwierig haben, die Bevölkerung mit nüchternen Argumenten von der Aufnahme von Migranten zu überzeugen.

Nur eine europäische Lösung kann die Flüchtlingskrise lösen

Vlad‘ka Jelinková, ehemalige Vorsitzende der JEF Czech Republic und als Parteilose in der Lokalpolitik aktiv, sagte im Rahmen des Austauschwochenendes Anfang November: „Vielleicht wandelt sich die Situation zum Positiven. Ich habe den Eindruck, dass einige tschechische Medien die Migranten mittlerweile auf eine menschlichere Art und Weise porträtieren. Aber damit sich wirklich etwas ändert, bräuchten wir wahrscheinlich einen anderen Innenminister und die Politiker müssten generell andere Reden halten. Sie sollten die Leute ermutigen und ihnen bewusst machen, dass Solidarität auch Teil unserer Kultur ist.“ Ob ein Wandel nach den Anschlägen von Paris noch möglich ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Letztendlich waren sich die JEF-Mitglieder aus Tschechien und Passau einig darin, dass es nur eine Lösung auf europäischer Ebene geben kann. Eike Ahrens, Vorsitzender der JEF Passau, sagte dazu: „Es ist utopisch, dass wenige Länder Europas diese Herausforderung alleine bewältigen. Dies entspricht auch nicht dem europäischen Solidaritätsgedanken. Europa steht daher vor der Wahl: Helfen wir den Flüchtlingen durch eine bessere Verteilung oder überlassen wir sie dem Winter in den Balkanstaaten?“ Ahrens räumte aber ein, dass er trotz der positiven Haltung einiger Tschechen momentan keine Unterstützung von Seiten der tschechischen Regierung erwartet.

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