China dominiert den Technologie-Sektor

„Die EU sollte auf ihre Wettbewerbsvorteile setzen“

, von  Hannah Illing

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„Die EU sollte auf ihre Wettbewerbsvorteile setzen“
„Europa sollte schnell handeln, um seine eigene KI-Zukunft zu gestalten, sodass es Vorteile aus dem Nutzen von KI-Anwendungen ziehen kann, während es die Risiken kontrolliert.“
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Ein wichtiges Thema zu dem sich die neuen EU-Parlamentarier*innen nach der Europawahl im Mai positionieren müssen, ist Künstliche Intelligenz (KI). Deshalb beleuchten wir in einem Themenschwerpunkt die Chancen und Herausforderungen, die diese Technologie mit sich bringt. Eine Frage, die dabei Europa in Atem hält: Werden wir von China überholt?

Heute sprechen wir mit China-Expertin Helena Legarda vom Mercator-Institut für China-Studien (MERICS) über die Fortschritte der Volksrepublik bei KI und wie Europa darauf reagieren sollte. Helena Legarda hat in Oxford und Harvard China-Studien und Public Policy studiert; sie hat zudem für die Delegation der Europäischen Union in China gearbeitet. Im Interview warnt Helena Legarda, dass Europa schnell handeln muss, wenn es seine KI-Zukunft selbst gestalten will.

Treffpunkt Europa: Vor kurzem haben Sie und Ihre Co-Autorin Meia Nouwens einen Bericht zu Chinas Dominanz im Technologie-Sektor veröffentlicht. Darin schreiben Sie, dass China Europa in der Entwicklung von KI-Technologien überholen wird. Sollte das die europäischen Bürger*innen beunruhigen und wenn ja, wieso?

Helena Legarda: China will bis 2030 Weltführer in KI werden und agiert sehr schnell, um sein Ziel zu erreichen. Chinesische Firmen haben 2017 zum Beispiel 48% der weltweiten KI-Start-Up-Förderungen erhalten und Chinas KI-Industrie hat zwischen 2013 und 2018 60% der globalen Fördermittel in dem Bereich angezogen. Wegen des einfachen Zugangs zu riesigen Datenmengen verfügen chinesische F&E-Zentren und Firmen außerdem über eine Goldmine an Ressourcen, um ihre Technologien weiter zu entwickeln. In der Folge holt China Europas KI-Fähigkeiten rapide ein - oder überholt es sogar.

Wegen der erheblichen Auswirkungen, die KI für die Zukunft unserer Volkswirtschaften und Gesellschaften haben wird, ist es definitiv im Interesse Europas, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Die Anwendungen von KI können äußerst nützlich sein, aber sie werfen auch Fragen auf. Europa sollte also schnell handeln, um seine eigene KI-Zukunft zu gestalten, sodass es Vorteile aus dem Nutzen von KI-Anwendungen ziehen kann, während es die Risiken kontrolliert.

Über die Bedeutung von KI für das künftige Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und als Jobmotor für die EU herrscht ein allgemeiner Konsens. Zugleich könnte in Zukunft etwa die Hälfte der Tätigkeiten, die momentan von Arbeitnehmer*innen in der EU ausgeführt werden, automatisiert werden. Das hätte massive Auswirkungen auf die europäischen Arbeitsmärkte. Die chinesische Regierung ist zudem darauf bedacht, die Normen rund um die Anwendung dieser Technologie zu setzen, auch für die ethischen und sozialen Aspekte der KI-Entwicklung. Darunter fallen auch Datenschutz, Transparenz und Haftung - alles Themen, die die meisten europäischen Bürger*innen und politischen Entscheidungsträger*innen betreffen und bei denen Chinas Herangehensweise oft europäischen widerspricht. Es ist auch wichtig zu bedenken, dass KI eine Dual-Use-Technologie is, also für zivile und militärische Zwecke genutzt werden kann. KI könnte daher auch Einfluss auf die künftige Kriegsführung haben und darauf, wie sich Chinas militärische Fähigkeiten sich im Vergleich zu denen Europas oder der USA entwickeln.

Gibt es bei anderen Technologien ähnliche Entwicklungen?

Dank seines regierungsweiten Ansatzes im Hinblick auf Innovation und weil es auf der europäischen Seite keine starken, koordinierten Strategien gibt, um die eigenen Industrien und Innovationen zu schützen, hat China sehr schnelle Fortschritte in einer Reihe anderer fortgeschrittener Dual-Use-Technologien gemacht und Europa in manchen Bereichen bereits überholt. Zum Beispiel konnte China eine starke Drohnen-Industrie entwickeln, die inzwischen das untere Ende des internationalen Markts besetzt. Die USA dagegen dominieren immer noch das obere Marktsegment ein und Europa kauft amerikanische Produkte. Außerdem wird Chinas Satellitennavigationssystem Beiduo sehr bald das Galileo-System der EU in Reichweite und Funktionalität überholen. Chinesische Fortschritte in der Quantenforschung sind zudem bemerkenswert.

Es gibt einige Beispiele für M&As zwischen chinesischen und europäischen Firmen, eines davon die Übernahme der deutschen Robotik-Firma „Kuka“. Suchen chinesische Firmen aktiv Zugang zu europäischen Technologien?

Europa ist eines von Chinas Hauptzielen, wenn es darum geht, fortgeschrittene Technologien, Schlüsselkomponenten und Know-How zu erlangen, mit denen es seine eigene Entwicklung im Bereich Dual-Use-Technologien vorantreiben will. Peking nutzt verschiedene Methoden, um Zugang zu europäischen Technologien zu erhalten. Dazu zählen Investitionen in europäische Firmen, Forschungszusammenarbeit, Cyber-Spionage und das Anwerben von europäischen Talenten. Während einige von Pekings Methoden, etwa Spionage, illegal sind, sind viele andere vollkommen legal. Dass es in keine koordinierte europäische Politik zum Schutz der eigenen Industrie und Forschung gibt, macht es für China leichter, Europa als sein nächstes „technologisches Sparschwein“ zu nutzen.

Was wären gute Strategien, um die europäische Industrie zu schützen?

China hat einen klaren Vorteil bei seiner technologischen Aufholjagd: Das Ein-Parteien-System erlaubt es Peking, einen regierungsweiten Ansatz zu verfolgen, um die technologische Lücke zum Westen in Bereichen wie KI zu schließen. Das ist ein Modell, das Europa nicht einfach kopieren kann - und auch nicht sollte.

Das ist jedoch kein Nullsummen-Spiel. Chinas Fortschritte sollten die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten nicht davon abhalten, in die Entwicklung ihrer eigenen Dual-Use-Technologien zu investieren - inklusive KI. Um die Innovation in diesen Bereichen zu fördern, sollten die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf ihre eigenen Wettbewerbsvorteile setzen. Dazu zählen zum Beispiel ein sehr gut ausgebildeter Nachwuchs, innovative Unternehmen, ein Wettbewerbsvorteil im Ingenieurswesen und bei der Produktion von High-Tech-Komponenten, aber auch bereits vorhandene Finanzierungsmöglichkeiten und Initiativen zur Innovationsförderung.

Die EU hat bereits Maßnahmen ergriffen, um die europäische Industrie und Innovationen zu schützen. Der vor kurzem verabschiedete Prüfmechanismus für Investitionen ist dafür ein gutes Beispiel. Andere Maßnahmen, die in Betracht gezogen werden könnten, beinhalten die stärkere Regulierung von Exportkontrollen, die Verbesserung von Cyber-Verteidigung - insbesondere für kleinere Firmen und Forschungsinstitute - und die Entwicklung eines differenzierteren Ansatzes bei Forschungskooperationen mit chinesischen Partnern.

Helena Legarda ist Forscherin am Mercator-Institut für China-Studien (MERICS) in Berlin. MERICS ist der größte Think-Tank in Europa mit Fokus auf China. Helena Legardas Schwerpunkt ist chinesische Außen- und Sicherheitspolitik. Am MERICS betreut Helena Legarda unter anderem das China Security Project.

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