Eine Debatte ohne Verstand
Wenn es so etwas wie einen roten Faden gibt, der sich durch die Debatte zur Flüchtlingsthematik zieht, dann ist dies die Abwesenheit der nüchternen Ratio. Die Diskussion ist emotional aufgeladen, polarisiert zwischen den Polen der fremdenfeindlichen Ängste und des kompromisslosen Mitgefühls. Im postsozialistischen Osten Europas, wozu auch der Osten Deutschlands gehört, dominiert die Angst, wobei auch im Westen Länder wie Großbritannien klar auf Abschottung setzen. Erst als die Bilder des toten ertrunkenen Flüchtlingsjungen, Aylan Kurdi in vielen britischen Zeitungen zu sehen waren, reagierte David Cameron – zumindest ein wenig.
Es ist schwer im Angesicht solcher tagtäglichen schweren menschlichen Tragödien sein Herz verstummen zu lassen, damit man den Verstand einschalten kann. Aber letzteres ist absolut notwendig, um zukünftige Tragödien zu verhindern. Denn im Endeffekt werden es nicht Bekundungen des Mitgefühls sein, die Menschenleben retten, sondern klare Kommunikation und das Durchsetzen einer strengen Ordnung, die von allen Beteiligten verstanden und akzeptiert werden kann. Außerdem müssen wir uns unbequemen Wahrheiten stellen.
1. Deutschland schafft es nicht (allein)
Angela Merkel hat sich mit der Flüchtlingskrise verhoben. Darunter leiden müssen die Bundesbürger, besonders die freiwilligen Helfer unter ihnen, aber vor allem die Flüchtlinge selbst. Bei winterlichen Temperaturen müssen Menschen in Zelten schlafen, es fehlen Kapazitäten und der Flüchtlingsstrom bricht nicht ab. Es mag sein, dass das Grundgesetz keine Obergrenze für Asylsuchende kennt, aber die Realität interessiert sich nicht für das Grundgesetz. De Facto gibt es eine Obergrenze und sie wird erreicht, wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, Schutzsuchenden ein menschenwürdiges Leben zu bieten.
Es wird Zeit öffentlich einzugestehen, dass man sich überschätzt hat. Die bisherige Kommunikationsstrategie der Stärke funktioniert nicht mehr, da die Wahrheit zu offensichtlich wurde. Die Bundesregierung muss ehrlich als demütiger Bittsteller in Brüssel auftreten und aufhören, sich als moralische Instanz zu präsentieren, der doch gefälligst alle zu folgen hätten. Die Überforderung der Bundesrepublik muss kommuniziert werden, in einer öffentlichen Art und Weise, auch damit die Flüchtlinge, die weiterhin nach Deutschland streben beginnen zu verstehen, dass Deutschland nicht das Land ist, das sie erwarten. Wenn sie verstehen, welche Zustände in Deutschland herrschen, werden sie sich auch leichter innerhalb Europas verteilen lassen.
2. Wir brauchen die Verteilung
Was in der Bundesrepublik selbstverständlich ist - die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel - ist in Europa ein Politikum. Freiheiten, die für EU-Bürger gelten, wie die freie Wahl des Wohnungs- und Arbeitsortes, gelten nicht für Flüchtlinge.
Die Ost-West-Spaltung Europas und die Zerstrittenheit der Nationalstaaten machen eine EU-weite Verteilung der Flüchtlinge zu einem schwierigen Unterfangen. Wir müssen uns vom Gedanken lösen, dass wir einen Konsens zwischen allen europäiscchen Staaten herstellen können. Nicht der zerstrittene Europäische Rat der Nationen wird eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise hervorbringen, das vermag nur die Kommission oder das Europaparlament – denn sie sind Organe, die nicht von nationalen Egoismen dominiert werden. In Osteuropa wird man sich entscheiden müssen, ob die ethnische und religiöse Homogenität der Nation wirklich wichtiger sind als wirtschaftliche Prosperität oder eine starke europäische Gemeinschaft, auch im Hinblick eines zunehmend aggressiver auftretenden Russlands.
3. Wir brauchen einheitliche Asyl- und Sozialstandards
Egal in welche Mitgliedsstaaten Flüchtlinge in Zukunft verteilt werden, sie müssen vergleichbare Lebensbedingungen vorfinden. Außerdem müssen die Asylkriterien europaweit vereinheitlicht werden. Für Deutschland bedeutet das eine Verschärfung des Asylrechts und eine Reduzierung der Leistungen. Man kann von ärmeren Ländern wie der Slowakei oder Bulgarien nicht verlangen, den Flüchtlingen Unterstützungen in Höhe von Hartz-IV-Sätzen zu bezahlen, die weit über den dortigen Durchschnittslöhnen liegen. Sinnvoller wäre hier ein Ausweichen auf europaweit vergleichbare Sachleistungen wie eine Unterkunft und Nahrungsmittel.
Auch muss die unsoziale Austeritätspolitik in Europa beendet werden. Man kann von Ländern wie Griechenland nicht verlangen, den Sozialstaat für die eigene Bevölkerung zu demontieren, aber für Flüchtlinge ein Leistungsniveau bereit zu stellen, wie es aktuell in Deutschland besteht. Wer Europapolitik so betreibt, liefert rechten Parteien Argumente und sollte sich über Wahlerfolge von Neonazis und rechten Gruppierungen in Europa nicht wundern.
4. Der Schengen-Grenzschutz muss kommen
Das Dublin-Abkommen ist tot. Das ist gut, denn die Idee den Grenzschutz und die Flüchtlingsproblematik auf die Peripheriestaaten abzuwälzen war von Anfang an unsolidarisch und uneuropäisch. Die in Zukunft nötige Verteilung der Flüchtlinge erfordert ein Umdenken. Als Begründung für die Wiedereinführung der Grenzkontrollen auf der Balkanroute und das Chaos, das sie produzierten, wurde in der Vergangenheit das Chaos an den Schengenaußengrenzen angeführt. Dieses Chaos muss durch eine strenge Ordnung ersetzt werden. Das Budget und Personal von Frontex muss mindestens verzehnfacht werden, so dass ein wirklicher europäischer Bundesgrenzschutz entsteht, der illegale Einreise und Schlepperkriminalität unterbindet und gleichzeitig dabei Menschenleben rettet. In Kombination müssen Rückführungsabkommen mit den nordafrikanischen Ländern und der Türkei geschlossen werden und Europa muss eine aktive stabilisierende, demokratiefördernde Nachbarschaftspolitik im arabischen Raum verfolgen. Auch hierfür sind viel mehr Geld und vielleicht militärisches Engagement nötig.
Gleichzeitig müssen wir den Asylsuchenden aber eine legale Alternative zur gefährlichen illegalen Einreise ermöglichen. Alexis Tsipras forderte, Registrierungszentren nicht in Griechenland sondern bereits in der Türkei einzurichten. Innerhalb dieser Hotspots, die zum Beispiel auch in den nordafrikanischen Enklaven Spaniens eingerichtet werden könnten, könnten Asylverfahren direkt bearbeitet werden. Wenn ein Asylverfahren positiv verlaufen ist, könnte man den Flüchtlingen eine legale Ein- und Weiterreise über Fährverbindungen, Busse und Züge erlauben. Kombiniert man dieses Verfahren mit speziellen Schengen-Flüchtlingsvisa, könnten Schutzsuchende ohne das derzeitige Grenzchaos über Landesgrenzen hinweg an den ihnen zugeteilten Wohnort in Europa reisen.
In der Flüchtlingskrise muss es Europa gelingen über den Weg der Ordnung menschenwürdige Zustände wiederherzustellen. Dies werden wir Europäer nur als Gemeinschaft meistern. Wer etwas anderes behauptet und nach nationalen Alleingängen schreit, der hat diese Krise nicht verstanden.
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