Brexit

Die Internal Market Bill und der Brexit – Fragen und Antworten

, von  Kristin Helgert

Die Internal Market Bill und der Brexit – Fragen und Antworten
Die Internal Market Bill beherrscht seit Anfang September 2020 die Diskussion um den Brexit Fotoquelle: Unsplash / Christian Lue / Unsplash Lizenz

Die Internal Market Bill beherrscht seit Anfang September 2020 die Diskussion um den Brexit, wie kaum ein anderes Thema zuvor. In Schottland spricht man von einem „Powergrab“, während in der EU wieder einmal große Sorge herrscht, ob man in den Verhandlungen mit der Regierung in Westminster einen Schritt zurück gemacht hat. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Internal Market Bill im Überblick.

Was ist die Internal Market Bill?

Bei der „Internal Market Bill“ handelt es sich um ein Gesetz, das am 9. September 2020 erstmals veröffentlicht wurde. Das primäre Ziel des Gesetzes ist es, den Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs nach dem Austritt aus der EU zu regeln und einen ungehinderten Fluss von Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen. Dafür sollen im gesamten Vereinigten Königreich zwei Schlüsselprinzipien zum Tragen kommen: die gegenseitige Anerkennung und Gleichbehandlung. Diese Gegenseitige Anerkennung bedeutet, dass Waren und Dienstleistungen, die in einem Teil des Vereinigten Königreichs erlaubt sind, auch in anderen Teilen erlaubt sein müssen. Das Prinzip der Gleichbehandlung besagt, dass die regionalen Parlamente der Landesteile keine Gesetze erlassen können, die lokale Produkte und Dienstleistungen bevorzugen. Kontrolliert werden soll das Gesetz von der „Competition and Market Authority“, welche direkt der Regierung in Westminster untersteht.

Das Gesetz ist aus verschiedenen Gründen sowohl innerhalb des Vereinigten Königreichs als auch international stark umstritten.

Warum will Westminster dieses Gesetz?

Nachdem der freie Fluss von Waren und Dienstleistungen ebenso wie Qualitätsstandards bisher von der EU geregelt und kontrolliert werden, braucht das Vereinigte Königreich ab 31. Dezember 2020 einheitliche Regeln. Außerdem, so Vize-Premierminister Micheal Gove, wird das Gesetz benötigt, um die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs weiterhin zu gewährleisten. Ähnlich äußerte sich Boris Johnson in einem Interview, als er darauf hinwies, dass die Internal Market Bill absolut notwendig sei. Ohne sie, so Johnson, könnte die EU das Vereinigte Königreich zunehmend zerstückeln, unter anderem durch die Grenze in der Irischen See. Ein weiteres Argument der britischen Regierung ist, dass die EU versuchen würde, den Import von Nahrungsmitteln nach Nordirland zu unterbinden.

Was macht sie zur großen Kontroverse in den Brexit-Verhandlungen?

Als die Internal Market Bill Anfang September erstmals veröffentlicht wurde, regte sich nicht nur von der EU, sondern auch innerhalb des Vereinigten Königreichs schnell vehementer Widerstand. Selbst Abgeordnete der konservativen Regierungspartei sprachen sich aus verschiedenen Gründen gegen die Internal Market Bill aus. Zu den wichtigsten Streitpunkten gehören: „Die Internal Market Bill als Powergrab und Untergrabung der regionalen Parlamente“

Dieses Argument wird besonders vehement von den schottischen Abgeordneten und der schottischen Ersten Ministerin Nicola Sturgeon vertreten. Viele der Politikbereiche, die zuvor von der EU reguliert wurden, sollten jetzt eigentlich in der Verantwortung der regionalen Parlamente in Belfast, Edinburgh und Cardiff liegen. Das neue Gesetz besagt jedoch ausdrücklich, dass es die Gesetze zur Etablierung der Regionalparlamente in 1998 und 2006 verändert und so die legislative Macht dieser Parlamente beschneidet. Nach dem Prinzip der „Devolution“ liegen die Kompetenzen in den Bereichen wie der Agrar-, Umwelt- und Gesundheitspolitik bei den regionalen Parlamenten. Nach der Internal Market Bill besteht nicht mehr die Notwendigkeit die regionalen Regierungen zu Rate zu ziehen. Konkret beeinflusst das den Politikbetrieb in Schottland, Nordirland und Wales vor allem dadurch, dass es die alleinige Entscheidungsmacht an Westminster abgibt. So wäre es zum Beispiel für Schottland nicht möglich, höhere Qualitätsstandards für Lebensmittel in Schottland selbst einzuführen, da diese durch die Internal Market Bill nicht mehr gültig wären.

Die schottische Regierung hat sich deshalb im Oktober gegen das Gesetz ausgesprochen und ruft dazu auf, das Gesetz zurückzuziehen. Grund dafür sei, dass Westminster sich nicht in Politikbereiche der dezentralen Regierungen einmischen sollte.

Die Reaktion aus Wales fiel hingegen weniger ablehnend aus. Hier ist man eher bereit sich hinter einen gemeinsamen Binnenmarkt zu stellen, es gibt aber auch Bedenken, dass das Gesetz zu weit geht.

Die Regierung in Belfast hat auf Grund der unterschiedlichen Auffassungen von Unionist*innen und Nationalist*innen keine gemeinsame Haltung. Die Erste Ministerin Arlene Foster als Unionistin sprach sich vor allem dafür aus, dass das Gesetz Nordirland einen gleichberechtigten Zugang zum Markt gewährleisten könnte. Die Nationalistin Michelle O’Neill auf der anderen Seite argumentierte, dass die zentrale Regierung sich nicht um Nordirland kümmere und hob auch den zweiten Streitpunkt in der Diskussion um die Internal Market Bill hervor: Die Internal Market Bill bricht absichtlich internationales Recht. Das Parlament in Belfast hat sich in einer Abstimmung gegen die Internal Market Bill ausgesprochen.

„Das Gesetz bricht internationales Recht“

Dieses Argument bezieht sich, wie so viele Diskussionen in der Brexit-Debatte, vor allem auf die Situation in Nordirland. Konkret bricht die neue Internal Market Bill das im Februar 2020 in Kraft getretene Austrittsabkommen– vor allem das Protokoll zu Irland und Nordirland. Der Minister für Nordirland Brandon Lewis gab offen zu, dass internationales Recht in einem gewissen Rahmen gebrochen werde.

Nach langen Verhandlungen wurde im Austrittsabkommen festgehalten, dass ab dem 1. Januar 2021 eine externe Grenze in der Irischen See bestehen soll. Dies dient vor allem dazu, eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland zu verhindern. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU ist man sich einig, dass auf Grund des Nordirlandkonfliktes und der andauernden Spannung eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden muss. Die Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass Nordirland de facto ein Teil des Europäischen Binnenmarktes bleibt und deshalb Waren und Dienstleistungen weiterhin den Gesetzen und Standards der EU entsprechen müssen. Dadurch hat Nordirland die Möglichkeit weiterhin Handel mit Irland zu betreiben. Gleichzeitig müssen Waren, die aus dem restlichen Vereinigten Königreich nach Nordirland transportiert werden, den EU-Standards entsprechen. Dieser Handel würde vor allem dann einfach ablaufen, wenn das Vereinigte Königreich sich weiterhin eng an die Vorgaben der EU halten würde. Gleichzeitig stellt die EU in dem Austrittsabkommen fest, dass dieses nicht verhindern soll, dass Waren von Nordirland in den Rest des Vereinigten Königreiches gelangen sollen.

Teil 5 der Internal Market Bill setzt sich mit dem Protokoll zu Nordirland und Irland auseinander. Besonders umstritten ist Artikel 45, der besagt, dass alle Rechte, Einschränkungen und Prozesse, welche im Austrittsabkommen festgelegt wurden, nicht mehr rechtlich gelten, sollten sie nicht mit der Internal Market Bill übereinstimmen. Das bedeutet, Westminster stellt das eigene Gesetz über den international bindenden Vertrag. Gleichzeitig gefährdet es den hart erkämpften Kompromiss zur Grenze in Irland.

Was hat der Nordirland-Konflikt mit der Internal Market Bill zu tun?

Wer die langwierigen Diskussionen zum Brexit einige Zeit verfolgt, bemerkt schnell einen häufig wiederkehrenden Streitpunkt: die Grenze zwischen Irland und Nordirland. Der Nordirlandkonflikt wurde nach Jahrzehnten der Gewalt Ende der 90er Jahre mit dem Karfreitagsabkommen weitestgehend beendet. Wichtig ist, dass das Karfreitagsabkommen nicht nur den internen Frieden in Nordirland beschließt, sondern außerdem die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Belfast, Dublin und Westminster regelt. Dieses komplizierte Geflecht an Beziehungen ist notwendig, um weiterhin einen Frieden in Nordirland zu erhalten. Ein weiterer Punkt des Karfreitagsabkommens war der Abzug der Sicherheitskontrollen an der irischen Grenze, was zu einer vollkommen offenen Grenze führte - ein Zustand der, so der Konsens, erhalten werden muss. Es ist allgemein anerkannt, dass die Grenze einer der größten Streitpunkte während der „Troubles“ war und gleichzeitig die offene Grenze einen großen Anteil am relativen Frieden nach 1998 hatte.

Das bedeutet: Die Internal Market Bill verstößt nicht nur gegen das Austrittsabkommen, sondern untergräbt gleichzeitig das Vertrauen zwischen den Unterzeichner*innen des Karfreitagsabkommens. Da der Friedensvertrag vor allem auf Kooperation und Vertrauen basiert, ist kaum absehbar, wie sehr die Beziehungen zwischen Belfast, Dublin und Westminster darunter leiden werden. Die Möglichkeit einer harten Grenze sorgte bereits seit 2016 immer wieder für Spannungen und Unsicherheit auf der irischen Insel.

Wie sind die Reaktionen aus dem Ausland?

Nicht nur innerhalb des Vereinigten Königreichs sorgte die Internal Market Bill für Diskussionen, auch aus dem Ausland kam es zu starken Gegenreaktionen.

Der Vizepräsident der EU-Kommission Šefčovič bat nach der Veröffentlichung des Gesetzes um ein Treffen mit Michael Gove, dem Vize Premierminister des Vereinigten Königreiches. In einem Statement der Kommission wird hervorgehoben, dass es sich bei dem Austrittsabkommen um einen rechtlich bindenden Vertrag handelt. Ein Bruch dieses Vertrages würde nicht nur das gegenseitige Vertrauen untergraben, sondern auch zukünftige Verhandlungen erschweren. Außerdem betonte die Kommission erneut, dass die Internal Market Bill das Karfreitagsabkommen bricht und verlangte, dass der Gesetzentwurf so schnell wie möglich zurückgezogen wird. Šefčovič ergänzte, dass das Vereinigte Königreich mit diesem Gesetz die Beziehung zur EU stark beschädigt hat.

Der irische Außenminister Coveney teilt die Einschätzung der EU und betonte, dass die Internal Market Bill vor allem Zeit verschwende. Das Gesetz sei problematisch und illegal, was, so Coveney, vor allem in der nordirischen Gesellschaft zu Unsicherheit und Spannungen führen wird.

Auch die USA teilen in weiten Teilen die Einschätzung der EU, trotz der traditionell besonderen Beziehung zum Vereinigten Königreich. Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, sagte in einem Statement, dass kein Handelsabkommen zwischen dem UK und den USA Zustimmung im Kongress erhält, wenn das Vereinigte Königreich, das Austritts- oder das Karfreitagsabkommen brechen sollte. Historisch sehen sich die Amerikaner, unabhängig ihrer Parteipräferenz, als wichtiger Teil des Friedensprozesses in Nordirland und halten vehement am Karfreitagsabkommen fest. Vor allem Bill Clinton hatte in den 1990ern eine bedeutende Rolle in der Verabschiedung des Karfreitagsabkommens, was die amerikanische Sicht auf das Vereinigte Königreich geprägt hat. Auch die irische Diaspora, bis zu 10% der amerikanischen Bürger*innen geben an, irische Vorfahren zu haben, gibt Irland und der irischen Regierung signifikanten Einfluss in Washington.

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