Die Macht über Europas Haushalt

, von  Ella Witzke

Die Macht über Europas Haushalt
Der Vorschlag der Kommission zum mehrjährigen Finanzrahmen trifft nicht überall in Europa auf Begeisterung. Pixabay | Foto von Jai79 | Pixabay-License

„Europa muss auch die Sprache der Macht lernen“, so definierte die aktuelle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im vergangenen Herbst, die Notwendigkeit des Behauptens Europas auf wirtschaftlicher und außenpolitischer Ebene. Und da Geld ja bekanntlich Macht ist, könnte die Lösung in einem strukturierten und sinnvoll eingesetzten mehrjährigen EU-Haushalt liegen. Dieser wurde für den Zeitraum 2021-27 von der EU-Kommission bereits auf den Weg gebracht. Über den Vorschlag, der vom Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel überarbeitet wurde, streiten seit Februar die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, bisher ohne Erfolg.

Worum ging es?

Bei dem Treffen im Februar in Brüssel sollte der Europäische Rat, das Gremium der 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, über den siebenjährigen Haushaltsplan beraten. Dabei entscheiden die 27 Mitglieder über die verschiedenen Aufgabenbereiche, die unterstützt werden sollen und legen die jährliche Grenze der Ausgaben fest. Uneinigkeit herrschte vor allem über die Höhe der Abgabe des Bruttonationaleinkommens (BNE), welche jedes Mitgliedsland für den Haushalt bereitstellen muss.

Das Problem

Bis zum Brexit war Großbritannien der zweitgrößte Nettozahler der Union. Darunter ist zu verstehen, dass ein Land mehr in den EU-Haushalt einzahlt als es aus dem gemeinsamen Topf erhält. Ähnliches geschieht in Deutschland durch den Länderfinanzausgleich auch auf nationaler Ebene. Die Nettozahler-Debatte ist uns in Deutschland also auch gar nicht so fremd. Die finanzielle Umverteilung der Gelder der unterschiedlichen Regionen hat es zum Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse innerhalb des Landes zu garantieren beziehungsweise Investitionen in schwächeren Gebieten zu tätigen. Um den Beitrag des Vereinigen Königreiches, der sich laut „Tagesspiegel“ auf rund 75 Milliarden Euro belief, aufzufangen, sah die Kommission in ihrem vorgelegten Plan eine Abgabe von 1,11 Prozent des BNE vor. Das heißt, dass jedes Land 1,11 Prozent des eigenen BNE hätte zahlen müssen. Dagegen sprachen sich die sogenannten „Frugal Four“, die „sparsamen Vier“, aus. Die Gruppe, bestehend aus den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Österreich, gehört zu den Nettozahlern der EU und verlangt, die Grenze von 1,0% nicht zu überschreiten. Deutschland, welches der größte Nettozahler ist und laut EU-Kommission im Jahr 2018 13,4 Milliarden Euro in den EU-Haushalt mehr einzahlte als es herausbekam, gehört zwar nicht zu den vier Hardlinern, teilt aber ihre Meinung. Die Bundesregierung verlangt deshalb, dass die Null als erste Nachkommastelle stehen bleibt.

Auf der anderen Seite stehen die 17 Nettoempfänger der EU, also fast zwei Drittel der Union. Sie erhalten aus dem Kohäsionsfond finanzielle Hilfen für ärmere Regionen, was zu einem wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten führen soll. 15 von ihnen, darunter viele osteuropäische Staaten, aber auch Spanien, Portugal, und Malta, hatten sich bereits im Vorfeld getroffen, um durch eine gemeinsame Absprache mehr Einfluss in den Verhandlungen nehmen zu können. Zu den größten Profiteuren, so führt die Statistik der EU-Kommission fort, gehören vor allem Polen, die 12,3 Milliarden Euro mehr erhielten, als sie einzahlten, gefolgt von Ungarn mit 5,2 Milliarden Euro und Griechenland mit 3,3 Milliarden Euro. Kaum überraschend also, dass Ungarns anti-europäisch eingestellter Präsident Viktor Orban eine Abgabe von 1,3% forderte, um Kürzungen der Strukturhilfen zu verhindern.

Die Wichtigkeit des BNEs

Die Abgabe des Bruttonationaleinkommens ist das wichtigste Standbein des EU-Haushaltes. Natürlich gibt es noch andere Einnahmequellen, zum Beispiel durch Zölle oder Kartellstrafen, jedoch brachten diese Quellen laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nur etwa 12,8 Prozent der Einnahmen im Zeitraum zwischen 2004 und 2017. Und auch der erhobene Prozentsatz auf die Mehrwertsteuer deckt gerade mal 12,6 Prozent, führt die bpb fort. Im Gegensatz dazu betrug der Anteil des BNE am EU-Haushalt im Jahre 2017 56,6 Prozent. Dabei lag der Abgabenanteil der Mitgliedsstaaten gerade mal bei 0,96 Prozent, also noch unter der Forderung der „frugal four“. Zu wissen, woher das Geld für den EU-Haushalt stammt, ist von enormer Wichtigkeit, da es der EU laut ihrer Verträge untersagt ist, eigene Schulden aufzunehmen. Sie finanziert sich lediglich aus dem, was die Nationalstaaten ihr zugestehen. Auf der anderen Seite bezeichnet der ehemalige Kommissar aus Deutschland Günther Oettinger die Diskussion über die Höhe der Abgabe als „zunehmend sinnentleert“. Er argumentiert mit den Vorteilen des europäischen Binnenmarktes, der beispielsweise durch Auslandsarbeit und freien Waren- und Güterverkehr einen enormen Beitrag zu der jeweiligen nationalen Wirtschaft beisteuert. Demnach könnte man die Vorteile des Binnenmarktes kaum bemessen, ein simples Gegenrechnen von Ein- und Auszahlungen, mehr sei die Nettozahler-Debatte nicht, würde den wahren Wert der EU nicht adäquat bemessen. Somit könnten höhere Abgaben, die zwangsläufig höhere Investitionen bedeuten, auch für die Nettozahler von Vorteil sein. Denn die profitierenden Länder erhielten dadurch die Möglichkeit ihre Wirtschaft anzukurbeln und würden langfristig die EU auf unions- und außenpolitischer Ebene stärken.

Neue Einnahmequellen?

Immer wieder werden neue Einnahmequellen für die EU diskutiert. Aktuell schlagen sowohl die Kommission als auch Charles Michel Steuern auf Plastikmüll vor. Michel könnte sich außerdem vorstellen, in den nächsten Jahren eine Digitalsteuer und eine CO2-Abgabe einzuführen. Der aktuelle Betrag der der Kommission im Zeitraum von 2021-27 zur Verfügung stehen soll, beläuft sich insgesamt auf etwa 1 134 Milliarden Euro. Das ergibt eine jährliche Summe von 160 Milliarden. Im Vergleich dazu hat das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands laut dem Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen einen Haushalt von rund 80 Milliarden Euro im Jahr 2020. Das beträgt also ziemlich genau die Hälfte der finanziellen Mittel der EU. Das hört sich zunächst viel an, jedoch hat ein Bundesland weitere Aufgaben, wie beispielsweise Betreuungen von Kindern durch Schulen und Kindergärten, während die Union mit ihren Investitionen keine Grundrechte sichern muss, sondern „lediglich“ bestimmte Branchen unterstützt. Dennoch stimmt es, dass der EU-Haushalt nicht besonders groß ist, wenn man ihn in Perspektive setzt.

Und wohin fließt das Geld?

Knapp 340 Millionen Euro sollen den Zusammenhalt und die Werte der europäischen Union fördern. Dieser Bereich erhält damit, trotz Kürzungen von knapp 10 Prozent, den größten Anteil. Das geht aus einer eingehenden Analyse des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlamentes zum Vorschlag der Kommission hervor. Unter „Zusammenhalt und Werte“ sind regionale Entwicklung-Fonds, Sozialfonds, der Kohäsionsfond und auch das Erasmus-Programm zu verstehen. Und gerade der Kohäsionsfond hat mit 45 Prozent die höchsten Kürzungen zu tragen. Nachvollziehbar also, dass die Freunde der Kohäsion Europas einen höheren Abgabenanteil des BNEs fordern, um doch noch mehr Geld für ihre strukturell benachteiligte Regionen zu sichern. Doch die EU hat im letzten Jahrzehnt neue Herausforderungen bekommen, die es zu bewältigen gilt.

Umwelt

Knapp 30 Prozent des Haushaltes fließen in den Sektor „Natürliche Ressourcen und Umwelt“. Zunächst scheint dieses Vorhabe vernünftig, wo Ursula von der Leyen doch eine Billion Euro für den Klimaschutz der nächsten zehn Jahre bereitstellen wollte. Jedoch unterstützt rund zwei Drittel des Fonds die Agrarpolitik, welcher, laut NABU, vor allem die erste Säule der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und damit die Intensivtierhaltung und die Zerstörung von Landschaftselementen subventioniert. Befürworter des Kommissionsvorschlages könnten argumentieren, dass aus diesem Fond die 7,5 Milliarden Euro für den sogenannte „Just Transition Fond“, der den von den Umweltschutzmaßnahmen betroffenen Regionen helfen soll, entnommen werden. Jedoch stammt dieses Geld aus der zweiten GAP-Säule, die die ländliche Entwicklung unterstützt. Der NABU fordert deswegen 15 Milliarden Euro aus dem Agrarfond für den Umweltschutz einzusetzen, um dazu beizutragen die Ziele von Ursula von der Leyens Green Deal bis 2050 zu erreichen.

Außengrenze und Migration

Der alte Sektor der Sicherheits- und Unionsbürgerschaft wurde in die Rubriken Sicherheit und Verteidigung und Migration und Grenzmanagement aufgeteilt. Erstere erhält 2,7 Prozent und die andere 2,1 Prozent, was zusammen knapp 5 Prozent des Gesamthaushaltes entspricht. Die Sprache der Macht soll folglich vor allem an den Grenzen gesprochen werden. Dort wurden die finanziellen Möglichkeiten verdoppelt. Umstrittene Grenzschutzagenturen wie Frontex erhalten daher knapp das Dreifache ihres aktuellen Budgets. Frontex wird aufgrund von angeblichen missbräuchlichen Handlungen gegen Geflüchtete, gerade von linkeren Parteien, immer wieder kritisiert. Die Präsenz der EU nach außen soll durch den steigenden Etat von 6,1 auf 9,6 Prozent gestärkt werden. Damit erkauft sich die EU neue Möglichkeiten, um sich die Anerkennung andere „Global Player“ wie China und den USA zu sichern.

Stresstest Corona

Diese Beschlüsse stammen allesamt aus einer Zeit vor Corona. Wie hoch die Summe der finanziellen Mittel danach sein wird, ist ungewiss, doch sie wird die Liquidität der EU und die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten in die EU zu „investieren“, einschränken. Der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt, der normalerweise eine Neuverschuldung von über drei Prozent des BIPs und eine Staatsverschuldung von über 60 Prozent des BIPs ausschließt, wurde bereits ausgesetzt. Damit soll die durch den Produktionsstopp erwartete Rezession möglicherweise noch abgefedert werden. Auch wurden die Regeln der staatlichen Beihilfen gelockert. Aktuell ist es für die einzelnen Nationen möglich Unternehmen zu unterstützen, was normalerweise zu einer Wettbewerbsverzerrung und Chancenungleichheit führen würde. Des Weiteren sind die „Eurobonds“ oder auch „Corona-Bonds“ wieder im Gespräch. Von ihnen hatte man zuletzt während der Griechenland-Krise gehört und damals wie heute werden sie von der Bundesregierung kategorisch abgelehnt. Sie würden durch gemeinschaftliche Anleihekäufe der Staaten die Zinsen für bereits verschuldete Länder, wie Italien und Spanien, senken. Jedoch zu Lasten zahlungsfähiger Länder, wie Deutschland, die für andere bürgen müssten. Deutschland stellt sich somit wieder auf die Seite der „Frugal Four“, da das Risiko nach der Krise die Schulden anderer europäischer Staaten mitzutragen, für die deutsche Politik zu hoch ist. Jenes Risiko würde sich im Falle einer wachsenden Arbeitslosigkeit durch die mögliche Rezession nicht positiv bei den Wählern auswirken und könnte Wasser auf die Mühlen der populistischen und anti-europäischen Parteien sein.

Der mehrjährige EU-Haushalt und die Debatte um seine Finanzierung, sowie die Diskussion um die möglichen europäischen finanziellen Hilfen für kriselnde Länder ist demnach richtungsweisend für die kommende Zusammenarbeit innerhalb der Union. Denn letztlich geht es darum, ob man aktuelle Krisen gemeinsam lösen will, oder doch lieber wieder alleine.

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