Proteste in den USA: Was ist da los?

Ein landesweites Aufflammen unkontrollierter Polizeigewalt erschüttert die USA

, von  John Grosser

Ein landesweites Aufflammen unkontrollierter Polizeigewalt erschüttert die USA
Ein Polizeiauto in Atlanta steht nach Ausschreitungen zwischen Polizist*innen und Demonstrant*innen in Flammen. Foto: Twitter (kieroncg, Account inzwischen gelöscht)

Nach der Tötung von George Floyd durch die Polizei in Minneapolis entstanden in den USA zunächst friedliche Proteste und Versammlungen. Die gewaltsamen Reaktionen der Polizeibehörden auf diese Proteste stürzte viele Städte ins Chaos. Ausgangssperren wurden verhängt, Demonstrant*innen und Journalist*innen von der Polizei angeschossen und die Nationalgarde eingesetzt. Bilder aus den sozialen Medien zeigen Eindrücke US-amerikanischer Städte, die an Kriegsgebiete erinnern. Zeitgleich verstärkt der US-Präsident die Unruhe im Land und ruft nach mehr Gewalt gegen Demonstrant*innen. Ein Bericht.


***Trigger-Warnung*** In diesem Artikel geht es um polizeiliche Gewalt. In den eingebetteten Videos und Bildern werden Schüsse, Sprengkörper und Verletzungen gezeigt.

Am 25. Mai 2020 wurde George Floyd, ein Schwarzer Mann, vom Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis getötet. Chauvin kniete für fast neun Minuten auf Floyds Hals, während drei weitere Polizisten Floyd zusätzlich festhielten und Zuschauer zurückhielten. Infolge dieser Tötung wurden die vier Polizist*innen entlassen. Derek Chauvin wurde am 29. Mai wegen Mordes verhaftet. Wenige Tage später wurde gegen die drei übrigen Polizisten Anklage wegen Beihilfe zum Mord erhoben.

Landesweite Proteste gegen Polizeigewalt

Als Reaktion auf das Vorgehen der Polizei in diesem Fall haben sich in den vergangenen Tage immer größere Demonstrationen und Proteste in vielen amerikanischen Städten gebildet. Der Großteil dieser Demonstrationen verlief dabei friedlich. Inzwischen finden jedoch immer größere Ausschreitungen zwischen Demonstrant*innen und der Polizei statt, während einige die Proteste als Deckung für Vandalismus und Plünderungen in den Innenstädten benutzen.

Auch Amerikaner*innen in Europa reagieren entsetzt auf die Tötung von George Floyd. Serita B., eine Schwarze Amerikanerin, die jetzt in Spanien lebt, ist unter anderem wegen solcher Polizeigewalt nach Europa gekommen: „Das ist der Hauptgrund, warum ich nach Europa zog. Ich musste den Morden an Menschen entkommen, die meine Familie, Freunde oder Nachbarn hätten sein können. Die von der Polizei ermordet wurden, während die Medien eine Darstellung ausspuckten, in der den Opfern die Schuld für ihren Tod gegeben wurde und den Offizieren, die ihnen das Leben nahmen, die Konsequenzen erspart blieben. Dies schürt die Flammen der White Supremacy (Anmerkung der Redaktion: White Supremacy ist im amerikanischen Sprachraum ein Überbegriff für verschiedene, gegen nicht-Weiße gerichtete rassistische Ideologien). Aber Entfernung macht es nicht leichter, diese Todesfälle zu verarbeiten.“

Unprovozierte Gewalt: US-Polizei nimmt Demonstrant*innen und Journalist*innen ins Visier

Immer häufiger hat die Polizei in den vergangenen Tagen Gewalt angewendet, um friedliche Demonstrationen aufzulösen. Mit Gummi- und Pfeffergeschossen, Rauch- und Blendgranaten und bewaffneten Fahrzeugen versuchen viele Polizeibehörden, oft mit der Unterstützung von Landes- oder Bundespolizeibehörden, die Straßen der Innenstädte zu räumen. In Seattle flüchteten Journalist*innen und Demonstrant*innen vor Schüssen und Sprengkörpern durch die Polizei, in New York fuhren Fahrzeuge des NYPD in eine sie blockierende Menschenmenge und in Minneapolis feuerten Polizist*innen aus nächster Nähe auf Menschen, die auf ihrem eigenen Grundstück standen.



Ashante S. ist eine Schwarze Amerikanerin, die seit vier Jahren in Deutschland lebt. Sie reagiert entsetzt auf die Vorfälle der letzten Tage: „Diese letzten Tage waren so herzzerreißend und inspirierend zugleich. […] Das anhaltende Streben der Schwarzen Gemeinde nach Gerechtigkeit und Rechenschaft zeigt die immense Widerstandsfähigkeit, die wir seit jeher an den Tag legen.“

Die Gewalt der Polizeibeamt*innen richtet sich nicht nur gegen die Demonstrant*innen, sondern auch gegen die Presse. In Minneapolis wurden Omar Jimenez, ein Reporter des Nachrichtensenders CNN, und sein Kamerateam während einer Live-Übertragung ohne Erklärung durch die Polizei verhaftet und abgeführt. Sie hatten sich zuvor als Presse ausgewiesen und sich kooperativ gezeigt und wurden später mit einer Entschuldigung des Gouverneurs aus der Haft entlassen. Omar Jimenez ist Schwarz. Das zweite CNN Kamerateam in der Stadt, angeführt von einem Weißen Reporter, wurde nicht verhaftet.

In vielen amerikanischen Städten werden Journalist*innen von der Polizei aus nächster Nähe beschossen, geschlagen und mit Sprengstoff und Gas angegriffen, oftmals trotz ihrer Identifikation als Journalist*innen oder der Tatsache, dass sie versuchten, sich zurückzuziehen.



Auch ausländische Reporter*innen sind betroffen: Auf deutsche Journalisten wurde während einer Sendung geschossen, während einer australischen Live-Sendung schlug ein Polizist auf das australische Kamerateam ein. Der Premierminister Australiens hat bereits eine Untersuchung des Vorfalls gefordert.



Die gewaltsamen Reaktionen der Polizei auf die weitgehend friedlichen Proteste und unbewaffneten Demonstrant*innen steht in starkem Kontrast zu Bildern von vor einigen Wochen. Damals hatten überwiegend Weiße Demonstrant*innen gegen Corona-Maßnahmen protestiert. In Michigan etwa stürmten mit Gewehren bewaffnete Weiße Demonstrant*innen das Landtagsgebaüde - die Polizei lies sie weitestgehend gewähren. Diese widersprüchlichen Polizeireaktionen sind für viele der heutigen Demonstrant*innen ein Ausdruck des in den US-Polizeibehörden vorherrschenden Rassismus, gegen den sie auf die Straße gehen.

US-Präsident ruft zu mehr Polizeigewalt gegen Bürger*innen auf

Der US-Präsident hat auf Twitter und durch Ansprachen aus dem Weißen Haus ein noch härteres Vorgehen der Polizei gefordert. In einem Anruf mit den Gouverneur*innen der Bundesstaaten nannte er diese „schwach“ und forderte sie dazu auf, die Demonstrant*innen zu „dominieren.“



Obwohl viele US-Rechtsexpert*innen einen solchen Schritt für rechtswidrig halten, hat der Präsident mehrfach den Einsatz des Militärs zusätzlich zur Nationalgarde gefordert. Die bisher gegen die Demonstrant*innen eingesetzten Truppen der Nationalgarde waren schon an mehreren Gewaltvorfällen beteiligt, unter anderem ein tödlicher Beschuss in Louisville, Kentucky. Für den Einsatz des Militärs gegen amerikanische Zivilist*innen hat der Präsident auch Unterstützer*innen im Republikanischen Senat.

Am Montagabend setzte der Präsident seine Worte in die Tat um. Seine Regierung ließ den Lafayette-Park direkt vor dem Weißen Haus, in dem legal anwesende Demonstrant*innen einen friedlichen Protest abhielten, von Bundespolizei und Nationalgarde mit Schüssen, Sprengkörpern, Rauchgranaten, Tränengas und Pferden gewaltsam räumen. Diese Räumung begann um etwa 18:30 Uhr, eine halbe Stunde bevor die stadtweite Ausgangssperre in Washington D.C. in Kraft trat. Diese Räumung machte dem Präsidenten den Weg zur St. Johns Kirche frei. Der Präsident ging durch den Lafayette-Park zu dieser Kirche und posierte mit einer Bibel für einige Fotos, bevor er zum Weißen Haus zurückkehrte.

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