Brüssel, Oktober 2015: Der Autor dieser Zeilen steht am frühen Morgen vor dem Europäischen Parlament und sieht unweit entfernt einen Mann im blauen Anzug, der sich vor Beginn seines Arbeitstages noch eine schnelle Zigarette gönnt. Es handelte sich dabei um niemand Geringeren als Nigel Farage, den damaligen Vorsitzenden der UK-Independence Party (UKIP). Als Mitglied des Europäischen Parlaments war der Brite in den Jahren zuvor zum Aushängeschild des Euroskeptizismus geworden. Der Autor staunte nicht schlecht, dass er während seiner kurzen Arbeitszeit in Brüssel, ausgerechnet auf einen der bekanntesten Populisten in ganz Europa treffen sollte.
Mr. Eurosceptic
Vor seiner politischen Karriere war Farage Börsenhändler in der City of London. Politiker war er nach eigenen Angaben nur geworden, weil er die europäische Integration zunehmend als Bedrohung für die Demokratie empfand. Die UKIP gründete sich 1993 und zog 1999 in das EU-Parlament ein. Auf diesem Weg gelangte Farage ins Parlament und avancierte zum Schrecken des politischen Establishments in Brüssel.
Er polterte gegen die Union, schimpfte auf den Euro und ätzte selbst gegen die höchsten EU-Vertreter. Die Parlamentarier waren seiner Meinung nach arbeitsscheue Eurokraten, die allesamt gefeuert werden sollten; EU-Ratspräsident van Rompuy sei charismatisch wie ein feuchter Lappen und Kommissionschef Jean-Claude Juncker ein unverantwortlicher Trinker. Seine Polemik war so einzigartig, dass die Mitschnitte seiner Reden im Internet Hunderttausende Male angeklickt wurden.
Eine klare Linie ist in den Angriffen nicht wirklich zu erkennen. Mal solidarisierte er sich mit den europäischen Südstaaten, um gegen die Eliten der EU zu wettern, dann warf er der EU einen wirtschaftspolitischen Sozialismus vor. Die EU war mal zu ineffektiv, das andere Mal wieder viel zu mächtig. Mal wurde sie komplett von Deutschland dominiert und dann wiederum von den osteuropäischen Mitgliedstaaten aufgezehrt und überfremdet. Farage nutzte jede politische Perspektive um eine maximale Attacke gegen die Union zu fahren. Er bekam Applaus von links für seine Solidarität mit dem griechischen Präsidenten Alexis Tsipras, und natürlich von rechts für seine Ressentiments gegenüber den Osteuropäern.
Der Charme des Populisten
Farage ist einer der besten Redner im Europäischen Parlament und das macht ihn gefährlich. Er ist ein Meister darin, die Fehler und Disfunktionalitäten der EU anzuprangern und für seine Zwecke auszuschlachten. Seine Eloquenz und der Vibe eines britischen Gentleman täuschen beinahe darüber hinweg, dass man es bei Farage mit einem unverantwortlichen Populisten zu tun hat, dessen Wirken das Friedensprojekt der EU zersetzt und die politische Stabilität Großbritanniens in Gefahr bringt.
Jetzt wo der Brexit scheinbar nicht mehr aufzuhalten ist, zeigt sich was die Wähler von Nigel Farage und seinen Versprechen erwarten können. Er war der Erste, der umgehend ein zentrales Wahlversprechen der Brexit-Befürworter kassierte und der zweite Euroskeptiker, der die politische Verantwortung in Großbritannien scheut, statt sie einzufordern. Stattdessen möchte Farage weiter im Europäischen Parlament bleiben und die Brexitverhandlungen mit markigen Wortbeiträgen kommentieren. Bei vollen Bezügen, versteht sich.
Ein Populist braucht eine Bühne
Der Populismus des Nigel Farage hat dabei geholfen, die Euroskepsis zu verbreiten und zu popularisieren. Er ist eine der Schlüsselfiguren, die für die gesellschaftliche Polarisierung und politische Instabilität des heutigen Großbritanniens verantwortlich sind. Doch sein Populismus eignet sich nicht, um Verhandlungen zu führen, Kompromisse zu schließen und eine Gesellschaft zu einen. Darum inszeniert Farage nun seinen politischen Abgang, ohne dabei auf die beiden letzten Jahre im Europäischen Parlament verzichten zu wollen.
Brüssel, Oktober 2015: An jenem Morgen war Farages Auftritt nicht sonderlich glamourös. Er trat seine Zigarette aus und beichtete dem Sicherheitspersonal im feinsten Oxford-English, dass er seinen Ausweis vergessen hatte, mit dem die Parlamentarier Zugang zum Parlament erhalten. Es war skuril: Mr. Eurosceptic persönlich bat am Eingang des Europäischen Parlamentes um Einlass. Ein kurzer Wortwechsel folgte; schlussendlich durfte er hinein. Hinein ins Parlament, da wo seine Bühne steht.
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