Parlamentswahlen in Polen

Eine bürgerliche Koalition in Polen – ein totales Durcheinander?

, von  übersetzt von Jagoda Pokryszka, Wojciech Zajączkowski

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Eine bürgerliche Koalition in Polen – ein totales Durcheinander?

Die polnische Bürgerliche Plattform (Platforma Obywatelska, PO) hatte vier Jahre, um sich mit der neuen Realität abzufinden und mit einem neuen Programm voranzukommen. Hat sie im Rahmen der Bürgerlichen Koalition (Koalicja Obywatelska, KO) nun etwas Neues anzubieten? Die Redaktion von treffpunkteuropa.de präsentiert die Wahlprogramme der wichtigsten Oppositionsparteien in Polen. Heute eine Koalition, die man als stark „bürgerlich“ bezeichnen kann.

Die Hauptkraft der „totalen“ Opposition

Grzegorz Schetyna, Parteivorsitzender der Platforma Obywatelska (PO), und seine Partei werden von regierungsfreundlichen Sendern oftmals als die Hauptquelle alles Bösen in Polen dargestellt. PiS- Angriffe auf den polnischen Rechtsstaat, unter anderem auf die Unabhängigkeit der Gerichte , haben PO eine Chance gegeben, ihre Rolle neu zu definieren. Dabei hat PO Aktionen, wie etwa des Kommittees für die Verteidigung der Demokratie und weiteren NGOs, die sich für die Unabhängigkeit der Gerichte einsetzen, stark unterstützt. Ziel war es, die Unterstützung des Rechtsstaates mit der der Unterstützung der Partei PO gleichzusetzen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Wahrung der „polnischen Demokratie“ einer der Hauptpunkte des Wahlprogramms dieser ehemaligen Regierungspartei ist.

Die Bürgerkoalition (KO) - bestehend aus PO, der Partei Nowoczesna, den Grünen und der Schlesichen Autonomiebewegung - hat vor, den sogenannten „Akt der Erneuerung der Demokratie“ anzunehmen. Sein Ziel wäre es, die verfassungswidrigen Reformen der PiS-Partei rückgängig zu machen. Dieser Akt sollte dann auch die nach 1989 gegründeten Institutionen des Rechtsstaates wieder stärken.

Während das erste Ziel durchführbar scheint, stößt man bei letzterem schnell an die Grenzen der Machbarkeit. Dass der Status quo nicht weiter fortbestehen kann, scheint klar. Ein verfassungswidriges (Anmerkung: die Opposition nennt das Gesetz verfassungswidrig) Gesetz zu verabschieden, um zu vermeintlich mehr Verfassungskonformität zu kommen, steht jedoch sinnbildlich für die Widersprüchlichkeiten der PiS-Partei.

Der Versuch junge Leute anzulocken

Die KO hat bisher viel Innovatives vorgeschlagen: zum Beispiel das Programm #DasGuteNetz (#DobraSiec) – 356GB gratis Internet jährlich für alle Jugendlichen zwischen 11 und 24 Jahren. Außerdem verspricht KO, Abstimmungen und Wahlen auch online zu ermöglichen. Das sollte zur Erhöhung der Wahlbeteiligung führen. Es ist dennoch merkwürdig, dass dieser Vorschlag von der Seite der KO kommt. Denn dieses neue Tool wäre nicht unbedingt zum eigenen Vorteil. Die potenziellen neuen Wähler*innen würden wahrscheinlich für rechte, sehr konservative Parteien stimmen.

Eine weitere Forderung: die direkte Demokratie zu fördern. Mit einer Millionen Unterschriften solle man zukünftig die Regierung zu einer Volksabstimmung zwingen können. Zudem schlägt KO vor, die Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge für alle unter 25-Jährigen abzuschaffen.

Zurück zu Europa

KO verspricht auch, eine 180-Grad-Wende in der Außenpolitik Polens einzuleiten. Eine zentrale Forderung: Polen sollte wieder die Gespräche mit den europäischen Institutionen beginnen. Die neue Regierung sollte außerdem die geschädigten Beziehungen zu Deutschland und Frankreich erneuern. Im Prinzip wäre das die Rückkehr zur Außenpolitik vor 2015, als Polen für einen starken Spieler in Osteuropa und sogar als Vertreter der „neuen“ EU gesehen wurde.

Das Gesundheitswesen als Priorität der neuen Regierung

Der Verfall des Gesundheitswesens scheint das einzige Wahlkampfthema zu sein, das von der Opposition aufgedrängt wurde. In ihrem Wahlprogramm stell KO klar fest: „Das polnische Gesundheitswesen ist krank“. Was KO als Lösung vorschlägt? Die Erhöhung der Gesundheitsausgaben auf 6% BIP und die Verkürzung der Wartelisten. KO möchte, dass durch eine starke Entbürokratisierung erreichen. Die neue Regierung würde auch zum führenden Programm von PO – der Erstattung der Kosten der IVF-Prozedur – zurückkommen.

Mehr saubere Luft

KO geht auch auf klimapolitische Fragen ein, so etwa auf das Problem mit hohem Smog und seiner Ursache – Kohle. Bis 2030 möchte KO Kohle als Energieträger für die Beheizung polnischer Haushalte abschaffen, bis 2040 soll Polen kohleunabhängig sein. In der politischen Deklaration über Oberschlesien diskutiert KO auch arbeitsmarktwirtschaftliche Themen wie die Unterstützung von Bergleuten. So sollten nach der Schließung polnischer Bergwerke die EU-Fördermittel zur Umgestaltung der Region verwendet werden, sodass die Bergleute neue Arbeitsplätze finden. Bisher fehlten aber genauere Pläne. Unter der Parole „3x10“ („3x10 dla OZE“) verspricht KO die Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen. Bis 2030 sollten in Polen 10 GW aus Sonnenkraft, 10 GW aus Windkraft und 10 GW aus Wasserkraft gewonnen werden.

Und nun?

Trotz der Erweiterung der Koalition der PO und der Moderne um die Linksparteien – dabei vor allem die Grünen und die Polnische Initiative (Inicjatywa Polska) – vertritt KO keine revolutionären Weltansichten. So hat sich PO zwar nach vielen Jahren dafür entschieden, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu unterstützen, aber angesichts der bisherigen Abstimmungen der Parteimitglieder und der Zögerung des PO-Obmanns Grzegorz Schetyna sollten keine zu großen Hoffnungen gemacht werden. Die Kandidatin der KO für das Amt der Ministerpräsidentin möchte auch das bisherige Abtreibungsgesetz belassen. Könnte eine Frau als Ministerpräsidentschaftskandidatin und eine Frauenquote in der Regierung die Linkswähler anlocken? Da kann man sich nicht so sicher sein. Das Programm und die Wahlkampagne der PO sind für linke Wähler*innen nicht besonders beeindruckend im Vergleich zu den charismatischen Führern der Linksparteien und ihren Versprechen, Frauen- und LGBT-Rechte zu stärken.

Eine kurze Analyse der Wahlergebnisse

Das mehr als 130-seitige Programm der Bürgerlichen Koalition zeigt, dass PO nach dem Machtverlust ernüchtert ist. Leider sind viele ihrer Versprechen nichts mehr als Floskeln. KO bleibt weiterhin anti-PiS. Ihr Programm hat scheinbar nicht ausgereicht, um die Wähler*innen von sich zu überzeugen. Dennoch hat die Partei mit ihrem Wahlprogramm eine Grundlage für eine gute Arbeit in der Opposition.

Anmerkung: Der Text weicht an einigen Stellen vom polnischen Originaltext ab, da die aktuelle Fassung nach den Wahlen veröffentlicht wurde.

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