Ende der Illusionen

, von  Marcel Wollscheid

Ende der Illusionen
Gezeichnet vom Krieg: Trümmer eines Wohnhauses im ostukrainischen Slavyansk im September 2014. Foto: © European Commission DG ECHO / Flickr / CC BY-ND 2.0

Krim-Annexion, Donbass-Rebellion, MH17, Minsk I, Mariupol, Minsk II, Debalzewe - die grausamen Schlüsselstellen des Ukraine-Konflikts ergeben ein wiederkehrendes Muster. Russlands oberste Priorität in der Ukraine ist die gewaltsame Durchsetzung seiner Interessen - ungeachtet aller völkerrechtlichen Vereinbarungen. Erst nachdem Ziele mit militärischen Mitteln erreicht sind, wird die Maske deeskalierender Motive aufgesetzt. Stück für Stück hat Russland mit dieser Methode seinen Einfluss im souveränen Nachbarstaat Ukraine ausgeweitet.

Um es in aller Deutlichkeit voranzustellen: Die diplomatischen Versuche der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten, die Spirale der militärischen Eskalation in der Ukraine zu durchbrechen und die Rückkehr der Parteien an den Verhandlungstisch zu bewirken, waren notwendig und ehrenwert. Für einen kurzen Moment gab es Hoffnung auf eine Stabilisierung in der Ostukraine. Hoffnung auf einen Friedensprozess.

Das Abkommen von Minsk wurde in Debalzewe zerschossen

Doch die Einnahme des Verkehrsknotenpunktes Debalzewe durch hochaufgerüstete pro-russische Separatisten 60 Stunden nach Inkrafttreten der vereinbarten Waffenruhe von Minsk II verdeutlicht, dass die militärische Logik ungebrochen die treibende Kraft im Ukraine-Konflikt ist. Der ukrainische Präsident Poroschenko hatte für den Fall eines Bruches der Waffenruhe angekündigt, das Kriegsrecht auszurufen. Dieser Fall könnte nun eingetreten zu sein. Scheinbar ohnmächtig blickt Europa auf eine Ukraine, die weiter in die kriegerische Eskalation taumelt.

Präsident Putin hat erneut bewiesen, dass er in der Ostukraine am längeren Hebel sitzt: Er entscheidet, zu welchen Unterschriften die Separatisten bereit sind. Er entscheidet, wann und wo die Lage eskaliert. Er entscheidet, zu welchen Gunsten die Schlacht ausgeht. Ein Veto-Recht für die zukünftige Verfassungsreform der Ukraine wurde Russland am Verhandlungstisch ohnehin faktisch zugesichert. Betrachten wir das in diesem Sinne erfolgreiche Muster der vergangenen Monate bleibt nach einer Phase der vermeintlichen Entspannung ein nächster logischer Schritt zu erwarten: der Griff nach der Landbrücke zur Krim.

Um dieses Interesse auch in Zukunft ohne bedenkliche Gegenwehr durchzusetzen, setzt Putins Strategie offensichtlich auf die Spaltung des Westens. Putin weiß, dass die Angst vor dem Krieg die „dekadenten“ westlichen Gesellschaften lähmt. Zwischen Europäern und Amerikanern herrscht Unstimmigkeit über den Umgang mit Waffenlieferungen an die Ukraine. Unter den EU-Mitgliedsstaaten streckt Russland bereits jetzt ideologische wie finanzielle Fühler nach Ungarn und Griechenland aus. Schließlich sollen auch die europäischen Gesellschaften von innen aufgekeilt werden: mit der Finanzierung rechtspopulistischer Kräfte wie dem Front National und der Expansion der Staatsmedien in den europäischen Markt.

Entschlossene Gegenmaßnahmen sind nun gefragt

Es gilt, die Augen vor diesen Realitäten zu öffnen. Es gilt, sich innerhalb der EU und unter den NATO-Bündnispartnern hier und jetzt gegen Akte der hybriden Kriegsführung zu wappnen. Es gilt, Einigkeit zu beweisen. Jenseits und diesseits des Atlantiks. Kein Zweifel darf daran bestehen, dass die Verletzung der Grenzen der Europäischen Union Folgen haben wird. Waffenlieferungen an die Ukraine wären trotz alledem keine kluge Entscheidung: Sie würden nicht nur eine Rüstungsspirale mit ungewissem Ausgang auslösen, sondern dem russischen Präsident die Erzählung eines Stellvertreterkrieges der NATO in der Ukraine liefern. Die öffentliche Zustimmung zu Putins Kurs in Russland würde weiter wachsen. Doch die jüngsten Ereignissen machen einen drastischen Schritt unvermeidbar: die Ausrufung der schärfsten Stufe der Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Es geht konkret um den Ausschluss aus dem SWIFT-System, was russische Banken effektiv vom internationalen Finanzmarkt abtrennen wird.

Es gibt einen Weg zurück. Der russische Präsident hat sein Land in die außenpolitische Isolation getrieben. Investitionen flossen nicht in die Modernisierung der russischen Wirtschaft, sondern in den Militärhaushalt. Hierin können Anreize für eine Rückkehr zur Kooperation liegen. Doch so lange der Nutzen der Interessendurchsetzung in der Ukraine deren Kosten übersteigt, wird Putin die gewinnbringende Methode der vergangenen zwölf Monate weiterführen.

Ihr Kommentar
  • Am 23. Februar 2015 um 23:09, von  Max Als Antwort Ende der Illusionen

    wird hier der Eindruck vermittelt, Russland sei am Ukraine-Krieg schuld? Das passt zu den Lügen, welche die Massenmedien seit anderthalb Jahren verbreiten. Nach Ablehnung des EU-Knebelvertrags durch den gewählten Janukowitsch wurde in Kiew ein faschistisches Regime durch westliche Unterwanderung eingeputscht, die Krim hat sich deshalb seziert, tausende West-Ukrainer verweigern den Kriegsdienst.

  • Am 24. Februar 2015 um 12:33, von  Marcel Wollscheid Als Antwort Ende der Illusionen

    Russland ist maßgeblich für die Eskalation des Konflikts verantwortlich, hat die territoriale Integrität der Ukraine verletzt, das Völkerrecht gebrochen (s. Budapester Memorandum). So verschieden sind doch die Perspektiven auf „Lügen“: Ich habe kürzlich den russischen Nato-Botschafter Gruschko auf einer Podiumsdiskussion beobachtet. Er erklärte dem staunenden Publikum, Russland wäre nie Konfliktpartei in der Ukraine gewesen, habe keine Soldaten oder Waffen in die Ukraine geschickt. Dies sei Propaganda - die Nato-Erweiterung und die Regierung in Kiew seien für alle Konflikte verantwortlich, Russland nur an Deeskalation und der Einhaltung internationalen Rechts interessiert. Bei Ihnen scheint diese Interpretation ja durchaus gefruchtet zu haben.

  • Am 25. Februar 2015 um 19:28, von  Alexander Peters Als Antwort Ende der Illusionen

    Sehr geehrter Herr Wollscheid:

    Da Sie mich auf diesen Artikel hinwiesen (in Ihrer Replik auf meinen Kommentar zu dem Artikel „Zähes Ringen um den Frieden“): Ja, es hat mich gefreut Ihr „Ende der Illusionen“ hier zu lesen. Es scheint, daß sich unsere Einschätzungen stark angenähert haben, seit ich mich im Juni an Ihrem damaligen Artikel, „Europa findet eine Stimme“, abarbeitete - jener Artikel kam mir noch selbst wie eine der Illusionen vor.

    Sie haben völlig recht damit, daß jetzt alles auf den starken, einigen Widerstand der Europäer ankommt - wenn nicht durch Militäreinsatz, dann durch einen umfassenden wirtschaftlichen Boykott des Aggressors und dadurch, daß man dem Putinregime keine Hoffnung darauf läßt, daß es diese Sanktionen jemals wieder loswerden wird, ohne zuvor sein Verhalten geändert und das Invasionsgebiet geräumt zu haben.

    Ob aber die Europäer zu solchem Widerstand fähig sind, darf bezweifelt werden. Im Moment sieht es mehr danach aus, als ob wir eine Neuauflage des altbekannten Europas der Erbärmlichkeit bekommen werden - jenes Europas, das etwa in den 1930ern tatenlos zusah, wie die faschistischen Mächte die spanische Republik und die Tschechoslowakei zerstörten, oder das in den 1990ern kein Mittel gegen das Wüten Milosevics in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo wußte und nur von den USA der beherzteren Madeline Albright vor den schlimmsten Folgen seines memmenhaften Wegschauens bewahrt wurde.

  • Am 25. Februar 2015 um 19:31, von  Alexander Peters Als Antwort Ende der Illusionen

    Sehr geehrter Herr Wollscheid:

    Da Sie mich auf diesen Artikel hinwiesen (in Ihrer Replik auf meinen Kommentar zu dem Artikel „Zähes Ringen um den Frieden“): Ja, es hat mich gefreut Ihr „Ende der Illusionen“ hier zu lesen. Es scheint, daß sich unsere Einschätzungen stark angenähert haben, seit ich mich im Juni an Ihrem damaligen Artikel, „Europa findet eine Stimme“, abarbeitete - jener Artikel kam mir noch selbst wie eine der Illusionen vor.

    Sie haben völlig recht damit, daß jetzt alles auf den starken, einigen Widerstand der Europäer ankommt - wenn nicht durch Militäreinsatz, dann durch einen umfassenden wirtschaftlichen Boykott des Aggressors und dadurch, daß man dem Putinregime keine Hoffnung darauf läßt, daß es diese Sanktionen jemals wieder loswerden wird, ohne zuvor sein Verhalten geändert und das Invasionsgebiet geräumt zu haben.

    Ob aber die Europäer zu solchem Widerstand fähig sind, darf bezweifelt werden. Im Moment sieht es mehr danach aus, als ob wir eine Neuauflage des altbekannten Europas der Erbärmlichkeit bekommen werden - jenes Europas, das etwa in den 1930ern tatenlos zusah, wie die faschistischen Mächte die spanische Republik und die Tschechoslowakei zerstörten, oder das in den 1990ern kein Mittel gegen das Wüten Milosevics in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo wußte und nur von den USA der beherzteren Madeline Albright vor den schlimmsten Folgen seines memmenhaften Wegschauens bewahrt wurde.

  • Am 27. Februar 2015 um 12:01, von  Marcel Wollscheid Als Antwort Ende der Illusionen

    Sehr geehrter Herr Peters, schön, dass Sie uns als Leser treu bleiben.

    Interessante Punkte zum Ukraine-Konflikt und zu den Lehren der Geschichte nennt auch der JEF-Vorsitzende David Schrock in einem neuen Interview mit treffpunkteuropa.de:

    http://www.treffpunkteuropa.de/die-europaer-sind-gefordert

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