Danja Winterstein lebt mit Endometriose. Die 26-Jährige studiert Rechtswissenschaft in Bielefeld. Seit sie zwölf ist, hat sie Symptome, bis zur Diagnose verging mehr als ein Jahrzehnt. Elf Jahre Schmerzen, elf Jahre von Arzt*in zu Arzt*in rennen, elf Jahre Ungewissheit.
Bei Endometriose handelt es sich um eine gutartige, jedoch chronisch verlaufende Erkrankung. Hierbei wächst Gewebe, welches der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) ähnelt, an Orten im Körper, wo es nicht hingehört. Die Wucherungen bilden Zysten und Entzündungen, welche große Schmerzen bei den Betroffenen auslösen können. Zu den häufigsten Symptomen gehören unter anderem Unterleibsschmerzen, Schmerzen unmittelbar vor und während der Menstruation (Dysmenorrhoe), Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) sowie Sterilität und starke unregelmäßige Monatsblutungen. Auch der Endobelly tritt häufig bei Betroffenen auf und beschreibt einen aufgeblähten Bauch. Auch Organe können erheblich eingeschränkt und beschädigt bis hin sogar zerstört werden, wenn diese zu stark von Endometriose-Herden befallen sind. Von der Krankheit betroffen ist in etwa jede zehnte Frau.
Der Verlauf kann sehr unterschiedlich sein, man spricht daher auch vom Chamäleon der Gynäkologie. Es gibt Betroffene, die ihr gesamtes Leben auf ihre Erkrankung hin ausrichten müssen. Andere haben keine Beschwerden. Für die meisten Frauen aber geht mit der Krankheit ein starker Verlust von Lebensqualität einher. Weil die Betroffenen vor allem über Schmerzen während der Periode berichten, bleibt die Krankheit oft unerkannt und wird gar nicht erst diagnostiziert – zumal dies auch nur durch eine Bauchspiegelung möglich ist.
Krank und niemand nimmt es ernst
In Danjas Fall fiel mit 16 Jahren zum ersten Mal der Verdacht auf Endometriose. Nachgeforscht wurde nicht, es gab auch keine Weiterleitung an eine*n Fachärzt*in. „Nachvollziehen kann ich das nicht. Immer wieder wurde gesagt, dass ich einfach mal Yoga ausprobieren und generell mehr Sport machen soll. Meine Schmerzen wurde als kleine “Wehwehchen” abgestempelt. Dass ging solange, dass ich begann, an mir zu zweifeln“, berichtet die Studentin. Erst auf eigenen Wunsch hin, wurde sie Jahre später an einen anderen Arzt überwiesen. Dieser stellte ihr dann endlich die Diagnose – Endometriose. Die Behandlung der Krankheit muss an jede Patientin individuell angepasst werden, um so eine Linderung der Beschwerden möglich zu machen. Ein Heilmittel konnte bislang nicht entwickelt werden. Viel Forschung wird nicht betrieben.
Immer mehr Menschen meinen, dass in Deutschland nicht genug gegen die Krankheit unternommen wird. Unter dem Hashtag #EndEndoSilence fordern sie eine nationale Strategie, wie es sie bereits in Australien gibt oder wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt hat. „Endometriose ist nicht nur ein Problem für die betroffenen Frauen, es ist ein Problem der Gesellschaft“ – schrieb er auf Twitter. „Die nationale Strategie, die wir auf den Weg bringen, gibt Millionen von Mädchen und Frauen Hoffnung auf eine bessere Lebensqualität“, erklärt der Präsident.
L'endométriose.
Ce n’est pas un problème de femmes, c’est un problème de société. La stratégie nationale que nous lançons porte l’espoir d’une meilleure qualité de vie pour des millions de filles et de femmes. pic.twitter.com/86IJj005wU— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) January 11, 2022
So gehen andere Länder mit Endometriose um
Down Under wird dies bereits umgesetzt. Das Australische Gesundheitsministerium veröffentlichte im Juli 2018 einen nationalen Strategieplan, um Endometriose an allen Fronten zu bekämpfen - durch Sensibilisierung und Aufklärung, klinisches Management und Pflege sowie medizinische Forschung. Hier wurden 22,50 Millionen Dollar bereitgestellt.
In einem Interview Anfang diesen Jahres lehnte Deutschlands Minister für Gesundheit Karl Lauterbach eine solche nationale Strategien, wie in Frankreich entschieden ab. Diese seien in der Regel lediglich „PR-Aktionen“. Die öffentliche Initiative helfe Macron vielleicht im Wahlkampf, in Bezug auf die Krankheit bringe sie nach seiner Einschätzung nach aber nicht die gewünschten Erfolge. Lauterbach selbst setzt auf konkrete vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekte. Genaue Pläne gebe es aktuell noch nicht.
Auf europäischer Ebene hat sich 2005 die Europäische Endometriose-Liga (EEL) gegründet. Bislang ist sie in mehreren europäischen Ländern aktiv (zum Beispiel in Deutschland, Frankreich und Italien) und weitet ihre Aktivitäten derzeit auf weitere Länder aus. Die EEL hat zwei Hauptziele: Einerseits will sie die Öffentlichkeit sensibilisieren und die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Endometriose und anderer gynäkologischer Erkrankungen unterstützen, und andererseits widmet sie sich der Aus- und Weiterbildung in der Diagnose und Therapie der Endometriose. Um diese Ziele zu erreichen, hat sie ein europäisches Gremium medizinischer Experten für Endometriose und eine Vielzahl von Aktivitäten ins Leben gerufen, darunter zum Beispiel Webinare und Trainingsprogramme für Assistenzärzt*innen. Die Ergebnisse ihrer Forschungsprojekte werden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht und so der Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Laut, provokant, sexy!
Ganz anders an das Thema heran geht der Verein „We are EndoWarriors“. Hier engagiert sich auch Danja Winterstein: „Wir wollen Betroffenen helfen, sich schön zu finden - auch mit Narben und Endobelly.“ Der Verein ist noch ganz frisch und befindet sich aktuell im Aufbau. Eines der ersten Projekte wird der Bildkalendar für das kommende Jahr 2023 sein. In jedem Monat stellt jeweils eine andere Frau sich und ihre Geschichte im Kampf gegen Endometriose vor. Das Motto dabei: „Laut, provokant, sexy! Wir vermitteln die bittere Wahrheit durch schöne Kunstprojekte“, so Winterstein. Eine „spielerische Sensibilisierung und Aufklärung“ habe sich der Verein zum Ziel gesetzt. „Meine Krankenkasse wusste noch nicht einmal, dass es Spezialkliniken für Endometriose gibt“, erzählt die 26-jährige. „Jeden Tag kämpfen wir dafür, dass das nicht mehr passiert. “
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