Es sieht, um es mit seinen Worten zu sagen „düster“ aus. Große Unsicherheiten ergeben sich aus einem destabilisierenden digitalen Raum, mangelnder Perspektiven auf Wohnungs- und Arbeitsmarkt und eine zunehmende soziale Isolation, welche besonders junge Menschen während und nach der Covid-Pandemie betrifft. Laut dem Einsamkeitsbarometer des Bundesfamilienministeriums fühlen sich 11 % der Deutschen häufiger als manchmal einsam – ältere und jüngere Menschen sind davon am häufigsten betroffen. Dazu kommt das Gefühl, dass es tendenziell bergab geht, nichts mehr zu gewinnen, aber viel zu verlieren ist. Die Welt wird nicht mehr langsam besser, wie in den „goldenen“ 90ern, als das Ende des kalten Krieges, Demokratisierungswellen und Wirtschaftswachstum die internationalen Nachrichten bestimmten. Heute scheint alle paar Monate ein weiterer Schritt Richtung Autokratie getan, der Klimawandel droht währenddessen unaufhaltsam zu werden und die grassierende ökonomische Ungleichheit wiegt schwer auf den Zukunftsaussichten junger Menschen. Und diese Krisen sind miteinander verbunden, denn nicht nur kosteten die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen die Volkswirtschaft im Jahre 2022 ganze 17,2 Milliarden Euro (5% mehr als noch vor zehn Jahren), sondern Einsamkeit und psychische Krankheit erhöhen bei jungen Menschen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, sich autoritären Strömungen anzuschließen. Dass es sich hierbei also nicht nur um ein Problem einer „Schneeflockengeneration“ handelt, dürfte spätestens jetzt klar sein.
Die Politik lässt auf sich warten
Und doch ist das deutsche Gesundheitssystem alles andere als gut vorbereitet für diese Krise der mentalen Gesundheit. Es fehlen massiv Therapieplätze für Betroffenen und Kassenplätze für angehende Psychotherapeut*innen. Gleichzeitig ist die Psychotherapieausbildung recht aufwendig und kostspielig, wodurch viele interessierte junge Menschen davon abgehalten werden, diesen Weg einzuschlagen. Auch Verbeamtungseinschränkungen für ehemalige oder aktuelle Therapiepatient*innen spricht Bände über den Stand der Akzeptanz gegenüber Betroffenen und ihren Krankheiten in Deutschland. Besonders angehende Staatsbedienstete im Bildungs- oder sozialen Bereich verzichten deswegen trotz akuten Bedarfs auf eine entsprechende Behandlung.
Eine Bürgerinitiative nimmt das Heft in die Hand
Der Verein In Motion e.V. hat sich auf die Fahne geschrieben, genau diese Probleme in Politik und Gesellschaft anzugehen. Zum einen durch direkte Interessensvertretung in politischen Kreisen durch Gesprächsrunden und allgemeinem Austausch mit Abgeordneten, Wirtschaftsvertreter*innen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Zum anderen als breites Bündnis mit Bewegungscharakter, dass die Krise auf die Straße bringen möchte und in diversen Formaten für eine Sensibilisierung der deutschen Bevölkerung zum Thema mentale Gesundheit werben möchte. So sind beispielsweise Demonstrationen und Kundgebungen am 5. Oktober in Lübeck und am 12. Oktober vor dem Bundestag in Berlin geplant, welche der Bewegung als Auftakt für ein dynamisches Jahr im Einsatz für die deutsche Psyche dienen soll. Darüber hinaus setzt sich der Verein dafür ein, den Zugang zu Wissen über Emotionen, Kommunikation und Problemlösung, das traditionell in Psychotherapien vermittelt wird, zu erleichtern. Dafür sollen monatliche Infoveranstaltungen sorgen, welche mit dem Angebot einer zentralen Anlaufstelle für Hilfesuchende ergänzt werden und so ein Einstiegsangebot an jene richtet, welche bisher noch keinen Zugang zu diesen Themen gefunden haben. Die Mitglieder des Vereins möchten also nicht einfach auf die nötigen Veränderungen in Politik und Gesellschaft warten, sondern sind schon jetzt bereit für den Einsatz gegen die Metakrise psychische Gesundheit auf lokaler Ebene. Sollte dieser Ansatz Erfolg haben, könnten sich schon bald in ganz Deutschland lokale aktivistische Selbstreflexionsgruppen bilden, welche durch ihr Engagement eine eigene, auch politische, Dynamik entwickeln. Vielleicht ist dies der Impuls, der das Zeug dazu hat, „die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ zu legen, deren Notwendigkeit schon Erich Fromm im Jahre 1976 sah.
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