Europäische Industrie im Wandel

Entscheidungsträger der Zukunft: Die europäische Industrie

, von  Ella Witzke

Entscheidungsträger der Zukunft: Die europäische Industrie
Europäische Industrie im Wandel Bild: Graphic Recording / Christopher Burns / Lizenz

Die europäische Industrie steht vor mehreren Strukturbrüchen gleichzeitig: Nur wenn Digitalisierung, Ökonomie und Umwelt gleichermaßen berücksichtigt werden, hat die Industrie eine Zukunft. Ein Kommentar.

Die europäische Industrie – 1952 war sie mit ausschlaggebend für den Zusammenschluss der sechs Gründerstaaten zur „Europäischen Union für Kohle und Stahl“. Und bis heute ist ihr Erfolg überlebenswichtig für die EU. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde es jedoch verpasst den Wirtschaftszweig auf die neuen weltpolitischen, digitalen und umwelttechnischen Herausforderungen vorzubereiten. Weitere ausbleibende Modernisierungsmaßnahmen könnten nicht nur einen Rückgang dieses Sektors bedeuten, sondern die gesamte europäische Wirtschaft schwächen. Aufgrund dessen wurde im Frühjahr 2020 eine Industriestrategie vorgelegt. Hat Brüssel also verstanden, dass sich eine grüne Industrie in Zukunft bewährt machen könnte?

Als „Motor für Wachstum und Wohlstand“ bezeichnet die aktuelle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die europäische Industrie. Demnach würde eine gelungene Umstellung auf klimafreundliche, digitale Produktions-Alternativen das inner- und außereuropäische Selbstbewusstsein weiter antreiben. Gegensätzlich könnte ein inkonsequentes Handeln zur Stagnation des Wirtschaftswachstums und zu einem Rückgang des Wohlstandes führen.

Zwei gegen einen

Laut Zahlen der Kommission ist die europäische Industrie für 35 Millionen Arbeitsplätze und 80 Prozent der gesamten europäischen Exporte verantwortlich. Jedoch zeichnen sich die Produktion und die Im- und Exporte durch die kaum klimafreundliche Verwendung von endlichen Ressourcen und weiten Transportwege aus. Gleichermaßen dürfte die Digitalisierung aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs nicht gerade der beste Freund des verantwortungsvollen Umweltbewusstseins sein. Eine Studie des französischen Think Tanks Shift Projekt besagt beispielsweise, dass im Jahr 2018 alle Digitaltechnologien zusammengenommen verantwortlich für 3,7 Prozent der Emissionen waren. Verglichen dazu trug der zivile Luftverkehr im selben Jahr gerade mal 2 Prozent zum Ausstoß bei.

Auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit wirkt der Umweltschutz ebenfalls unattraktiv. Grüne Produktions- und Energie-Alternativen sind teuer. Das merken auch die Konsument*innen. Diese tendieren dann möglicherweise eher zum chinesischen oder US-amerikanischen günstigeren Produkt, mit einer schlechteren Umweltbilanz.

Bereits im Frühjahr 2019 beriet der Europäische Rat über langfristige Lösungen. Diese dienten als Grundlage für die von der Kommission im Frühjahr 2020 vorgelegte Industriestrategie. Sie beruht vor allem auf den im Green Deal festgehaltenen industriellen Zielen und visiert eine Umsetzung bis 2030 an.

Die Forschung als Hoffnungsträger

Vor allem der Güter- und Warenverkehr soll durch umweltfreundliche Treibstoffe und Elektrifizierung grüner werden. Da die Batterieherstellung in der Vergangenheit negativ durch umweltschädliche Lithium-Förderung und Produktion mit chinesischer Braunkohle auffiel, soll Forschung und Produktion nun auf europäischem Boden stattfinden. Das schafft zudem neue Arbeitsplätze. Hoffnung beruht gleichermaßen auf einer Weiterentwicklung der Wasserstoff-Strategie. Zwar ist diese Technologie bereits funktionsfähig, aber leider enorm kostenintensiv und deswegen, bis jetzt, wirtschaftlich nicht tragbar. Darüber hinaus soll der CO2-Ausstoß des Flugverkehrs besteuert und die Produktion gründlicher auf ihre Klimafreundlichkeit untersucht werden.

Kritik von Umweltschützer*innen und Industrie

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bemängelt die Vorhaben als zu „einseitig“ und sieht die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Außerdem solle sich, laut dem BDI, nach weiteren möglichen Stromanbietern auf dem globalen Markt umgeschaut werden, da die nationalen grünen Alternativen den Bedarf an Strom nicht decken würden. Eine gesicherte ausreichende Versorgung mit Energie ist essentiell, da der Green Deal vorsieht, die Transportmittel des Güterverkehres zu elektrifizieren. Hinzu kommen digitalisierte Arbeitsabläufe, die ebenfalls Strom benötigen.

Umweltschutzverbunde und die Grünen machen unterdessen darauf aufmerksam, dass die Zwischenziele, wie eine Reduzierung der Treibhausgase auf 60 Prozent, bis 2030 verglichen mit dem Basisjahr 1990, unzureichend seien. Sie fordern eine Senkung um mindestens 65 Prozent, um den Forderungen im Pariser Abkommen gerecht zu werden.

EU erhofft sich ein Wirtschaftswachstum um 12 Prozent

Ein weiterer Punkt ist die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), die 99 Prozent der europäischen Firmen ausmachen. Sie sollen durch reduzierte bürokratische Vorgänge leichteren Zugang zu klima- und digitalisierungs-unterstützende EU-Förderungen erhalten. Die finanziellen Mittel würden nicht nur Umschulungen der von dem strukturellen Wandel betroffenen Arbeiter unterstützen, sondern auch die Ausbildung der für die veränderten Technologien benötigten Fachkräfte fördern. Außerdem sollen die Gelder auch umweltfreundliche Rohstoffe subventionieren.

Die vorgelegten Lösungsansätze würden in der Theorie auch das Herzstück der Europäischen Union stärken: Den Binnenmarkt. Nach Angaben der europäischen Kommission gehen 70 Prozent der von KMU getätigten Exporte an EU-Mitgliedsstaaten. Doch nahezu alle KMU beklagen Schwierigkeiten im europäischen Handel. Durch Anpassung der EU-Binnenmarkt-Vorschriften und eine verbesserte Umsetzung dieser erhofft sich die Kommission Hürden, die Transaktionen und Warenaustausch erschweren, aus der Welt zu schaffen. Dies könnte, laut der europäischen Kommission, ein Wirtschaftswachstum von 12 Prozent mit sich bringen. Dabei sollte Brüssel aber nicht vergessen, dass die Grundvoraussetzungen grüne Produktions- und Handelswege sind.

Das Cap-und-Trade-Prinzip

Anreize dafür soll unter anderem die CO2-Bepreisung schaffen. Diese funktioniert nach dem sogenannten Cap-and-Trade-Prinzip. Zu Anfang wird eine gewisse Menge an Zertifikaten an die Firmen verteilt. Die Anzahl der Papiere bestimmt den erlaubten Ausstoß des jeweiligen Betriebes. Wenn dieser jedoch mehr ausstößt, kann er sich weitere Zertifikate von Firmen, die durch umweltfreundliches Produzieren Papiere übrighaben, kaufen (Trade). Pro Jahr wird die Zertifikat-Menge um eine bestimmte Menge reduzier (Cap), um die CO2-Emissionen weiter zu senken. Der große Kritikpunkt hierbei ist, dass der Zertifikat-Handel schon mit einem „Geburtsfehler“ startete. Die an die Unternehmen verteilte Menge an Zertifikaten war zu hoch, sodass es oftmals günstiger ist, sich weitere Papiere zu kaufen, statt in umweltfreundliche Technologien zu investieren. Wird dieser Fehler von der Kommission behoben, ist dieses Prinzip auf jeden Fall ein Anreiz für CO2-Einsparungen.

Gleichberechtigung der Herausforderungen

Inwieweit die Ansätze für eine moderne Industrie wirklich verfolgt werden, wird sich in näherer Zukunft zeigen. Die Aufgabe der EU ist es, umweltfreundliche Technologien durch Anreize attraktiver zu machen: Sowohl für die KMU als für die großen Unternehmen. Aktuell fordern letztere eine Anpassung der Strategie an die Corona-Pandemie, was aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs sinnvoll sein dürfte. Nicht jedoch, wenn man Subventionen und Produktion auf dem Rücken der Umwelt austrägt. Es ist im Interesse aller 27 Mitgliedsstaaten, dass der europäische Motor weiter funktionsfähig bleibt. Und das ist nur zu schaffen, wenn Digitalisierung, Ökonomie und Umwelt gleichermaßen berücksichtigt werden.

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