Im EU-Binnenmarkt können sich Arbeitnehmer frei bewegen, wenn sie einen Job in einem anderen Mitgliedsland finden. Schwierig wird es jedoch, wenn ein in Land A ansässiges Unternehmen den Arbeitnehmer X beschäftigt, ihn aber zum Einsatz nach Land B entsendet. Welche Arbeitnehmerrechte gelten dann für Mr. X – jene aus Land A oder aus Land B? Man stelle sich vor, Land A ist Rumänien und Land B Dänemark. Die Unterschiede bei Lohnstandards, Kündigungsschutz etc. sind enorm.
Deswegen gibt es seit 1997 die so genannte Entsenderichtlinie. Sie regelt, in welchen Bereichen die Standards des Herkunftslandes angewendet werden können und in welchen jene des Bestimmungslandes übernommen werden müssen. So müssen Unternehmen zum Beispiel Regelungen zur Höchstarbeitszeit oder zum Mindesturlaub aus dem Bestimmungsland anwenden, auch wenn diese höher sind, als im eigenen Land.
Die Richtlinie hat jedoch zahlreiche Schwachstellen und Schlupflöcher. Die Gewerkschaften fordern schon lange eine Überarbeitung, da die Richtlinie in ihrer aktuellen Form inländische und ausländische Arbeitnehmer gegeneinander ausspiele und die Löhne nach unten drücke.
Im Konflikt mit den Binnenmarktfreiheiten
Ein Kernproblem liegt im Verhältnis der Richtlinie zur im EU-Binnenmarkt verbrieften Dienstleistungsfreiheit: Verbindlich gelten durch die Entsenderichtlinie nur relativ wenige Regeln und das auch nur in einigen Bereichen des Bausektors. Mitte der 2000er Jahre hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu einer sehr restriktiven Auslegung entschlossen, derzufolge in allen anderen Bereichen und Sektoren im Zweifelsfall die Dienstleistungsfreiheit Vorfahrt vor Arbeitnehmerrechten hat. Streikaktionen und Tarifforderungen gegen Entsendefirmen wurden untersagt. Sehr zum Unmut der Gewerkschaften, versteht sich.
So heißt es beim Europäischen Gewerkschaftsbund zu den EuGH-Urteilen: „Sie haben zu beträchtlichem sozialen Unfrieden geführt und gefährden die Modelle der Sozialpartnerschaft. Der EuGH bestätigt die Hierarchie von Normen, bei der die Marktfreiheiten an der Spitze stehen und die sozialen Grundrechte auf Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen untergeordnet sind.“
Nun haben sich die Parteien des EU-Parlaments im Beschäftigungsausschuss auf einen Reformkompromiss verständigt. Dieser sieht vor allem eine Stärkung von Tarifverträgen sowie eine Stärkung des Anspruchs auf gleiche Entlohnung vor. Zudem werden die Rechte entsandter Arbeitnehmer bei Fragen der Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten gestärkt.
Das Problem der Überordnung der Binnenmarktfreiheiten über soziale Belange ist damit zwar nicht ausgeräumt, zumindest aber nach 18-monatigen Verhandlungen in seiner Reichweite begrenzt.
Viel Zustimmung für den Kompromiss
Bei der Europäischen Volkspartei ist man zufrieden: „Ich bin sehr glücklich, dass die EVP-Fraktion ihre starke Stimme in den Verhandlungen geltend machen konnte und dass das EU-Parlament einmal mehr seiner Verpflichtung nachgekommen ist, nationale Trennlinien zugunsten gemeinsamer Lösungen zu überwinden“, sagte der Sprecher im Beschäftigungsausschuss, David Casa.
Die sozialdemokratische Berichterstatterin Agnes Jongerius sieht es ähnlich: „Die heutige Abstimmung ist ein Sieg für alle Arbeitnehmer und alle Unternehmen, die sich an die Regeln halten. Wir wollen sicherstellen, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, den gleichen Lohn erhalten und den gleichen Schutz genießen.“
Auch bei den Grünen ist man zufrieden: „Die Reform der Entsenderichtlinie würde zeigen, dass Europa bereit für den Wandel ist und zentrale Fehler im Binnenmarkt angeht. Lohndumping verursacht schweren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden. Falls der Reformvorschlag des Parlaments auch die Zustimmung des Rates findet, könnte dem Lohndumping jetzt endlich Einhalt geboten werden“, sagte deren Abgeordneter Sven Giegold.
Die Vorsitzende der linken GUE/NGL-Fraktion, Gabi Zimmer, trägt den Kompromiss zwar als Schritt in die richtige Richtung mit, gibt sich aber zurückhaltender: „Leider wurden bei der Höchstdauer der Entsendezeit schlechte Kompromisse gemacht. Der EMPL-Kompromiss sieht eine Frist von 24 Monaten vor, bevor das Arbeitsrecht des Aufnahmelandes voll und ganz gilt. DIE LINKE hatte gefordert, dass dies von Tag eins an gelten sollte.“
Für die Berichterstatterin der liberalen ALDE-Fraktion, Martina Dlabajová, hingegen ist gerade diese lange Frist ein Grund zur Freude: „Wir sind glücklich, dass wir uns im Parlament letztlich auf den 24-monatigen Entsendezeitraum einigen konnten und dass dieser noch ausgedehnt werden kann. Dieser Zeitrahmen ist auf einer Linie mit anderen wichtigen EU-Gesetzen.“
EP-Plenum und Rat müssen zustimmen
Beschlossen ist die Reform damit noch nicht. Zunächst muss der Kompromiss aus dem Ausschuss auch vom Plenum des EU-Parlamentes angenommen werden. Zudem braucht es die Zustimmung des Rates.
Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand fordert daher das Plenum des EU-Parlamentes auf, „diesen Beschluss zu bestätigen und damit ein robustes Mandat für die Verhandlungen mit dem Rat der Europäischen Union zu bilden.“
Mit den Inhalten des Reformkompromisses ist die Gewerkschafterin zufrieden: „Die vielleicht letzte Chance, die Entsenderichtlinie wirklich besser und gerechter zu machen, darf nicht vertan werden. Das Prinzip ´Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ findet sich in zentralen Punkten des Beschäftigungsausschusses wieder: Entsandte Beschäftigte sollen künftig nicht mehr nur auf Basis des Mindestlohns bezahlt werden, sondern haben deutlich weiter gefasste Lohnansprüche. Damit wird ein wichtiger Schritt gegen eine faktische Zweiklassen-Gesellschaft unternommen, in der entsandte Beschäftigte regelmäßig deutlich niedrigere Löhne als ihre heimischen Kolleginnen und Kollegen erhalten, obwohl sie dieselben Aufgaben ausführen.“
Dieser Artikel ist zuerst bei unserem MedienpartnerEuractiv.de erschienen.
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