EU-Budget 2021-27: Der lange Weg zur Einigung

, von  Magdalena Pistorius

EU-Budget 2021-27: Der lange Weg zur Einigung
Agierten als Vermittler*innen: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäische Kommission, und Charles Michel, Präsident des Europäisches Rates. Foto: Flickr / EU2020DE / CC BY-NC 2.0

Anfang 2018 begann der Europäische Rat die Verhandlungen um das künftige Budget der Europäischen Union – den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für den Zeitraum 2021 bis 2027. Zweieinhalb Jahre, europäische Wahlen und eine Pandemie später haben sich die Staats- und Regierungschef*innen inzwischen auf ein Finanzpaket geeinigt. Ein wichtiger Schritt – aber nicht der letzte, bis das neue Budget pünktlich zum 1. Januar 2021 zur Verfügung steht.

Begonnen hat alles am 23. Februar 2018: Da legten die europäischen Staats- und Regierungschef*innen ihre Prioritäten für das zukünftige EU-Budget fest: mehr Ausgaben für Sicherheit, gemeinsame Verteidigung und den Kampf gegen illegale Migration, aber auch für ERASMUS+ und die gemeinsame Forschung im Rahmen des Programms Horizon Europe. Der Gipfel Anfang 2018 gab den Startschuss für monatelange Verhandlungen.

Dem Impuls des Europäischen Rates folgend, veröffentlichte zunächst die Europäische Kommission, das exekutive Organ der EU (dem gleichzeitig das Recht für Gesetzesinitiativen innewohnt), im Mai 2018 einen konkreten Vorschlag, um die politischen Prioritäten finanziell umzusetzen. Dessen Titel „Ein modernes Budget für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt“ ist bezeichnend für die damals vorrangigen Themen Migration und Sicherheit. Nach der Veröffentlichung ihres Vorschlags hoffte die Kommission auf eine rapide Einigung der gesetzgebenden Organe. Bis zum Herbst 2019 sollten das EU-Parlament als Vertreter der Bürger*innen und demokratischer Werte und der Rat der EU sich auf den MFR 2021-27 geeinigt haben.

Seit Februar 2018 sind zweieinhalb Jahre vergangen. Eine Zeitspanne, in der die EU zwei schwerwiegende Umwälzungen durchlebt hat: zum einen die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019. Zum anderen eine globale Pandemie, die Europa in die härteste Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges gestürzt hat. Währenddessen ist der MFR 2021-27 noch immer nicht unter Dach und Fach.

Zu lange unterschätzt: Faktor Klimaschutz

Das erste politische Erdbeben erfolgte, wie schon erwähnt, vor gut einem Jahr. Nach langanhaltenden Protesten für mehr Klimaschutz im Zuge von Fridays for Future verlieh das Ergebnis der Parlamentswahl 2019 dem Wunsch insbesondere vieler junger Wähler nach grünen Themen auch politischen Ausdruck. Die Grünen/Europäische Freie Allianz, der auch die deutschen Grünen angehören, gingen, wenn auch bei weitem nicht als stärkste Fraktion, aber durchaus als klare Gewinner*innen aus der Wahl hervor.

Ein Ergebnis, das die neue EU-Spitze zum Umdenken bewegte: Am 11. Dezember 2019 legte die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen „Green Deal“ für Europa vor. Das Budget hätte zu diesem Zeitpunkt allerdings längst abgesegnet sein sollen.

Stattdessen rückte erst jetzt, nach eineinhalb Jahren mühsam vorangeschrittener Diskussionen – und nur noch ein Jahr vor Beginn des neuen MFR – das Thema Klimaschutz ins Zentrum der Verhandlungen. Bis dahin nur ein Unterpunkt der Verhandlungen zum EU-Budget 2021-27 wurde die Thematik plötzlich zur Priorität. Die gesetzgebenden Institutionen der EU hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Hälfte der bisher ausstehenden Unterpunkte ausgehandelt, die es im Rahmen des neuen Budgets zu diskutieren galt.

Covid-19: Sprungbrett für eine historische Einigung?

So blieb auch im Februar 2020 eine Einigung aus. Der Gipfel, bei dem Staats- und Regierungschef*innen der EU die finanzielle Frage endlich klären wollten, scheiterte: Während Befürworter*innen eines „ehrgeizigen Europas“ sich für ein Budget von mindestens 1,3% des europäischen Bruttoinlandprodukts (BIP) aussprachen, hielten die als „sparsamen“ (oder auch „geizigen“) Vier bezeichneten Länder Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande an ihrer Forderung nach einem Budget von nur 1,0% des BIPs fest. Der Grund: Mit Deutschland zählen diese Staaten ohnehin zu den größten Nettozahler*innen der EU, also jenen Mitgliedern, die mehr in die EU investieren, als sie von ihr finanziert bekommen. Um den finanziellen Ausfall Großbritanniens nach dem Brexit zu decken und ein ambitioniertes Budget auf die Beine zu stellen, wären noch größere Beiträge nötig. Im Gegenzug dafür beharrten die sparsamen Vier auf individuellen Beitragsrabatten. Diese Beitragsentlastungen hätten mit dem neuen Budget vereinheitlicht werden sollen, zum Nachteil der Sparsamen. Eine schnelle Übereinkunft war daher also auch Anfang 2020 noch immer nicht in Sicht.

In die zähen und fruchtlosen Verhandlungen platzte die Coronakrise - und plötzlich erschienen Migration, Sicherheit und auch Klimaschutz im Licht der wirtschaftlich katastrophalen Auswirkungen der Krise zweitrangig. Zum zweiten Mal in weniger als einem Jahr machte, angestoßen von mehreren südlichen Mitgliedern der EU, ein neuer Begriff die Runde: die gemeinsamen Schulden. Während der Coronakrise kam die Forderung nach sogenannten „Corona-Bonds“ auf: von der EU als ganze aufgenommene Schulden bei der Europäischen Investitionsbank, mithilfe derer der Wirtschaftseinbruch gemeinschaftlich geschultert werden sollte. Diese Schulden sollten anschließend von allen Mitgliedsstaaten gemeinsam getilgt werden.

Der Gipfel der Ironie: Nachdem es im Verlauf zweier Jahre nicht gelungen war, eine Einigung zum neuen MFR zu erringen, stand mit diesem Vorschlag im Frühjahr 2020 ein zusätzliches Paket von mehreren hundert Milliarden Euro auf dem Tisch. Getragen wurde die Forderung von neun EU-Staaten, neben Italien auch Spanien, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Irland, Portugal, Griechenland und Slowenien. Kaum denkbar war allerdings, dass dieses Paket die Zustimmung der sowieso schon als „geizig“ bezeichneten nördlichen Staaten bekommen sollte. Die stemmten sich wie erwartet gegen den Vorschlag, die gemeinsam aufgenommenen Schulden als Zuschüsse an besonders krisengebeutelte Mitglieder zu verteilen. Ihre Forderung lautete, die Finanzspritzen nur in Form von Krediten auszugeben. Auch Deutschland, jahrelanger Befürworter einer Politik der Schuldenbremse, stand dem Vorschlag zunächst sehr kritisch gegenüber.

Dem ungeheuren Druck der Coronakrise mag es zu verdanken sein, dass im Juli 2020, nur wenige Monate nach dem ersten Vorschlag zum gemeinsamen Schuldenprojekt, tatsächlich eine Übereinkunft zustande kam. Auf den Ausbruch der Krise hatte die EU zunächst keine koordinierte Antwort liefern können, Mitgliedsstaaten schlossen ihre Grenzen im Alleingang. Schnell wurde aber, besonders am Beispiel des hart getroffenen Italiens, klar, dass die Krise nicht in nationalen Alleingängen zu bewältigen war. Für den europäischen Zusammenhalt wurde Corona zum „Stresstest“ – und die Frage nach gemeinsamen Schulden war letztlich stellvertretend auch die Frage, ob die EU die von ihr symbolisierte Solidarität auch tatsächlich in die Tat umsetzen konnte und wollte.

Deutsche Kehrtwende auf dem Weg zu gemeinsamen Schulden

Im Mai schlug Deutschland sich schließlich überraschend auf die Seite der Schulden-Befürworter*innen und machte, gemeinsam mit Frankreich, einen bahnbrechenden Vorschlag für gemeinsame Schulden in Höhe von 500 Milliarden Euro. Das Geld sollte in Form von Direktzuschüssen ausgezahlt werden – also ohne Forderung nach Rückzahlung. Damit gab das oft als „Motor der EU“ bezeichnete Paar ein starkes Zeichen. Gerade Deutschland, das oft auf Seiten der „Sparsamen“ stand, im Rahmen der EU-Präsidentschaft von Juli bis Dezember 2020 aber auch den Weg aus der Krise finden soll, bezog damit Stellung für ein solidarisches Europa. Dass Deutschland auf seine historische Linie des Schuldenverbots verzichtete, verlieh dem Bewusstsein Ausdruck, dass es sich bei der Coronakrise um eine beispiellose Zerreißprobe für Europa handelte – und machte eine EU-weite Einigung möglich.

Im Zuge des zweitlängsten EU-Gipfels der Geschichte konnten sich die europäischen Staats- und Regierungschef*innen am 21. Juli, knapp zweieinhalb Jahre nach Beginn der Verhandlungen und dank deutsch-französischer Bemühungen, auf das künftige EU-Budget von 1074,3 Milliarden Euro und einen gemeinsamen Europäischen Aufbauplan (750 Milliarden Euro gemeinsame Schulden, davon - auf Druck der „sparsamen Vier“ - aber nur 390 statt 500 Milliarden in Form von Direktzuschüssen) einigen - wenn auch auf Kosten vieler geplanter Innovationen und gerade grüner Ambitionen. Der Fonds für einen gerechten Übergang etwa, der von der angestrebten Klimaneutralität negativ betroffene Regionen beim Wandel unterstützen sollte, ist von gut 30 auf nur noch zehn Milliarden Euro heruntergeschraubt worden. Und auch die Wissenschaft, die die EU so dringend nötig hätte, um ihren Markt und ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zu fördern, steckt harte Kürzungen ein.

Die Mitte Juli erzielte Einigung ist dennoch ein beispielloser Schritt und Symbol dafür, dass die EU ihre Zerreißprobe bis jetzt bestanden hat. Die Verhandlungen zum MFR 2021-27 stehen damit aber keinesfalls am Ende. Noch muss das EU-Parlament dem Vorschlag zustimmen: Ohne sein „Ja“ sind selbst die Spitzen der Mitgliedsstaaten machtlos. Angesichts der vorgesehenen Kürzungen, vorrangig bei modernen und ökologischen Themen, hat der Präsident des Parlaments, David Maria Sassoli, aber bereits neue Verhandlungen angekündigt: Endgültig ist die Entscheidung also noch nicht. Nach der Sommerpause kommt das Europäische Parlament erst Mitte September wieder zusammen: So bleiben nur noch wenige Monate, um das budgetäre Projekt zum Abschluss zu bringen – und die europäischen Geldhähne ab dem 1. Januar 2021 weiter sprudeln zu lassen.

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