Woraus besteht dieses Projekt? Welche Interessen hat die EU in diesem komplexen geopolitischen Umfeld? Zulasten des Eurozentrismus in Brüssel könnte die Nachbarschaftspolitik zeigen, dass die größten Herausforderungen Europas innerhalb der eigenen Grenzen liegen. Nezim Tandjaoui von Eurosorbonne spricht über die Östliche Partnerschaft der EU.
Die Nachbarschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft: Europas Grenzen im Zentrum der EU-Anliegen
Mit der Östlichen Partnerschaft hat die Europäische Union eine ehrgeizige Nachbarschaftspolitik auf den Weg gebracht. Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde im März 2001 auf der Tagung des Europäischen Rates in Stockholm erarbeitet. Ziel ist es, die Entstehung neuer Brüche in ganz Europa zu verhindern. Nur durch die Zusammenarbeit kann Europa auf eine Reihe von Fragen bezüglich Grenzmanagement effizient reagieren, wie zum Beispiel organisierte Kriminalität, illegaler Handel und irreguläre Einwanderung.
Die Nachbarschaftspolitik hört aber dort nicht auf: Mit der auf dem Prager Gipfel im Mai 2009 eingeweihten Östlichen Partnerschaft will die EU mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, der Ukraine und Weißrussland Abkommen schließen. Leider fokussieren sich die Westeuropäer*innen auf diese Länder nicht allzu sehr. Die EU-Politik beinhaltet keinesfalls ein Beitrittsverfahren, sehr wohl aber eine gute Grundlage für die Stärkung der Beziehungen zu Themen wie Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung in der gesamten östlichen Nachbarschaft. Das erste Forum der Östlichen Partnerschaft fand im Mai 2012 in Tiflis statt und führte zu neuen Verhandlungsabkommen, welche die nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 90er-Jahren geschlossenen Partnerschaften ersetzen. Derzeit sind jedoch nur Abkommen mit Georgien, Moldawien und der Ukraine erfolgreich.
Die Herausforderungen und Ziele der Östlichen Partnerschaft: Kann die EU die Region vereinen?
Als Teil der Östlichen Partnerschaft hat die EU eine multilaterale Perspektive angenommen: Einerseits muss sie ihre politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den interessierten Ländern stärken, damit sie sich der EU annähern können. Andererseits muss die EU bilaterale und unverbindliche Abkommen schließen, um die Interessen der Länder des Kaukasus so weit wie möglich zu wahren. Tatsächlich, so das Jacques-Delors-Institut, müsse die EU berücksichtigen, dass sie bei der Festlegung der Regeln in der Region nicht allein sei.
Georgien, Moldawien und die Ukraine betrachten die Partnerschaft als ein „Vorzimmer einer hypothetischen Erweiterung“. Andernfalls streben Armenien und Weißrussland doch nach einer Stärkung der Beziehungen zur EU an, setzen aber gleichzeitig ihre Beziehungen zu Russland fort. Dieser Interessensunterschied spiegelt sich in individuellen Abkommen wider: Im Vergleich zu den eher umschriebenen Partnerschaften mit Weißrussland und Aserbaidschan sind die Integrationsabkommen mit Moldawien, Georgien und der Ukraine sehr umfassend und ermöglichen den Ländern Zugang zum EU-Binnenmarkt.
Der Kaukasus ist ein komplexes geopolitisches Gebiet, von dem der Zusammenhalt des Kontinents abhängt. Am Ende des Kalten Krieges im Jahr 1990 wurde in der Charta von Paris für ein neues Europa anerkannt, dass die Ära der Konfrontation und Spaltung auf dem Kontinent vorbei sei. Doch heute scheint sich Europa mit der Entstehung neuer Ost-West-Spaltungen konfrontieren zu müssen, die für lange beseitigt gehalten wurden.
Europa konzentriert sich hauptsächlich auf den Aufbau eines Sicherheitsnetzes von wohlhabenden Staaten entlang seiner Grenzen. Die innenpolitische Situation dieser Staaten entspricht jedoch nicht immer demokratischen Grundsätzen: Beispielweise werden politische Dissidenten in Weißrussland inhaftiert. Das Problem der Integration der Kaukasusländer mit den europäischen Werten wirft viele Debatten in der EU-Gemeinschaft auf.
Die EU und Russland: Gegenseitiges Verständnis ist notwendig für eine funktionierende Östliche Partnerschaft
Trotz des Endes des Kalten Krieges ist der europäische Kontinent durch zwei regionale Mächte gekennzeichnet, die manchmal als gegensätzlich empfunden werden: die EU und Russland. Wenn der Kaukasus engere Beziehungen zur EU unterhalten würde, könnte er es sich nicht leisten, wirtschaftliche Konsequenzen zu haben. Andererseits könnten die europäischen Wähler*innen die Gewährung von Finanzhilfen an die Länder der Östlichen Partnerschaft ablehnen. Grundsätzlich hängt also der Erfolg der Östlichen Partnerschaft von guten Beziehungen zwischen der EU und Russland ab.
Die Herausforderungen der Östlichen Partnerschaft liegen damit in einem breiteren Kontext - und zwar der des historischen Misstrauens zwischen der EU und Russland. Als sich die eurasischen Beziehungen zwischen den Jahren 1990 und 2000 - insbesondere mit der NATO-Russland-Grundakte von 1997 - verbesserten, erhöhten die Konflikte im Kosovo und in der Ukraine die Spannungen zwischen der EU und Russland.
Diese Spannungen sind das Herzstück der Östlichen Partnerschaft. Tatsächlich glauben russische Strategen, dass diese Partnerschaft ihren Interessen in der Region - insbesondere im Bereich der Energieressourcen - wiedersetzt. Russland ist nach wie vor Europas führender Energielieferant. Das Misstrauen Russlands beruht jedoch nicht nur auf wirtschaftlichen, sondern auch auf strategischen und geopolitischen Themen. Der russische EU-Botschafter Vladimir Chizhov erklärte: „Die EU allein kann nicht für regionale Instabilität verantwortlich gemacht werden. Jedoch hat die Brutalität, mit der die EU versucht, die Region zu „zivilisieren“ und ihre eigenen Standards und Werte durchzusetzen, die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht attraktiver gemacht.“ Es ist daher in den Händen der Kaukasusländer, die von der EU gebotenen Möglichkeiten zu nutzen, ohne ihre historischen Beziehungen zu Russland zu beeinträchtigen.
Die Östliche Partnerschaft könnte für die Zukunft des Kontinents von großer Bedeutung sein. Die Herausforderungen Europas liegen innerhalb seiner Grenzen, die Zusammenarbeit und Partnerschaften mit Osteuropa könnten aber doch auf die Zivilgesellschaft stützen, um demokratische Grundsätze aufrechtzuerhalten.
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