45 Prozent der AfD-Wähler gaben an, diese gewählt zu haben, weil die Europawahlen „nicht so wichtig sind“. Diese Aussage ist nicht nur bescheuert, sondern zutiefst besorgniserregend. Jetzt ist es Aufgabe der etablierten Parteien, den Europäern zu zeigen, dass Europa wichtig ist!
Ich habe mir von dieser Wahl drei Schlüsselmomente für die demokratische Entwicklung der Europäischen Union erhofft: Öffentlichkeit, Diskurs um Politikalternativen und Legitimation. Zumindest im ersten Punkt wies der Wahlkampf in die Zukunft durch europaweite Spitzenkandidaten und transnationale Debatten wie TellEurope. Ein echter europapolitischer Diskurs entfachte sich jedoch nicht. Enttäuschend ist ebenso die Wahlbeteiligung - Stagnation nach dem historischen Tiefstand von 2009. Das Europäische Parlament braucht eine stärkere demokratische Legitimation.
Die Machtkonstellation zwischen Parlament, Rat und den Parteienfamilien ist kompliziert. Die Beteiligten müssen das demokratische Votum im nun folgenden Poker mit großer Verantwortung bearbeiten, um diese Wahl nicht nachträglich zu einer Farce zu machen. Dazu gehört, dass der Spitzenkandidat der siegreichen EVP Jean-Claude Juncker den Auftrag zur EU-Kommissions-Präsidentschaft erhalten hat.
Der Erfolg europaskeptischer oder gar rechter Parteien zeigt, dass die großen Volksparteien es immer noch nicht verstanden haben dem europäischen Normalbürger die EU, deren Vorteile und die europäische Idee näher zu bringen. Europa ist und bleibt für viele ein Fantasiekonstrukt ohne Auswirkungen aufs eigene Leben - schade.
Europa wird rechter - eine besorgniserregende Entwicklung, auch wenn wenigstens in Deutschland der ganz große Rechtsruck ausgeblieben ist. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen steht hinter Europa und hat auch so gewählt. 6,5 Prozent für die AfD zeigen aber trotzdem, dass noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Die europäische Idee kann begeistern, auch wenn die Realität oft grau und trocken daherkommt. Bis zur nächsten Europawahl haben wir und alle anderen Europa-Enthusiasten jetzt also wieder fünf Jahre Zeit, diese Begeisterung zu verbreiten.
Die Erfolge der EU-kritischen Parteien bei der Europawahl bereiten mir die größten Sorgenfalten. Auch das die Euroskeptiker der AfD aus dem Stand fast sieben Prozent holen und so nun sieben Abgeordnete ins Parlament entsenden dürfen, hatte ich so nicht erwartet. Gespannt bin ich darauf, was die anderen 13 deutschen Parteien im EU-Parlament einbringen, die vom Wegfall der Prozenthürde profitieren. Die Kleinstparteien haben insgesamt einen größeren Zulauf bekommen, als bei der vergangenen Europawahl - das finde ich gut! Positiv ist ebenfalls, dass die Wahlbeteiligung in Deutschland um fast fünf Prozent gegenüber 2009 gestiegen ist und ebenso deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt. Eine Entwicklung, die Mut macht.
Unabhängig der Ergebnisse war die Einigung auf europaweite Spitzenkandidaten ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Martin Schulz, Jean Claude Juncker, Guy Verhofstadt, Ska Keller und Alexis Tsipras haben in vielen Gelegenheiten bewiesen, dass Europa sehr wohl eine Herzensangelegenheit sein kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den nächsten fünf Jahren die öffentlichen Rundfunkanstalten und führende Politiker noch mehr trauen, den Menschen das Thema Europa im Alltag näher zu bringen- und zwar nicht erst wenige Wochen vor der Wahl.
Während in Großbritannien, Dänemark und Frankreich rechtsnationalistische Parteien erschreckend erfolgreich waren, haben die Wähler in den Krisenstaaten für die europäische Demokratie gestimmt. In Italien (60 Prozent) und Griechenland (58,2 Prozent) lag die Wahlbeteiligung weit über dem EU-Durchschnitt. Abgesehen von der Goldenen Morgenröte, die in Griechenland drittstärkste Kraft wurde, gingen die meisten Stimmen an pro-europäische Parteien. Dass davon vor allem linke Parteien profitieren konnten, ist folgerichtig. Die EU-Sparpolitik der letzten Jahre ist für die hohe Arbeitslosigkeit und die schwache Wirtschaftschatentwicklung in diesen Ländern mitverantwortlich. Aufgabe der kommenden Kommission wird es deshalb sein, Europa ein soziales Gesicht zu geben.
Leider ist das eingetroffen, was von Experten prognostiziert wurde. Euroskeptische Parteien sind die Gewinner der Europawahl 2014. Auch die europaweit niedrige Wahlbeteiligung lässt sich nicht schön reden. Allerdings muss erwähnt werden, dass einige nationale Wahlsysteme es vor allem im Ausland lebenden Bürgern erschwerten oder gar unmöglich machten, ihre Stimme abzugeben. Ein einheitliches Wahlsystem wäre demnach ein wichtiger Schritt für 2019.
Nichtsdestotrotz sollten auch einige positive Punkte genannt werden. Die Wochen vor der Europawahl haben ein neues Licht auf die EU Institutionen und Brüssel geworfen. Die Einigung auf einen Spitzenkandidaten hat den Wahlkampf interessanter und dynamischer gemacht. Twitter Kampagnen und Wahltouren à la Barack Obama haben gezeigt, dass Europapolitik alles andere als trocken ist. Man hat viele motivierte und junge Europäer gesehen, die wissbegierig und mit großem Engagement die Debatten verfolgt haben. Unsere junge Generation hat alles gegeben und gezeigt, dass uns die Zukunft Europas am Herzen liegt. Zu wünschen ist, dass dies nun auch Anerkennung bei den entsprechenden Entscheidungsträgern findet.
Der Wahl und später der Kommission ein Gesicht geben - das war der Grundgedanke hinter der Nominierung von europaweiten Spitzenkandidaten. Keine schlechte Idee, aber bei Weitem nicht genug. Das zeigt die durchschnittliche Wahlbeteiligung von etwas mehr als 43 Prozent. Zwar ist es ein Erfolg, dass mehr Bürger an die Urne gegangen sind als 2009 und damit die Wahlbeteiligung erstmals wieder angestiegen ist. Zufriedenstellen kann es einen aber nicht, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten einfach zu Hause bleiben. Was im Wahlkampf fehlte, waren Inhalte und klare Standpunkte. Die zwei Favoriten, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, unterschieden sich in ihren Ansichten zum zukünftigen Europa nur marginal. „Ich stimme dem zu“ war der meist gehörteste Satz beim TV-Duell zwischen den Beiden. Schlimmer noch: Wenn von fast jedem CDU-Wahlplakat das Konterfei Angela Merkels prangt, obwohl sie gar nicht zur Wahl steht, ist das Irreführung.
Bei der nächsten Europawahl 2019 braucht es neben den Köpfen kontroverse Themen, über die öffentlich gestritten wird. Schafft man es, die Wahlbeteiligung signifikant zu erhöhen, dann haben auch die Rechtspopulisten und Euroskeptiker ein Problem. Sie zehren davon, dass sie ihre Wählerschichten wesentlich besser mobilisieren können. Auch bei der Europawahl gilt das Credo: Jede nicht abgegebene Stimme ist eine für Extremisten und Populisten.
Sieger der Europawahl 2014 sind die euroskeptischen Parteien. Keine große Überraschung, sonder eher eine selbsterfüllende Prophezeiung. Politiker der proeuropäischen Parteien stehen nun vor einer wichtigen Aufgabe: Sie müssen das Vertrauen der Menschen in die EU zurückgewinnen.
Diese Aufgabe fällt auch den nationalen Medien zu. Journalisten nehmen die Funktion des Sprachrohrs zwischen den politischen Eliten und den EU-Bürgern ein, berichten jedoch überwiegend aus nationaler Perspektive. Über wichtige politische Entscheidungen auf EU-Ebene, werden die Bürger entsprechend unzureichend informiert.
Die Europäisierung einzelner Öffentlichkeiten existiert zwar in Ansätzen, ist aber noch nicht sehr ausgeprägt. Mit einer intensiveren europäischen Berichterstattung und einigen Spezial-Artikeln im Vorfeld der Europawahl ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung, doch reicht es bei Weitem nicht, eine kurzfristige und zeitlich begrenzte Aufmerksamkeit auf Europa zu richten. Wenn vor der Wahl „zehn gute Gründe für Europa“ abgedruckt werden, oder die EU in einer Fernsehsendung nochmal schnell erklärt wird, aber Europathemen sonst keinen festen Platz in einer eigene Rubrik erhalten, gerät das europäische Geschehen bei den Lesern oder Zuschauern schnell in Vergessenheit. Dann wird nur noch mit negativen Schlagzeilen über eine anhaltende Krise an die EU erinnert. Die positiven Aspekte der EU finden in großen Leitmedien ebenso wenig Platz, wie in regionale Medien, die mit Berichten über die Honig-Richtlinie und Olivenöl-Kännchen zur Verbreitung von Euroskeptizismus beitragen.
Zeitungen, Radio und Fernsehen müssen dafür sorgen, dass die europäische Berichterstattung ganzjährig intensiviert wird und weniger national gefärbt ist. Die EU geht alle an. Erst wenn das zum Leitspruch nicht nur der Politiker, sondern auch aller europäischen Medien wird, haben wir das Projekt Europa verstanden.
1. Am 29. Mai 2014 um 16:23, von Alexander Peters Als Antwort „Europa wird rechter - eine besorgniserregende Entwicklung“
BRÜSSEL - DAS NEUE WEIMAR
Ein Parlament voller Extremisten, die dieses Parlament und die dahinter stehende politische Ordnung zerstören wollen. Ein Parlament, in dem es infolgedessen nicht mehr um inhaltliche Alternativen geht – bürgerliches oder rotgrünes Europa - sondern nur noch um Sein oder Nicht-Sein – Überleben oder Scheitern der EU. - Woran nur erinnert einen das?
Genau: Seit Sonntag findet das Brüsseler Europa sich in demselben Belagerungszustand wieder, wie die Weimarer Republik nach den Reichstagswahlen von 1930. Im neuen Europaparlament werden herkömmliche Linke und Rechte ihre inhaltlichen Unterschiede nicht mehr austragen können, sondern sind - wie einst Zentrum und Weimarer SPD – zu einer Zwangsehe gegen die „System-“Feinde verdammt. Man ist mit einer irren Rechts-Opposition konfrontiert, die niemals an die Regierung kommen darf, die aber eben dadurch, daß sie von der Macht ferngehalten wird, dieser immer näher kommt - weil alle anderen Parteien sich in einer Einheitsbrei-Dauerregierung verbrauchen und so dieser unverbrauchten, „frischen“ Opposition immer weitere Wähler zutreiben.
Wie konnte es dazu kommen? - Nun, weil Brüssel, wie einst Weimar seine Bürger abstößt. Wie Weimar ist es zum Inbegriff politischer Zerfaserung und Handlungsunfähigkeit geworden. Ein Parlament aus 7, 8 losen Fraktionen, sowie weiteren Gruppen und letztlich Vertretern von über 200 nationalen Parteien? Ein Parlament, dem der Kommissionspräsident von außen vorgesetzt wird? Die Parteienzersplitterung des Reichstages und seine Ohnmacht gegenüber Hindenburgs „Präsidialkanzlern“ lassen grüßen. - Und wie Weimar, ist auch Brüssel unfähig, irgendeine Krise überzeugend zu bewältigen: Ob Jugoslawien und Irak, oder jetzt Euro und Ukraine - was immer die EU anfaßt, gerät ihr zu einer Hängepartie, die sie zerstritten und dumm aussehen läßt. Ein Europa aber, das seinen Bürgern ein solches Schauspiel bietet, muß sich nicht wundern, wenn diese es verachten.
Wie 1949 die Gründer der Bundesrepublik, sollten heute die Pro-Europäer erkennen, das kein demokratisches Gebilde überlebensfähig ist, das verworren und erfolglos wirkt. Europa hat keine Zukunft, außer als funktionierende Bundesrepublik mit parlamentarischer Regierung. Der Status quo - Europa im verfassungsrechtlichen Niemandsland zwischen Staatenbund und Bundesstaat - ist unhaltbar. Für den politischen Diskurs der Europäer - gerade auch in diesem Magazin - aber heißt das: Hört endlich mit dem Politologen-Schwulst auf! Findet zurück zu einer klaren Politik und Sprache! „Politische Union“, „Projekte“, „Prozesse“, „Intergouvernementalismus“, „Gemeinschaftsmethode“ – all das sind Vokabeln einer vernebelten Verlierersprache. Es geht um einen demokratischen, europäischen Bundesstaat. Von dem müssen die Bürger überzeugt werden; der erste Schritt dazu aber ist, ihn klar und furchtlos beim Namen zu nennen.
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