Europäische Identität: Vielfalt in einer Form von Einheit

, von  Daphné Simo, übersetzt von Daniel Batel

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Europäische Identität: Vielfalt in einer Form von Einheit
Fotoquelle: Fotos von der JEF CZ für treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt

Am 10. Mai 2018, einen Tag nach dem 68-jährigen Jubiläum des Schuman-Plans, fand im tschechischen Senat in Prag eine Konferenz über die Frage der europäischen Identität statt. Möglich gemacht haben dies maßgeblich das Komitee für Europäische Angelegenheiten des tschechischen Parlaments sowie die Jungen Europäischen Föderalisten der Stadt Prag.

Die vielfältigen Beiträge der Konferenzteilnehmer*innen haben die Veranstaltung zu einer lebendigen Debatte gemacht, in der jeder die Chance hatte, seine Definition europäischer Identität zu erklären und dabei auch mögliche Einschränkungen zu diskutieren. Dabei führten sicherlich auch die unterschiedlichen Nationalitäten der Teilnehmer*innen zu andersartigen Ideen – so waren neben Teilnehmer*innen aus direkten Nachbarstaaten Tschechiens etwa auch Vertreter aus Frankreich oder Italien dabei und sogar welche, deren Länder vor 100 Jahren an der Entstehung der modernen Tschechischen Republik beteiligt waren.

Aus der Konferenz sollen hierin die Standpunkte von drei Botschaftern aus Frankreich (Roland Galharague), Italien (Aldo Amati) und der Slowakei (Peter Weiss) diskutiert werden. Sie beinhalteten sowohl Visionen zu einer stärkeren Union und einer europäischen Identität als auch bestimmte damit verbundene Vorbehalte einzelner Nationen. Eines der stärksten Bedenken, die genannt wurden, war die Angst vor einer „Hyper-Europäisierung“ des Kontinents. In der Tat ist die Zahl der Mitgliedsstaaten seit Beginn des 21. Jahrhunderts kontinuierlich gestiegen. Waren es bei der Gründung 1957 noch sechs Staaten, sind es heute (Großbritannien noch mitgezählt) 28. Insbesondere Staaten, die heute noch kein Mitglied der EU sind, müssen sich häufig der Politik Brüssels anpassen, weil die EU auf dem Kontinent sehr dominant auftritt und die Rahmenbedingungen Europas als Ganzes prägt. Wenn ein Nicht-EU Staat sich dem entzieht, läuft er Gefahr, vom Rest Europas politisch, wirtschaftlich und kulturell isoliert zu sein sowie als Fremdkörper innerhalb einer europäischen Identität gesehen zu werden.

Nehmen wir einmal das Beispiel der Tschechsichen Republik, die ihre nationale Währung, die „Krone“, behalten hat. Trotzdem spielt der Euro eine große Rolle. In manchen Gegenden Tschechiens kann man sogar mit dem Euro zahlen. Des Weiteren passt sich die Krone bei der Währungsregulierung sehr stark dem Euro an.

Die Entscheidung Tschechiens, nicht am Euro-Projekt teilzunehmen, wirft Fragen auf. Das Schengen-Abkommen und die gemeinsame Währung gelten als Leuchtturmprojekte hinsichtlich einer europäischen Identität. Sie gewährleisten einen reibungslosen Handel, unbeschwerliches Reisen und vereinen den Kontinent, indem sie Europäer*innen ermöglichen, sich sehr einfach hin- und herzubewegen. Auch wenn die Tschechische Republik im Rahmen der Integration in die Europäische Union mit dem Euro handelt, fahren sie mit der Nutzung ihrer eigenen Währung fort, was ihre Angst vor einer Überflutung durch Europa beweist. Der direkte Nachbar Slowakei, mit dem Tschechien eine lange Geschichte teilt, teilt nach Aussage von Peter Weiss größtenteils diese Ansicht. Man habe die Sorge, langfristig die eigene nationale Identität einzubüßen.

Dabei schwingen auch prägende Erfahrungen Tschechiens und der Slowakei aus der Geschichte mit. Die Sowjetunion übte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen gewaltigen Druck auf die Region aus und übte faktisch die Kontrolle über beide Staaten aus, die zu dieser Zeit noch als Tschechoslowakei zusammengeschlossen waren. Dies ist eine Erklärung für die dort aktuell wieder aufblühenden nationalistischen Ansätze. Sie haben derzeit in ganz Europa Konjunktur, besonders aber in Osteuropa. Der Nationalstolz, der in diesen Ländern lange nicht gelebt werden konnte und nun von vielen als Etwas betrachtet wird, das man verteidigen müsse, konstituiert eines der Hauptprobleme für die EU bei der Schaffung einer mehr europäischen denn nationalen Identität.

Der französische Botschafter Roland Galharague setzt dem ein entschiedenes „Wir alle sind Brüssel“ entgegen, dem ein großer Teil der Teilnehmer*innen zustimmte. Außerdem hieß es, dass „die Europäische Union wir sind, die Bürger*innen“. Mit diesen Worten eröffnete Galharague eine interessante und reflektierte Debatte in den verschiedensten Bereichen, etwa die politische Teilhabe alle fünf Jahre bei den Europawahlen – kombiniert mit der Frage, ob dies genug sei, wenn man all die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen bedenkt, die in den europäischen Institutionen für alle Bürger*innen getroffen werden. Die Mitgliedsstaaten der EU hätten bereits zahlreiche Bemühungen gezeigt, die Bürger*innen stärker einzubinden und auch diverse Erfolge erzielt. Hervorgehoben wurden die blühenden Debatten über wichtige Europäische Angelegenheiten in ganz Europa.

Ein weiterer Ursprung auf dem Weg zu einer europäischen Identität müsse die Frage sein: „Warum sind wir Europäer*innen?“. Das Forum stimmte einheitlich zu, dass dies eine der zentralen Fragen sei, auf die jede*r Europäer*in eine für sich individuell passende Antwort finden müsse.

Um die Europäische Gemeinschaft voranzutreiben, müssen wir unsere Werte und Ansichten in Bezug auf Menschenrechte, persönliche Freiheit, Demokratie, Umwelt und Krieg teilen. Europa benötigt eine öffentliche Einigung, um gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Ohne eine Übereinkunft bezüglich unserer Kernwerte kann es keine wahre Gemeinschaft geben. Dabei sollte das heterogene Europa jedoch immer seine Vielfalt bewahren. Auch einigten sich die Teilnehmer darauf, dass eine Notwendigkeit dafür bestehe, einen effizienten Funktions-Mechanismus für die EU zu entwickeln, in der sich Europäer*innen für die Entscheidungen in Brüssel interessieren.

Europäische Politiker*innen kümmern sich genauso wenig um die Meinung der Europäer*innen, vor allem in Bezug auf wichtige Angelegenheiten. Ergebnis davon ist ein heterogenes Europa, das die Migrationskrise aus Afrika bewältigen muss. Faktisch eröffnete die Debatte die Notwendigkeit eines Austauschs von Ideen mit den Bürger*innen, um eine wirkliche Zusammenarbeit Europas zu erzielen. Wir müssen zusammen diskutieren, entscheiden und handeln – nur so können wir gemeinsame europäische Geschichte schreiben.

Europa muss künftig kollektiver handeln. Das Forum führte zu mehreren Fragen, die zur Findung einer Europäischen Identität dienen, denn diese muss im Vordergrund der Debatte des heutigen Europas stehen. Es braucht einen konkreten Konsens bei Fragen wie „Wer wollen wir sein?“, „Wogegen kämpfen wir an?“ und „Wie können wir zusammenarbeiten?“ – denn nur dann wird Europa ganzheitlich funktionieren.

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