Europäische Republik - der neue Investiturstreit

, von  Fabian Elleder

Europäische Republik - der neue Investiturstreit
In welche Richtung geht Europa? Foto: Justus Blümler / Flickr / CC BY 2.0

Ist eine europäische Republik ein linkes Projekt? So schreibt es Manfred Weber in einem Gastbeitrag im SPIEGEL. Dabei geht die Idee einer europäischen Projekt über Parteigrenzen hinweg. Viel eher steht Europa heute vor einem neuen Investiturstreit.

In seinem Artikel für den Spiegel bezeichnet Manfred Weber, das einflussreichste Mitglied des Europaparlamentes und Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, die Idee der Europäischen Republik als „Ladenhüter der Linken“.

Das ist nicht wahr: Die Idee von „Paneuropa“ war Mitte des letzten Jahrhunderts kurz davor umgesetzt zu werden und hat eine lange Geschichte. Diese als „Ladenhüter“(Manfred Weber) oder „Traumtänzerei“(Andreas Scheuer, CSU) zu bezeichnen, wird der epischen Geschichte um eine Einigung auf dem Kontinent nicht gerecht.

Von Papst Gregor VII zu Manfred Weber

Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist sehr alt. Karl der Große formte Europa erstmals zu einer kulturellen Einheit. Heinrich IV. versuchte im 11. Jahrhundert, mit seiner Reichsministralität die europäische Regentschaft aufrechtzuerhalten. Doch dann kam es zum Investiturstreit mit Gregor VII. Heinrich IV. musste durch den Schnee nach Canossa pilgern. Die Kirche hatte sich die Legitimation der europäischen Herrschaft gesichert und eine pragmatische Verwaltung wurde zugunsten eines Klüngels von Kirche und Fürsten verworfen.

Vor der gleichen Situation steht Europa heute wieder. Der Chef der Unionsfraktion im Europaparlament, Manfred Weber - in unserem metaphorischen Rollenspiel sei er der Papst - stellt Martin Schulz, unserem Heinrich IV., die Investiturfrage: Wer darf über die Länderinstitutionen bestimmen? Webers Länder und Privatwirtschaften oder das angebliche Schulz-Europa?

Gegen einen neuen Investiturstreit

Das Europa Heinrich ́s IV. besetzte die kirchlichen Ämter gewohnheitsmäßig selbst. Doch die Kirche wollte mehr Einfluss auf das Geschehen. Ähnlich steht es heute bei Wirtschaftsfragen: Welche Expertenmeinung gibt den Ausschlag: Die gesamtstaatliche oder die der privaten Institutionen und der kleinen Länder?

Die Situation ist verfahren. Denn eine Schuldenunion, die es aus deutscher Sicht nicht geben sollte, ist wegen der gemeinsamen Währung, welche von der Union konzipiert wurde, bereits vorhanden. Der Wert des Euro hängt nun von Nachrichten aus ganz Europa ab. Das, wovor sich Europa am meisten fürchtet, sind heutzutage Kompetenzdebatten. Denn diese schaden der Wirtschaft dank der Finanzmärkte viel mehr als irgendwelche konkreten Gesetze.

Manfred Webers Leitartikel im Spiegel, die Vereinigten Staaten Europas seien ein „Ladenhüter der Linken“, schlägt genau in diese Kerbe. Die Debatte um eine europäische Republik, so liest man es zwischen den Zeilen, habe ein höheres Potential Europa zu beschädigen, als wenn man diese gleich diskreditierte. Der SPD, oder Martin Schulz, kommt dabei die Rolle des überraschten Heinrich IV. zu, welcher den Schaden durch Abbitte wieder gutmachen soll.

Glaubensinhalte im Kampf gegen die Realität

Viele deutsche Bürger fürchten die Republik als noch größere Schuldenunion, und sie glauben an neoliberale Glaubensinhalte. So will laut Weber die SPD eine Republik mit einem Eurozonenhaushalt. Nur das hat dort keiner je behauptet. Die SPD will keine Schuldenunion und keine finanziellen Verluste. Sie will ein geschlossen aussehendes Europas nach außen, so dass man den Eindruck gewinnt, Europa wäre bereits eine Nation. Dies würde dem europäischen Ansehen in der Politik gut tun und mehr noch: auch dem Euro auf den Finanzmärkten. Er würde sinken. Die Zuversicht in Europa wäre für einige Dekaden wieder gerettet.

Diese Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist etwas Anderes, als was die Union und Manfred Weber der Idee vorwerfen: Die Europäische Republik würde nur wirtschaftliche Nachteile entfalten, ja gar die Europäische Bewegung in den Abgrund reißen. Es geht stattdessen um die wirtschaftlichen Vorteile Europas, darum, sie mittels der Republik weiter auszubauen. Es geht darum, Europa weiter kulturell zu einer Einheit zu formen.

Wollten wir die Idee der Republik mit einem Immobilienhandel gleichsetzen, so ginge es derzeit nur um Anstrich und Wärmedämmung, nicht um einen Neubau, wie die Union es darstellt.

Aber Papst Manfred Weber will König Martin dazu zwingen, durch den Schnee der neoliberalen Bekenntnisse, gegen eine Sozialunion, zu laufen und Abbitte zu leisten - wegen eventuell doch sozialer Ideen.

Letztlich wird es so kommen wie vor 1000 Jahren: Schulz wird im Schnee der Abbitte die sozialen Prinzipien über Bord werfen und mittels Etikettentausch auf dem Antlitz des Kontinents dessen Fortbestand für weitere Jahrhunderte sichern. Aber selbst das ist eine Löwenaufgabe. Da es sich hierbei nicht um eine sachliche Debatte handelt, also eher um eine spirituelle Auseinandersetzung, ist die Gefahr für Schulz, dass seine sozialen Absichten erkannt werden, umso höher.

Die Vereinigten Staaten von Europa – eine konservative Idee

Es ist nicht wahr, dass die Vereinigten Staaten von Europa eine linke Idee seien. Das ist ein ideologischer Rückschritt der Union und eine bemerkenswerte Dummheit mit vielleicht historischen Ausmaßen. Schon George Washington wünschte sich eine Verfassung für Europa. Die Vereinigten Staaten von Europa solle ein Gesetzgeber aller europäischen Nationalitäten sein. Die Friedensvorstellungen Amerikas hinsichtlich Europas fanden sich auch am Ende des zweiten Weltkrieges, in den Ansätzen des „American Committee on United Europe“, wieder. Die Vereinigten Staaten von Europa sollten endlich kommen und man begann an einer Verfassung zu arbeiten.

Die europäische Friedensbewegung hatte bereits viele Dekaden Werbung für „Paneuropa“ gemacht. Und sowohl Konrad Adenauer als auch Winston Churchill sprachen sich für die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa aus. Helmut Kohl verteidigte sich selbst mit dieser Auffassung noch gegen Euroskeptiker. Die SPD forderte bereits im Heidelberger Programm vom September 1925 die Vereinigten Staaten von Europa, um zu einer „Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen“. Diesem europäischen Traum, ein Vorbild für die Menschheit zu sein, liegt der Kantianische Traum von Frieden der Völker zugrunde.

Die Aufklärung hatte die europäischen Leser bereits im 18. Jahrhundert zu einer kulturellen Einheit gegossen. Bis heute ist das der wesentliche Kern der europäischen Identität: Der Weltbürger solle ein Gastrecht in allen Ländern genießen dürfen. Das Völkerrecht soll auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein.

Nur dummerweise geschieht derzeit das genaue Gegenteil.

Europas Grenzen spalten den Gemeinsinn

Europas Außengrenzen werden nicht nur geschlossen. Menschen werden mit Schiffen des libyschen Grenzschutzes überfahren, welche von der Europäische Union finanziert sind. Unter dem Eindruck der Bilder des Elends ertrinkender Kinder befürchten die Menschen in Europa, diese Art der Armut – Heimatlosigkeit, Flucht und Tod - könnten auch bald sie treffen.

Das Ideal Europas als Vorbild der Menschheit geht verloren. Mit ihm die Zukunft der gesamten Menschheit. Europäische Politik ist kein Vorbild mehr. Sie steht in diesen Tagen auf der Kippe zum Sinnbild für Selbstsucht zu werden. Die Hoffnungen der Welt und Amerikas an Europa, eine Lösung für die Probleme der Globalisierung zu finden, einen Weg für die Menschheit zu entwerfen, werden derzeit bitter enttäuscht. Weltweit hat die zurückhaltende europäische Union die Wahl von mehr und mehr Nationalisten und Autokratien begünstigt.

Brexit und neoliberale Investitur machen aus dem europäischen Projekt eher den Bau des Todessternes, als ein Friedensprojekt: Denn das Ökosystem der Erde steht vor dem Untergang. Auf den Seiten der Kampagne für eine parlamentarische Versammlung zu den Vereinten Nationen kann man nachlesen: Die Mehrheit der Befragten ist laut Umfragen für ein neues demokratisches Erdzeitalter mit einem gemeinsamen Parlament.

Aber ein Europa, das nicht mit einer Stimme spricht, hält die Menschheit auf dem Weg in die Zukunft nur auf - König Martin wird durch den Schnee laufen müssen.

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