Euroskepsis à la Orban oder Cameron?

Polen im Wandel nach der Präsidentschaftswahl

, von  Arthur Molt

Euroskepsis à la Orban oder Cameron?
Polens neuer Präsident Andrzej Duda (nun parteilos, vormals ECR) bei seiner Vereidigung am 29. Mai 2015. Foto / Remix: © Andrzej Duda / Facebook / CC BY 2.0 Lizenz

Polen – Den knappen Wahlsieg von Herausforderer Andrzej Duda in der Präsidentschaftswahl werten seine Anhänger als historisch. Auf historische Vorbilder beruft sich seine Partei „Recht und Gerechtigkeit“ seit ihrem Bestehen und rückt dabei politische Gegner in die Nähe des kommunistischen Regimes. Nach jüngsten Umfragen könnten die Europaskeptiker um Parteichef Jarosław Kaczyński bei den kommenden Parlamentswahlen stärkste Kraft werden.

Sie gehören zur Berichterstattung über frisch gewählte Staatsoberhäupter wie die klassische Siegerpose mit Blumenstrauß und Lebenspartner: Bilder von der ersten Handlung des president elect. Andrzej Duda wählte am Tag nach der Stichwahl vom 24. Mai eine bedeutungsschwere Geste. Mit Blumen und Bekreuzigung ehrte er die Opfer der kommunistischen Diktatur vor einem ehemaligen Gefängnis des Sicherheitsdienstes in Warschau. Ein klares Bekenntnis zum anti-kommunistischen Selbstverständnis seiner Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und nicht ungewöhnlich im geschichtsbewussten Polen. Doch ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass es der konservativen Partei im Umgang mit der Einparteienherrschaft nicht um symbolische Gesten sondern um knallharte Interessenpolitik geht.

Mit Geschichtspolitik gegen politische Gegner

Während der bis vor kurzem noch unbekannte Kandidat Andrzej Duda (43) seine professionelle Kampagne unter dem Motto „Die Zukunft heißt Polen“ führte, beschäftigen sich die Grundsatzpapiere seiner Partei lieber ausgiebig mit der Vergangenheit. In ihrem Parteiprogramm 2014 sieht die PiS im heutigen Polen ein Netzwerk korrupter Eliten am Werk: Überbleibsel der kommunistischen Nomenklatur und zugleich liberale Krisengewinnler, die Profit aus der Transformation geschlagen hätten. Die Andeutungen – beispielsweise über Verbindungen zum früheren Geheimdienst – zielen eindeutig auf die seit 2007 regierende liberale Bürgerplattform (PO). Recht und Gerechtigkeit spricht damit Wähler an, die sich trotz starken Wirtschaftswachstums als Verlierer des Systemwandels sehen. Ihren Stammwählern im konservativen, ländlich geprägten Osten des Landes verspricht die größte Oppositionspartei nach Jahren der liberalen Wirtschaftspolitik ein „solidarisches Polen“ zu schaffen. Dazu sei jedoch ein vollständiger Austausch der „alten Kader“ nötig. Angesichts der Euphorie über Andrzej Dudas weitreichende Reformversprechen erinnern kritische Stimmen an die Zeit als Recht und Gerechtigkeit zuletzt in der Regierungsverantwortung stand. Die Brüder Lech und Jarosław Kaczyński – damals Präsident und Ministerpräsident – strebten in den Jahren 2005 bis 2007 die Umgestaltung des Landes in eine IV. Republik an. Ihre Reformvorhaben gerieten zu einem Kampf gegen einen vermeintlich allgegenwärtigen Klientelismus und konzentrierte sich auf die „Durchleuchtung“ der Geheimdienste und Neubesetzungen in den öffentlichen Medien.

Gegen das Establishment

Dem Ruf nach politischem Wandel hat Recht und Gerechtigkeit in den Präsidentschaftswahlen erfolgreich ein neues Gesicht verpasst. Viele Wähler trieb vor allem der Protest gegen das „Establishment“ an die Wahlurnen, was sich nicht zuletzt an einem Stimmenanteil von 21 Prozent für den Rockstar Pawel Kukiz im ersten Wahlgang zeigte. Die Forderung nach einer IV. Republik beschränkt sich jedoch nicht auf den kurzfristigen Protest gegen die Eliten sondern drängt auf Verfassungsänderungen. Vorschläge wie die Zusammenlegung von Staatsanwaltschaft und Justizministerium sind für viele liberal eingestellte Polen ein Alarmsignal. Für den Verleger Adam Michnik wäre ein Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit bei den Parlamentswahlen im Oktober gar eine Gefahr für die Demokratie. Andrzej Duda sei ein „Echo“ des Parteiführers Jaroslaw Kaczynski und kein „Wächter der Verfassung“. Grund genug für die Gazeta Wyborcza schon nach dem ersten Wahlgang das Bild einer drohenden „Orbanisierung“ Polens zu zeichnen.

Zwischen „Orbanisierung“ und Britischem Sonderweg

Viktor Orban, der nach dem Leitsatz der „illiberalen Demokratie“ mittels Zweidrittelmehrheit in Ungarn Justiz und Presse einschränkte, gilt schon länger als Vorbild für die Führung der PiS. Eine so grundlegende Abkehr von Grundwerten der Europäischen Union wie in Ungarn erscheint manchen in Polen jedoch als hysterisch. In außen- und europapolitischen Fragen sprach sich Andrzej Duda zwar für eine Rückgewinnung nationaler Souveränität aus, betonte aber die West-Orientierung seines Landes. Die Skepsis gegenüber einer weiteren Vertiefung der europäischen Integration teilt Andrzej Duda mit den britischen Tories, mit denen er als Europaabgeordneter in der Familie der European Conservatives und Reformers (ECR) zusammenarbeitete. Auch im Hinblick auf die Parteienlandschaft könnte sich Polen zukünftig dem britischen Zweiparteiensystem annähern. Noch vor den Wahlen im Oktober soll in einem Referendum über die Einführung des Mehrheitswahlrechts entschieden werden. Nach Meinung des Publizisten Janusz A. Majcherek war die Präsidentschaftswahl für viele Polen eine Möglichkeit, der lange ungestört regierenden PO die „gelbe Karte“ zu zeigen. Nicht ungewöhnlich für ein Zweiparteiensystem in dem die Wähler eine stärkere Möglichkeit haben die Regierung für die vergangene Legislatur abzustrafen. Nach dem Wahlsieg den Strafvollzug gegen den politischen Gegner einzusetzen gehört dagegen kaum zur anglo-amerikanischen Tradition.

Betrogene Jugend

In der jüngsten Umfrage zur Parteipräferenz vom Montag hat Recht und Gerechtigkeit mit 33 Prozent die regierende Bürgerplattform bereits knapp überholt.

Ob der Trend bis zur Parlamentswahl im Oktober anhält entscheidet nicht zuletzt die junge Generation. Das schlechte Abschneiden bei jungen Wählern war sicherlich die schmerzhafteste Überraschung für die PO. In keiner anderen Wählerschicht erhielt Amtsinhaber Komorowski weniger Stimmen als bei den 18 bis 30-Jährigen. Die wirtschaftsliberale PO war sich allzu sicher, dass sie mit ihrer Wahlkampfstrategie als Fürsprecher für das „rationale“ und „fortschrittliche“ Polen aufzutreten junge Wähler gewinnen könnte. Dabei dürften sie die Wut der jungen Generation unterschätzt haben, die bei einer Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent wenig vom wirtschaftlichen Fortschritt profitiert. Viele der unter 30-Jährigen sehen kaum Aufstiegschancen und fühlen sich ausgeschlossen von einem politischen Betrieb in dem nach wie vor die Generation der alten Solidarność-Mitglieder den Ton angibt. Sollte sich der jugendlich auftretende Andrzej Duda in den Parlamentswahlen als Steigbügelhalter für die grauen Herren von Recht und Gerechtigkeit erweisen, könnten junge Wähler jedoch bald gezwungen sein sich mehr mit „alten Kadern“ auseinanderzusetzen als ihnen lieb ist.

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