Das europäische Haus steht auf einem wackligeren Fundament, als viele lange dachten. Fast überall auf dem Kontinent erstarken Populisten und Autoritäre, die den souveränen Nationalstaat als Lösung proklamieren, das Ende des Multilateralismus ausrufen oder gar die liberale Demokratie als Auslaufmodell bezeichnen. Auch dass sich für Großbritannien der EU-Austritt zum politischen und wirtschaftlichen Debakel entwickelt, hat die Europaskeptiker nur vorübergehend gebremst. In den letzten Monaten konnten nationalistische und populistische Parteien wieder in vielen EU-Ländern Wahlerfolge feiern. Inzwischen sind sie dabei, ihre Zusammenarbeit mit Blick auf die Europawahl 2019 weiter auszubauen – wie zuletzt bekannt wurde, auch mit Unterstützung des ehemaligen Trump-Chefstrategen Steve Bannon.
Doch während sich die Europagegner formieren, reagieren die Freunde eines vereinten, demokratischen Kontinents defensiv, verhalten und mit oft widersprüchlichen Strategien. Auch die Europa-Union, der größte und traditionsreichste proeuropäische Verband in Deutschland, hat noch keine klare Form gefunden, mit den neuen Herausforderungen umzugehen. Schon seit Jahren sind ihre Beschlüsse von der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner geprägt; die „Überparteilichkeit“ des Verbands wird oft so ausgelegt, dass man möglichst keiner der regierungsfähigen Parteien in Deutschland auf die Füße treten will. Doch diese Strategie ist nur geeignet, verbandsinterne Debatten zu beruhigen: Für Außenstehende, die man von der europäischen Idee überzeugen will, ist der kleinste gemeinsame Nenner nur selten eine interessante Position. Und so ist die Europa-Union ausgerechnet in diesen Zeiten, in denen sie so dringend gebraucht wird wie seit Jahrzehnten nicht mehr, in der Öffentlichkeit nahezu unsichtbar.
Aber nicht nur nach außen, auch nach innen verliert die Europa-Union an Wirkkraft. Nachdrücklich deutlich wurde dieses Versagen letzten Februar, als eine langjährige Verbandsforderung, die Einführung gesamteuropäischer Europawahllisten, im Europäischen Parlament zur Abstimmung stand – und führende Mitglieder der Europa-Union dagegen stimmten. Der Unmut, den viele Menschen im Verband in den darauffolgenden Wochen zum Ausdruck brachten, ist noch immer in Erinnerung.
Doch immerhin: Für die verbandsinterne Debatte hatte die Niederlage um die gesamteuropäischen Listen auch ihr Gutes. Die Frage, mit welcher Strategie die Europa-Union eigentlich ihre Ziele verfolgt, wurde in den folgenden Wochen so intensiv diskutiert wie schon lange nicht mehr. Dabei wurde deutlich, dass viele Mitglieder sich eine entschlossenere, konsequentere und markantere Rolle der Europa-Union wünschen. Ein Ergebnis dieser Diskussionen tritt heute an die Öffentlichkeit. Eine Gruppe von Mitgliedern der Europa-Union und der Jungen Europäischen Föderalisten haben das Föderalistische Forum gegründet, das heute sein Manifest veröffentlicht hat und sich in einer Session auf der JEF-Europawerkstatt in Berlin vorstellt.
In ihrem Manifest fordern die Mitglieder des Forums ein offensives Auftreten der Verbände, mit dem Ziel, „die föderalistische Bewegung wieder zu einem starken politischen Akteur [zu] machen, der die Diskurshoheit im öffentlichen Raum zurückerobert“. Dazu soll die Europa-Union sich nicht nur klarer positionieren, sondern auch konkrete Lobby- und Kampagnenstrategien um die eigenen Themen lancieren. Das Föderalistische Forum versteht sich selbst zugleich als „Think-Tank“ und als „Flügel“ innerhalb der Europa-Union. Seine Mitglieder wollen „die europapolitische Debatte mit guten Argumenten bereichern“ und „die Sichtbarkeit föderalistischer Positionen in der Öffentlichkeit erhöhen“ und fordern, dass Funktionsträger des Verbands möglichst frei von Rollen- und Interessenkonflikten (etwa als Abgeordnete einer Partei) sein sollen.
In Zukunft will das Forum durch eigene Policy Papers und Strategiepapiere die Debatte in der Europa-Union voranbringen und Plattformen für Diskussion und Meinungsbildung schaffen. Der Beitritt steht allen Mitgliedern der Europa-Union und der Jungen Europäischen Föderalisten offen, die sich mit der politischen Vision und dem Grundkonsens identifizieren, die auf der Homepage des Forums (www.foederalistisches-forum.eu) nachzulesen sind.
Das Föderalistische Forum ist eine Chance, die Debatte über die Strategie der Europa-Union zu beleben – eine Debatte, die heute nicht nur für den Verband notwendig ist, sondern auch für das europäische Einigungsprojekt insgesamt. Denn der Föderalismus ist nach wie vor die überzeugendste Idee, um die Europäische Union weiterzuentwickeln, sie demokratisch legitim und politisch handlungsfähig zu machen und die derzeitigen Krisen zu überwinden. Es wird Zeit, dass diese Idee auch in der Öffentlichkeit wieder deutlicher zum Vorschein tritt.
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