Fraktionen im Europaparlament: Das Herzstück der europäischen Demokratie

Teil 1: EVP und S&D

, von  Benedict Heidgen

Fraktionen im Europaparlament: Das Herzstück der europäischen Demokratie
Hier sitzt das Herz der europäischen Demokratie: Europäisches Parlament in Straßburg Foto: diamond geezer / Flickr/ CC BY NC ND 2.0 - Lizenz

Wie funktionieren die Fraktionen im Europäischen Parlament, was ist ihre Rolle innerhalb der parlamentarischen Arbeit und wodurch unterscheiden sie sich? In einer dreiteiligen Reihe führt unser Autor Benedict Heidgen durch den Fraktionsdschungel im Europäischen Parlament.

Als der neue Präsident des Europäischen Parlaments Antonio Tajani, gestützt durch eine Koalition zwischen Konservativen und Liberalen, am 17. Januar gewählt wurde, reichten die Reaktionen der im Parlament vertretenen europäischen Fraktionen von Freude über Kritik bis hin zu Anfeindungen. Diese Reaktionen unterstreichen einmal mehr die Ambivalenz der Fraktionen und die Heterogenität der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Was für manche der Beweis einer demokratischen Diskussionskultur ist, ist für andere ein Symbol der inneren Zerrissenheit der Europäischen Union.

Im Europäischen Parlament (EP) finden sich die einzelnen in der Europawahl gewählten Abgeordneten entsprechend ihrer politischen Ausrichtung in europäischen Parteienfamilien zusammen. Diese bilden wiederum Gruppierungen, die sogenannten Fraktionen. Eine Fraktionsbildung muss nach dem Grundsatz der Multinationalität erfolgen. Mindestens 25 Abgeordnete, welche eine gemeinsame Weltanschauung teilen, aus mindestens einem Viertel EU-Mitgliedsstaaten werden benötigt, um eine Fraktion zu gründen.

Sie sind laut den Europäischen Verträgen als der „Faktor der Integration in der Union anerkannt. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen“ (Art. 191 EGV).

Das Machtzentrum der Legislative

Vergleichbar mit der nationalen Ebene bilden die Fraktionen das Parlament. Der Fraktionsstatus ist für die Abgeordneten zentral, da ihnen durch diesen mehr Redezeit und Finanzen zur Verfügung stehen. Zusammen mit dem Rat der Europäischen Union sind die Fraktionen entscheidend für die Gesetzgebung, da sie Gesetze in Arbeitsgruppen vorbereiten und letztlich über diese abstimmen. Ebenso entscheiden sie zusammen mit dem Rat der Europäischen Union über den gemeinsamen Haushalt und haben die alleinige Kompetenz, die Europäische Kommission zu berufen und per Misstrauensvotum abzusetzen. Neben diesen formalen Kompetenzen ist ebenso die Möglichkeit der Fraktionen wichtig, die Tagesordnung der parlamentarischen Arbeit festzulegen und wichtige Debatten anzustoßen. Im Allgemeinen herrscht im EP eine geringer Grad an Fraktionszwang, sodass für jede Abstimmung neue Mehrheiten gefunden werden müssen. Innerhalb der jeweiligen Fraktionen organisieren sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in nationalen Delegationen, welche den nationalen Parteien entsprechen. Jede Fraktion besteht aus einer oder einem Vorsitzenden, einem Vorstand und einem Sekretariat. Neben 18 Fraktionslosen Abgeordneten sind seit den Wahlen 2014 im Europäischen Parlament acht Fraktionen vertreten.

Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP)

„„Die EU muss für ihre Bürger eine Heimat sein und darf nicht als Bedrohung empfunden werden.“ (aus: Prioritäten der EVP-Fraktion 2014-2019)“

Die EVP-Fraktion ist mit 217 Abgeordneten die größte Fraktion im EU-Parlament und wird von dem gelernten Diplom-Ingenieur Manfred Weber (CSU) geleitet. Als christlich-konservative mitte-rechts Fraktion priorisiert sie ein wettbewerbsfähiges Europa des Wachstums und der Beschäftigung. Sie steht für einen ausgeglichenen Haushalt und die strikte Einhaltung des Wachstums- und Stabilitätspakts, sowie für eine engere Kooperation in der Währungs-, Finanz- und Energiepolitik ein. Die soziale Marktwirtschaft stelle ein hohes Gut für die Fraktion dar und gelte als Garant für Bildung und soziale Absicherung, sodass es diese zu erhalten gilt.

Außenpolitisch zeigt sich die EVP-Fraktion Russland und der Türkei gegenüber kritisch. Insbesondere die Vollmitgliedschaft der Türkei stehe nicht mehr zur Debatte. Ein weiterer Schwerpunkt ist eine gemeinsame europäische Asyl- und Einwanderungspolitik und eine klare Kante gegen „Wirtschaftsmigration“. Zu diesem Zweck soll die Grenzschutzagentur FRONTEX ausgebaut und Kooperation bei der inneren Sicherheit erhöht werden. Die EVP stellt durch eine Koalition mit der liberalen Fraktion den Parlamentspräsidenten.

Progressive Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D)

„In dieser Zeit der Krise ist die höchste Priorität der Sozialdemokratischen Fraktion, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft gerechter und die Märkte fairer werden.“ (aus: http://www.socialistsanddemocrats.eu/)“

Mit 189 Sitzen ist die S&D-Fraktion die zweitgrößte Fraktion. Sie wird von dem gelernten Mediziner Gianni Pittella (PD) geleitet. Als sozialdemokratische Fraktion links der Mitte setzt sich für eine stärkere Regulierung der Wirtschaft ein, womit Beschäftigung und Wachstum ermöglicht werden soll. Sie räumt Investitionen einen größeren Stellenwert als Sparmaßnahmen ein und plädiert für ein Ende der Austerität. Die gemeinsame Währung soll durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzt werden. Besonderes Augenmerk legt die Fraktion auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung, sowie Investitionen in Humankapital, insbesondere Bildung.

Außenpolitisch sieht die Fraktion trotz der Wirtschaftskrise die Erweiterung der EU als erfolgreiches Mittel, um europäische Interessen durchzusetzen und die Stabilität der europäischen Nachbarstaaten zu erhöhen. Neben dem Bekenntnis zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, seien die transatlantischen Beziehungen ein wichtiger Bestandteil der europäischen Außenpolitik. Russlands innenpolitische Situation verschlechtere sich zunehmend, jedoch sei das Land für die S&D ein wichtiger Partner bei der Lösung internationaler Konflikte.

Die S&D fordert ein gemeinsames europäisches Einwanderungssystem. Aufnahme, Verfahren und Integration sollen in einem gesamteuropäischen Rahmen stattfinden. Integration, Solidarität und ein Ende der Diskriminierung sei das zentrale Leitbild ihres gesellschaftspolitischen Engagements.

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