Freiheit und Selbstbestimmung – Warum die Proteste im Iran uns alle betreffen

Kommentar zu den Protesten im Iran

, von  Yeganeh Orouji

Freiheit und Selbstbestimmung – Warum die Proteste im Iran uns alle betreffen

In den letzten Monaten gab es im Iran zahlreiche Proteste, die die strengen Regeln und Härte des Regimes anprangerten. Als junge Frau mit iranischen Wurzeln, die dort selbst eine Verletzung ihres persönlichen Willens erlebt hat, glaube ich, dass es überfällig ist, den Protest vom Iran nach Europa zu tragen, um Iraner*innen zu helfen, ihre Rechte auf Selbstbestimmung zu fordern und Freiheit von Unterdrückung zu erhalten.

Seit fast drei Wochen protestieren Iraner*innen gegen die Politik des iranischen Regimes, gegen Korruption, gegen staatliche Kontrolle, und gegen Polizeigewalt. Die Protestierenden setzen ein unermüdliches Zeichen für die Selbstbestimmung der Frauen. Dass die Widerstände mutig sind, ist untertrieben – ich habe hautnah miterlebt, wie streng das Tragen eines Kopftuchs kontrolliert wird und was einer Frau droht, sollte sie diese Regeln missachten. Wir sind es den Frauen und allen Iraner*innen schuldig, ihre Stimmen zu teilen, um dafür zu sorgen, dass ein ernsthafter Wandel stattfindet. Unabhängigkeit und Emanzipation sind Werte, für die es sich überall einzusetzen lohnt.

Zum ersten Mal besuchte ich unsere Familie im Iran im Sommer 2011. Ich bin damals erst 12 Jahre alt, verstehe aber bereits, dass sich diese Reise in einigen Punkten deutlich anders gestalten wird als bisherige Familienurlaube. Meine Eltern vermitteln mir die wichtigste Sache zuerst: im Iran gilt das Kopftuchgebo-t. Das Kopftuch gehöre zur Identität der sogenannten islamischen Republik. Der Staat diktiert, dass jede Frau ein Kopftuch tragen müsse. Daneben bestehen noch weitere Kleidungsvorschriften, welche von der Sittenpolizei streng überwacht werden. Frauen und junge Mädchen sind beispielsweise dazu aufgefordert, lange Kleidung an den Armen und Beinen zu tragen. Warum dies so ist, will mir zunächst keiner erklären. Kurze Zeit später bekomme ich einen ersten Vorgeschmack auf diese eiserne Regel. Für unsere Passfotos sahen wir uns gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Ich war zu der Zeit verärgert darüber, dass man mich dazu bringen will ein Kopftuch zu tragen. Mir war bewusst, dass dies nur für ein Passfoto war, trotzdem gehöre ich keiner Konfession an und möchte deswegen keine religiösen Symbole tragen. Meine Familie war noch nie religiös und ich kenne mich zu dem Zeitpunkt nicht sonderlich gut mit den muslimischen Traditionen aus. Meine Eltern erklären mir, dass diese Maßnahmen notwendig seien. Schon damals erkenne ich, dass die Benimmregeln im Iran eine andere Gewichtung haben als in meinem direkten Umfeld in Deutschland. Ich sehe diese Bedachtsamkeit auf Fotos von meinen weiblichen Verwandten im Iran und höre das, was mir wie Sittsamkeit erscheint in den Geschichten aus der Kindheit und Jugend meiner Mutter: Frauen laufen im Iran nie ohne ein Kopftuch herum. Während der dreiwöchigen Reise sehe ich also auch mich jedes Mal wenn ich das Haus verlasse, gezwungen ein Kopftuch anzulegen – dies gilt auch für meine Mutter und meine Schwester. Bei der Rückreise am Flughafen hält die dortige Polizei meine Mutter an, da ihr Kopftuch anscheinend nicht ihren ganzen Kopf bedecke. Das fehlende Recht auf Selbstbestimmung nagt damals stark an mir, jedoch weiß ich zu dem Zeitpunkt, dass ich keine Möglichkeit habe, meine Gedanken im Iran laut zu äußern. Da ich in Deutschland schon damals für mich selbst bestimme kein Kopftuch zu tragen, empfinde ich Verwirrung und Wut auf das politische System im Iran, welches mich zu diesem Schritt zwingen kann. Nun sehe ich elf Jahre später im Fernsehen, dass sich eine junge Frau namens Mahsa Amini in einer ähnlichen Situation wiederfand. Die Tragödie weckt ungemütliche Erinnerungen und ein Gefühl der Erschütterung – Erschütterung vor Allem darüber, dass ihre Geschichte tödlich enden musste.

Das Problem ist, dass sich seit der islamischen Revolution in den siebziger Jahren Frauen nicht frei entfalten dürfen. Eben deswegen darf der Kampf um die Rechte der Frauen keine Grenzen kennen. Es ist allgemein bekannt, dass sich insbesondere die EU weltweit für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. Die Förderung und der Schutz von Menschenrechten sind fest im EU-Recht verankert. Nun steht sie in der Pflicht, diese Glaubenssätze unter Beweis zu stellen und zeigen, dass die EU die Unmenschlichkeit im Iran nicht dulden. Und dieses Mal ist es anders, dieses Mal kann diese neue Protestwelle ernsthafte Veränderungen durchsetzen, denn während dieser Proteste ist es vor allem die Mittelschicht welche es sich zum Ziel gemacht hat, endlich frei entscheiden zu können.

Das EU-Parlament verurteilt Mahsa Aminis Tod als Mord. Per Resolution entschloss dieses Gremium Strafmaßnahmen gegen das iranische Regime. Doch ich bezweifle stark, dass solche Maßnahmen das Regime unter Druck setzen. Solch Resolutionen bleiben unbrauchbar und stellen leere Worte angesichts der Brutalität der iranischen Diktatur dar.

Noch dazu ist es nicht das erste Mal, dass das Regime hart gegen Demonstrant*innen vorgeht. Eine kritische Stimme gegen die Politik des Regimes bedeutet oft den Tod. Jede*r Demonstrant*in muss mit der Teilnahem an einer Kundgebung damit rechnen, den Protest nicht zu überleben. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein universelles Gut, welches es zu verteidigen gilt!

Man sollte sich ebenfalls vor Augen führen, dass grundlegende Menschenrechte auf dem Spiel stehen. Ich empfinde die Konfrontation am Flughafen in meiner Kindheit als einschüchternd: Im Iran ist das Tragen eines Kopftuchs Gesetz und es führt kein Weg daran vorbei. Doch zum Glück herrscht hier in Deutschland Religionsfreiheit - jedenfalls dem Grundgesetz nach. Ich sehe mich deswegen nicht gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Muslim*innen in Deutschland ist eine Entscheidung weitestgehend freigestellt. Und selbstverständlich ist jegliche Wahl vollkommen in Ordnung. Warum sollte es bei den Frauen im Iran anders sein? Warum bleibt ihnen diese Entscheidungsfreiheit verwehrt?

Es ist an der Zeit, dass wir alle an einem Strang ziehen. Egal ob in Europa oder anderswo auf der Welt. Es liegt an uns, die Rechte anderer Frauen zu verteidigen, weil die Rechte anderer Frauen auch unsere Rechte sind. Wie kann ich also den Frauen im Iran helfen? Jede*r kann sich auf den Seiten der Nachrichtenportale über die aktuellen Geschehnisse auf dem Laufenden halten. Zudem schadet es nicht zu wissen, wie die Islamische Revolution die gesellschaftliche Stellung der Frau veränderte. Hierzu stellt Deutschlandfunk eine gute Übersicht dar. Doch damit alleine ist die Sache nicht getan. Diese Proteste müssen mehr Gehör finden, damit die iranische Regierung unter Druck gesetzt wird. Besonders Social-Media kann eine gute Quelle für Informationen sein. Es lohnt sich einen Blick in die Accounts diverser Organisationen und Journalistinnen zu werfen, die sich gegen die Politik des iranischen Regimes wenden. Das Regime hingegen versucht, jede Kommunikation im Internet zu blockieren. Der Zugang zu sozialen Netzwerken ist schon jetzt massiv eingeschränkt. Die Verantwortlichen wissen, dass sich Menschen ohne Internet schlechter organisieren und Nachrichten aus dem Iran in die Welt verbreiten können. Umso wichtiger ist es, dass Menschen außerhalb des Irans über die Proteste berichten, weil die Menschen im Land dies nur sehr eingeschränkt tun können.

Wir sind es den Frauen und allen Iraner*innen schuldig, ihre Stimmen zu teilen, um dafür zu sorgen, dass ein ernsthafter Wandel stattfindet. Unabhängigkeit und Emanzipation sind Werte, für die es sich überall einzusetzen lohnt. Keine Diktatur sollte damit Erfolg haben, ihre Bürger*innen zu unterdrücken. Kein veraltetes System sollte solch willkürliche Entscheidungen treffen dürfen. Meine persönliche Erfahrung im Iran führt mir vor Augen, dass ich niemandem eine solche Auseinandersetzung wünsche. Jetzt verstehe ich, dass meine Mutter und ich damals nie hätten aufgehalten werden dürfen, denn die persönliche Entscheidungsfreiheit steht über allem.

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