Rassistische Polizeigewalt in Deutschland

Freund*in und Helfer*in oder Wolf im Schafspelz?

, von  Alina te Vrugt

Freund*in und Helfer*in oder Wolf im Schafspelz?
Der Tod des US-Amerikaners George Floyd hat auch in Deutschland Aufmerksamkeit auf rassistische Polizeigewalt gelenkt. Foto: Unsplash / Markus Spiske / Unsplash License

Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd demonstrieren hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt. Systemischer Rassismus stellt aber nicht nur in den USA ein Problem dar und rassistische Polizeigewalt erleben wir nicht nur in Minneapolis. Auch in Deutschland – in Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt, Fulda, Kleve und so weiter – gibt es Fälle von Rassismus und Fehlverhalten seitens der Polizei, die zum Teil tödliche Folgen hatten.

„Jetzt kehren wir mal vor unserer eigenen Haustür“, sagte Angela Merkel, als sie auf die rassistische Polizeigewalt in den USA angesprochen wurde. Sie betonte, es habe ihn zu allen Zeiten gegeben, leider auch in Deutschland: „Rassismus ist etwas Schreckliches.” Grünen-Parteichef Robert Habeck sagte, Rassismus sei die Wurzel des Unfriedens: „Wir müssen uns klarmachen: Rassismus erfahren schwarze Menschen, People of Colour, Menschen mit Migrationsgeschichte tagtäglich, auch in Deutschland.“ Viele Verbände und Netzwerke Schwarzer Menschen in Deutschland sind mit den Reaktionen der Politiker*innen jedoch unzufrieden. Sie fordern mehr: unter anderem unabhängige Überprüfungsstellen zur Aufklärung rassistischer Polizeigewalt. Dabei geht es nicht nur um die mehr oder weniger aufsehenerregenden vergangenen Fälle rassistischer Polizeigewalt, sondern auch um Racial Profiling, das von vielen BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) als alltäglich beschrieben wird. Auch hat der Anti-Diskriminierungs-Ausschuss des Europarats Deutschland erst im Mai dazu angehalten, gegen den Mangel an Antirassismus-Trainings mit Polizist*innen vorzugehen.

Das Fehlverhalten der Polizei trifft die Menschen am schwersten, die ohnehin in allen Lebensbereichen mit Rassismus konfrontiert werden. Im vergangenen Jahr rief die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zusammen mit einem antirassistischen Bündnis die Kampagne „Death in Custody. Aufklärung der Todesumstände in Gewahrsamssituationen jetzt!“ ins Leben. Sie soll darauf aufmerksam machen, dass BIPoC regelmäßig polizeilicher Gewalt ausgesetzt sind und diese immer wieder tödliche Folgen hat. Laut der Recherchegruppe sind seit 1993 in Deutschland 138 von Rassismus betroffene Menschen in Polizeigewahrsam gestorben. Gleichzeitig geht „Death in Custody“ davon aus, dass die Dunkelziffer noch höher ist.

Für Aufsehen hat der bis heute unaufgeklärte Fall des Asylsuchenden Oury Jalloh gesorgt, der 2005 in der Zelle eines Polizeireviers in Dessau verbrannte. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Die im Folgenden vorgestellten Fälle rassistischer Gewalt oder Fehlverhaltens seitens der deutschen Polizei haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hinter der Gewalt stehen jedoch Gesichter und Namen, die kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Und noch etwas haben alle Fälle gemeinsam: mangelnde juristische Aufarbeitung und eine dünne Quellenlage.

Tod von Amad A./Ahmed A./Amed A. (Schreibweise in den Medien uneinheitlich), 2018, Kleve

Wie Oury Jalloh starb auch der 26-jährige Syrer Amad A. im September 2018 an schwersten Brandverletzungen. Diese hatte er in einer Gefängniszelle in der niederrheinischen Stadt Kleve erlitten. Zwei Wochen nach dem Brand erlag er in einer Klinik seinen Verbrennungen. In der Gefängniszelle saß er fälschlicherweise, weil die Polizei ihn mit einem Mann aus Mali verwechselt hatte, der in Norddeutschland per Haftbefehl gesucht wurde.

Mit dem Fall beschäftigt sich derzeit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags, um aufzuklären, wie es zu der Verwechslung kam. Auch der Vorwurf der Manipulation von Datensätzen steht im Raum: Offenbar wusste die Polizei schon Wochen vor A.s Tod von dem Irrtum. Die genauen Umstände seiner unrechtmäßigen Inhaftierung, des Brandes und seines Todes sind immer noch ungeklärt. Laut einem Gutachten soll er das Feuer selbst gelegt haben. Schon im November vergangenen Jahres sind die Ermittlungen eingestellt worden. Eine Verkettung von Fehlern wurde zwar aufgedeckt, aber kein vorsätzliches Fehlverhalten erkannt. Im Januar dieses Jahres hat der Anwalt der Eltern des Verstorbenen Beschwerde gegen das Ende der Ermittlungen eingelegt.

Bedrohung von Seda Başay-Yıldız, 2018, Frankfurt

Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız hatte als Nebenklägerin NSU-Opfer vertreten und auch islamistische Gefährder verteidigt. Im August 2018 bekam sie das erste einer Reihe von Drohschreiben, in denen ein mutmaßliches, rechtsextremes Netzwerk unter dem Namen „NSU 2.0“ der Anwältin und ihrer Tochter mit dem Tode drohte. Das Fax enthielt den vollen Namen von Başay-Yıldız damals zweijähriger Tochter und die Wohnadresse der Familie.

Die Ermittlungen ergaben, dass die privaten Daten der Anwältin von einem Computer in einem Polizeirevier in Frankfurt abgefragt worden waren. Sechs Beamt*innen standen daraufhin unter Verdacht, die Daten an das rechtsextreme Netzwerk weitergegeben zu haben. Eine mutmaßliche rechtsextreme Chatgruppe der Polizist*innen wurde aufgedeckt, fünf von ihnen vom Dienst suspendiert. Ein 30-jähriger Beamter wurde schließlich vorläufig festgenommen, allerdings später wieder freigelassen. Ihm werden Bedrohung und Volksverhetzung vorgeworfen.

Tod Matiullah Jabarkhils, 2018, Fulda

Matiullah Jabarkhil wurde am 13. April 2018 in Fulda von der Polizei erschossen. Insgesamt zwölf Schüsse feuerten die Polizeibeamt*innen auf den Afghanen ab. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im vergangenen Jahr eingestellt, weil die Beamt*innen die tödlichen Schüsse als Notwehr darstellen konnten.

Jabarkhil hatte den Auslieferungsfahrer einer Bäckerei sowie einen Streifenbeamten mit einem Stein verletzt und war anschließend mit einem Teleskopschlagstock des Polizisten geflohen. Bei der Verfolgung gaben die Polizist*innen Schüsse ab, die Jabarkhil aber verfehlten. Als er einen Beamten mit dem Schlagstock angriff, schoss dieser erneut. Der 19-jährige Jabarkhil starb noch vor Ort. Die Gruppe „Afghan Refugees Movement“ kämpft weiterhin um die unabhängige und lückenlose Aufklärung des Falles und bezweifelt, dass eine Notwendigkeit bestand, von Seiten der Polizei das Feuer zu eröffnen.

Tod Hussam Fadl, 2016, Berlin

Hussam Fadl wurde am 27. September 2016 vor einer Berliner Unterkunft für Geflüchtete in der Moabiter Kruppstraße von drei Polizeibeamt*innen von hinten erschossen. Der 29-jährige Iraker lebte dort mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Die Polizei war gerufen worden, um einen anderen Mann festzunehmen, der des Versuchs beschuldigt worden war, die damals sechsjährige Tochter Fadls sexuell zu missbrauchen. Der Familienvater lief aufgebracht auf den Wagen der Polizei zu, als der Verdächtige gefesselt im Fahrzeug saß. Die Zeug*innenaussagen darüber, ob Fadl zu diesem Zeitpunkt ein Messer in der Hand hielt, sind widersprüchlich. Drei Polizist*innen feuerten insgesamt vier Schüsse ab. Hussam Fadl erlag im Krankenhaus am selben Tag seinen Verletzungen.

Die Beamt*innen argumentierten später, den zuvor von ihnen festgenommenen Mann im Auto vor Fadl verteidigt zu haben. Der Festgenommene wurde nach Pakistan abgeschoben, ohne vorher befragt worden zu sein. Mit dem Verweis auf Notwehr beziehungsweise Nothilfe stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Jahr 2017 zunächst ein. Wegen eines Klageerzwingungsantrages des Anwalts von Zaman Gate, der Witwe des Irakers, wies das Berliner Kammergericht die Staatsanwaltschaft an, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Das Gericht konnte mehrere Widersprüche in den bisherigen Ermittlungen aufzeigen. Bis heute liegt der Fall unter Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Staatsanwaltschaft.

Tod Jaja Diabi, 2016, Hamburg

Jaja Diabi nahm sich mit 21 Jahren in einer Hamburger Untersuchungshaftanstalt das Leben: Er erhängte sich am 19. Februar 2016 in seiner Zelle. Zuvor war er mit 1,65 Gramm Marihuana festgenommen und für einen Monat eingesperrt worden. Eine solche Menge gilt als Eigenbedarf, allerdings ging der Haftrichter wegen der Fluchtgeschichte des Guinea-Bissauers von Fluchtgefahr aus. Aktivist*innen kritisieren, dass die Haftbegründung der Fluchtgefahr exzessiv auf Ausländer*innen angewendet wird.

Misshandlung Geflüchteter, 2014, Hannover

In den Gewahrsamszellen einer Wache der Bundespolizei Hannover soll ein Polizist 2014 mindestens zwei Geflüchtete gequält und misshandelt haben. Im März 2014 nahmen Beamt*innen einen 19-jährigen Geflüchteten aus Afghanistan wegen geringfügiger Verstöße mit auf die Wache. Bei dem zweiten Fall handelte es sich um einen 19-jährigen Marokkaner, der ohne Fahrkarte in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen war und in dessen Socken Beamt*innen Marihuana gefunden hatten.

Beide Männer soll ein Beamter während ihres Aufenthaltes in der Polizeiwache brutal erniedrigt haben. Der Polizist rühmte sich anschließend vor Polizeikolleg*innen über einen Nachrichtendienst mit Fotos und Beschreibungen der Taten. Obwohl Geflüchtetenverbände, Politiker*innen und Polizeigewerkschaften den Skandal scharf verurteilten, blieben harte Konsequenzen aus. Nach Ermittlungen von Polizei und Staatsauanwaltschaft wurde das Verfahren wegen Körperverletzung im Amt mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom