Frontex muss sich jüngsten Vorwürfen stellen

, von  Teresa Trallori, übersetzt von Johanna Kamin

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Frontex muss sich jüngsten Vorwürfen stellen
Außenansicht der Headquarters der EU-Agentur „Fontex“ in Warschau, 2019 Foto: European Union, 2019 / Janek Skarzynski /EU Licence

Rund um die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex braut sich ein Sturm zusammen. Nach Jahren der Debatte über ihre Methoden und ihre Rolle werden aktuell eine ganze Reihe an Vorwürfen laut, die insbesondere Menschenrechtsverletzungen durch die Behörde beklagen.

Was ist Frontex?

Frontex ist seit 2004 damit beauftragt, die Außengrenzen des Schengen-Raumes zu sichern. Während Frontex in den ersten Jahren ihrer Existenz hauptsächlich die Aktivitäten der Mitgliedstaaten koordinierte, haben ihre Aufgaben und ihr Budget seit 2015, mit der Hochphase der sogenannten “Flüchtlingskrise”, kontinuierlich zugenommen. In den letzten Jahren hat Frontex eine Vielzahl an Operationen im Mittelmeer und am Balkan unternommen und arbeitet sowohl mit europäischen Mitgliedstaaten als auch Nicht-Mitgliedern zusammen, um die wichtigsten Fluchtrouten in die EU zu kontrollieren.

Frontex ist also zu einer zentralen und einflussreichen Behörde geworden, die noch dazu mit einer umstrittenen Frage beauftragt ist, welche die EU seit vielen Jahren spaltet: die Frage der Einwanderung. Deshalb ist es erschütternd, dass Frontex‘ Direktor Fabrice Leggeri beschuldigt wird, völkerrechtlich geltende Menschenrechtsstandards zu unterbinden.

Die Anschuldigungen gegen die Agentur

Die Europäische Kommission wirft Frontex vor, insgesamt vierzig Stellen nicht besetzt zu haben, welche den Schutz der Grundrechte von Migrant*innen gewährleisten sollten. Darüber hinaus kritisiert die Kommission, dass Leggeri das Europäische Parlament während einer Anhörung über den mangelnden Grundrechteschutz durch Frontex getäuscht habe. Die Vorwürfe gegenüber Frontex werden von mehreren Seiten unterstützt: Monique Patriat, Generaldirektorin für Migration in der Kommission, hat die Anschuldigungen formuliert und scheint die Unterstützung liberaler Gruppen im Europäischen Parlament zu haben, darunter die Grünen und Renew Europe. Außerdem hat Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, Frontex dazu aufgefordert, die Vorwürfe zu klären und auch zu weiteren Anschuldigungen der letzten Wochen Stellung zu nehmen.

In der Tat muss Frontex nun auch eine Überprüfung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (kurz OLAF; nach der französischen Bezeichnung Office Européen de Lutte Anti-Fraude) fürchten. Unter den Vorwürfen, die erhoben werden, wiegt wohl am schwersten, dass Frontex in illegale „Push-Backs“ verwickelt gewesen sein soll. „Push-Backs“ bezeichnet eine gefährliche und illegale Praxis, Migrant*innen wieder über eine Grenze in das Land zu drängen, aus dem sie kamen, ohne ihnen die Möglichkeit zu bieten, Asyl zu beantragen oder auch nur medizinische Versorgung zu gewähren. Laut des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), verletzen „Push-Backs“ eine Vielzahl an Rechtsgrundsätzen, unter anderem das Verbot der kollektiven Abschiebung, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.

Kürzlich sind Berichte von solchen illegalen Praktiken in Bosnien aufgekommen, wo Frontex gemeinsam mit bosnischen Einsatzkräften vor Ort ist. In Bihac, an der Grenze zu Kroatien, leben ungefähr 1500 Migrant*innen, zum Großteil aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesh, in verzweifelter Lage, nachdem ein Feuer das Geflüchteten-Lager Lipa im Dezember zerstört hatte. Sie wollen dem Lager und den eiskalten Temperaturen entkommen. Eine gemeinsame Untersuchung mehrerer Medienhäuser, unter anderem Der Spiegel und Bellingcat, hat aufgedeckt, dass Frontex außerdem in Push-Backs an der griechisch-türkischen Seegrenze verwickelt war. Anscheinend erlaubten die Beamt*innen dort nicht nur illegale Push-Backs von Booten, sondern erzwangen diesen auch in einem Fall. Diese Praktiken sind dort besonders gefährlich, denn die Boote, auf denen Migrant*innen versuchen von der Türkei in die EU zu gelangen, sind oft überfüllt und können leicht kentern. Aus diesem Grund sind europäische Grenzschützer*innen verpflichtet, Migrant*innen aus diesen Umständen zu retten: Allein sie zu ignorieren wäre illegal, geschweige denn die Boote wieder aufs offene Meer zurück zu drängen.

Welche Auswirkungen haben die Vorwürfe?

Auch wenn Leggeri die Vorwürfe entschieden zurückgewiesen hat, scheinen sie die lang anhaltende Kritik an Frontex zu bestätigen: Über die letzten Jahre haben viele Journalist*innen und Aktivist*innen immer wieder auf illegale Praktiken an den europäischen Außengrenzen hingewiesen und Frontex dafür kritisiert, im Mittelmeer wegzuschauen und Rettungsaktionen an die ebenfalls in der Kritik stehenden libyschen Küstenwache zu verweisen.

Generell wird Frontex kritisiert, die Idee einer „Festung Europa“ zu verkörpern. Diese steht für Abschottung der EU gegenüber Migrant*innen und Europas Bereitschaft, ihre Außengrenzen um jeden Preis zu verteidigen.

Bis jetzt sind diese Anschuldigungen weitestgehend ignoriert geblieben. Stattdessen sind Frontex‘ Aufgaben und Budget stetig gewachsen. Ende 2019 ist das Amt damit beauftragt worden, bis 2027 eine Reserve von 10.000 Einsatzkräften aufzustocken. Die EU wird damit über eine Truppe an Einsatzkräften verfügen, die der Idee einer Europäischen Armee bereits sehr nahekommt. Leggeri selbst bezeichnete sie als „zivile Truppen in europäischen Uniformen“. Diese Pläne gehen natürlich mit einer Steigerung des Budgets einher, und zwar von 142€ Millionen in 2015 auf 460€ Millionen in 2020. Zusätzliche Förderung von mindesten 11€ Milliarden zwischen 2021 und 2027 kommen noch hinzu, „um eine stehende Truppe aufzubauen, neues Equipment zu kaufen und neue Aufgaben durchführen zu können“.

Eine Situation, in der es keine Gewinner gibt?

In Anbetracht der beträchtlichen Ressourcen und Aufgaben, mit der Frontex ausgestattet wird, spielt die Behörde zukünftig eine noch entscheidendere Rolle in der EU. Frontex ist als Grenzschutzbehörde der erste, und daher wichtigste, Kontaktpunkt zwischen Migrant*innen und der EU. Frontex wird damit zum Symbol für die europäische Haltung zu Asylgesuchen und der Hilfe schutzsuchender Menschen. Bedenken wir, welche Konsequenzen dieser erste Kontakt für das Leben zahlreicher Migrant*innen haben wird und welche Debatten und Spannungen das Thema Einwanderung zwischen den Mitgliedstaaten ausgelöst hat – die Praktiken der Behörde sollten so transparent wie möglich sein, und sich vor allem streng an internationales Recht halten.

Die jüngsten Vorwürfe gegenüber Frontex deuten bestenfalls auf das Versagen dieser Behörde hin, genügend Transparenz in ihren Operationen herzustellen, und schlimmstenfalls, sollten sich die Anschuldigungen als wahr herausstellen, auf ein Totalversagen der Europäischen Union selbst. Diese würde sich damit als unfähig erweisen, den Machtmissbrauch gegenüber Schutzsuchenden durch ihre eigene Organisation zu verhindern. Um diese Situation, in der es ganz klar keine Gewinner*innen gibt, aufzulösen und vergangene Fehler wieder gut zu machen, müssen die Europäischen Institutionen wie das Parlament, die Kommission und OLAF eng zusammenarbeiten, um die Vorwürfe aufzuklären und Frontex zur Verantwortung zu ziehen.

Solange diese Vorwürfe bestehen, darf die Agentur nicht weiter ausgebaut werden. nd wenn diese sich bewahrheiten, sollten Frontex und alle Organe, die mit ihr arbeiten, gründlichen Untersuchungen und Reformen unterzogen werden, um Mechanismen und Interessen solchen Machtmissbrauchs aufzudecken. Das zu unterlassen wäre ungerecht allen Betroffenen gegenüber.

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