Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter dem künftigen Bundeskanzler Kurz und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) waren sich schnell einig. Mit vielen Zugeständnissen haben sich Österreichs Konservative die Unterstützung der Rechtspopulisten erkauft. Was ihre Koalition für Österreich und Europa bedeuten wird, das lässt sich bereits absehen. Härtere Regeln für Arbeitslose, Leistungen nur noch für „Fleißige“ und eine massive Verschärfung des Asylrechts. Dazu mehr Direktdemokratie – die der FPÖ noch mehr Möglichkeiten für Populismus bietet. Dazu geisterten Begriffe wie Leitkultur und Heimatschutzministerium durch die Verhandlungen. Es scheint fast, als wolle Österreichs künftige Regierung die Uhr zurückdrehen.
FPÖ: Schatten aus der Vergangenheit oder harmlose Konservative?
Nur zu gerne wird die „Nazikeule“ in politischen Diskussionen geschwungen und daher zu recht von seriösen Menschen gemieden. Was aber wenn politische Parteien tatsächlich Neonazi-Gruppen nahestehen oder sich gar aus diesen rekrutieren? Die Neue Rechte in Europa ist kein harmloser Heimatverein. Man mag geneigt sein, die FPÖ zu normalisieren, in ihren Funktionären „nur“ gemäßigte Rechte zu erkennen. Mancher fordert, man dürfe die rechtspopulistische Partei nicht auf die Lebensläufe einiger weniger reduzieren. Es ginge schließlich um Pragmatismus. Die FPÖ sei schließlich auf die Verfassung vereidigt und vom Volk gewählt. Alles legitim also?
Beim genaueren Hinsehen erkennt man, dass eben nur die Fassade geweißelt wurde. Im engsten Führungsgremium der FPÖ stammen fünf von sechs Mitgliedern aus den österreichischen Burschenschaften. In diesen elitären und rechtskonservativen Studentengruppen herrscht bis heute das Gedenken an die Verdienste von NS-Verbrechern und Burschenschafts-Altherren wie Ernst Kaltenbrunner und Irmfried Eberl. Die Mitgliedschaft ist bis heute an einen Arierparagraphen gebunden.
Seit dem Kampf um die Präsidentschaft jedoch, bei der sich schließlich der Grüne Alexander van der Bellen gegen den FPÖ-Kandidaten Hofer durchsetzte, schlägt die FPÖ, zumindest oberflächlich, sanftere Töne an. Man lächelt höflich und pflegt einen bürgerlich-charmanten Stil – durchbrochen von gezielten, rassistischen oder antisemitischen Provokationen. Aber jenseits offizieller Statements hat sich die Partei wenig verändert. Im Gegenteil: Die Macht rechtsradikaler Eliten hat sich im Vergleich zur Haider-FPÖ der 2000er sogar verstärkt.
Schulterzucken statt Widerstand – Rechtsradikalismus gehört nun zum Alltag
Was sich aber verändert hat, ist die Reaktion der Österreicher selber. Als die FPÖ das erste Mal mit an die Macht kam, gab es noch wütende Proteste mit 150.000 Menschen. Die Regierung musste sogar unterirdisch zur Anlobung anreisen. Heute ist die Präsenz rassistischer Parteien hingegen ganz „normal“. Man hat sich an die Rechten gewöhnt, sie gehören jetzt „dazu“. Aber auch in Europa hat sich der Ton verändert. Rechtspopulisten sind in das Herz Europas vorgedrungen – und werden dort weitestgehend akzeptiert. Regierungsbündnisse mit Rechtsradikalen stellen für Europas Konservative keinen Tabubruch mehr dar. Proteste? Verhalten. Und wenn, dann meist von der linken Seite des politischen Spektrums. Eine gefährliche Entwicklung.
Im Jahr 2000, als das Kabinett Schüssel I erstmals die FPÖ in die Regierung brachte, gab es noch „Sanktionen“ der damals 14 anderen EU-Staaten. USA und Israel riefen ihre Botschafter zurück. Begründet wurde dies mit den menschenfeindlichen Aussagen von FPÖ-Funktionären, sowie der rechtsextremistischen Ausrichtung der Partei selbst. Damals bestand noch Sorge, inwieweit so ein Bündnis mit den Werten der EU vereinbar sei. Heute ist es Alltag.
Was zuvor als Rechtsradikalismus klar verurteilt wurde, wird heute lieber vorsichtiger als „Rechtspopulismus“ umschrieben – auch wenn sich die Aussagen nicht verändert haben. Im Gegenteil: Die Neue Rechte hat Begriffe wie „völkisch“ oder „Heimatschutz“, die wegen ihres Bezugs zur NS-Zeit jahrzehntelang Tabu waren, wieder in den Diskurs eingebracht.
Wahlplakat: „Mehr Mut für unser Wiener Blut – Zu viel Fremdes tut niemandem gut!“
Die Maßnahmen, die aus den Koalitionsverhandlungen an die Öffentlichkeit drangen, lesen sich wie eine dystopische Staatsvision: Mehr Überwachung, weniger Redefreiheit, massive Einschränkungen im sozialen Bereich, die vor allem Alleinerziehende und Arbeitslose treffen würden. Allerdings geht das nicht allein auf die FPÖ zurück. Auch der ehemalige Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) beförderte Pläne zur Einschränkung von Demonstrations- und Meinungsfreiheit. Überhaupt hat auch die ÖVP kaum weniger rechte Politik versprochen als die FPÖ. Bei Maßnahmen wie der Einschränkung des Arbeitsschutzes und der Kollektivverträge, die Flächentarifverträgen ähnlich sind, herrscht zwischen ÖVP und FPÖ ohnehin Einigkeit.
Sechs Ministerämter sollen an die rechtsextreme Partei fallen. Neben dem Innenministerium erobert die FPÖ auch die Ressorts Verteidigung, Beamte&Sport, Soziales&Gesundheit, sowie Infrastruktur&Verkehr. Der größte Paukenschlag für die EU: Die FPÖ stellt den Außenminister. Dafür vorgeschlagen ist die parteilose Karin Keissl, eine Nahost-Expertin und EU-Kritikerin. Innenminister soll der Parolenschreiber der FPÖ, Herbert Kickl werden („Daham statt Islam“).
Sebastian Kurz war es wichtiger, seine unbedingte Handlungsfähigkeit zu sichern, indem die ÖVP im Gegenzug das wichtige Finanzministerium erhält. So kann er nicht mehr vom eigenen Finanzminister – wie in früheren österreichischen Regierungen – blockiert werden, opfert aber bereitwillig die Innen- und Außenpolitik Österreichs an die Rechtsextremisten.
Auch für Brüssel wird diese Wahl Folgen haben
Beide Parteien sind sehr skeptisch, was die EU und ihren Integrationsprozess angeht. Der konservative Kurz hält den Grenzschutz für die wichtigste Aufgabe der Union, die sich ansonsten „zurücknehmen soll“. Die FPÖ hingegen hat mehrfach einen „Öxit“, also einem Austrittsreferendum wie dem britischen Brexit, in Spiel gebracht. Es wurde sogar ein Antrag eingebracht, der ein Referendum über den EU-Austritt Österreichs ermöglichen sollte. Trotzdem soll in den Koalitionsgesprächen beschlossen worden sein, kein Öxit-Referendum auf den Weg zu bringen. Bundespräsident van der Bellen hat bereits gedroht, keine EU-feindliche Regierung zu vereidigen. Angeblich soll daher eine klar pro-europäische Linie festgelegt werden und die Zuständigkeit für EU-Angelegenheiten ins Kanzleramt verschoben werden. Aber Papier ist geduldig. Auf Europaebene ist die FPÖ Teil der rechtsextremen ENF-Fraktion. Sie kooperiert offen mit europafeindlichen Gruppen und den europaskeptischen Regierungen von Ungarn und Polen.
In jedem Fall wird aus Wien nur wenig Unterstützung für die dringend notwendigen Reformprojekte von Macron, Juncker oder gar Schulz kommen. Und auch in der EPP wird Ungarns umstrittener Präsident Orban durch die ÖVP Rückenwind erhalten. Dass die türkis-blaue Koalition in Österreich, zusätzlich am 1. Juli 2018 die Präsidentschaft im Europarat übernimmt, dürfte vielen Europäern zu Recht Kopfschmerzen bereiten.
Bereits 2016, bei der Bundespräsidentenwahl, rief eine Auschwitz-Überlebende zur Vorsicht gegenüber der FPÖ auf. Sie fühlte sich durch die Parolen der Partei an 1930 erinnert. Als sich im November 2017 erneut ein Holocaust-Überlebender, Rudolf Gelbard, in einem Video an die Österreicher wandte, war die Antwort ein Sturm aus Hass-Kommentaren und übelsten Beschimpfungen. Kurz vor Weihnachten 2017 wird Österreich also eine Regierung angeloben, in der Männer sitzen, die mit Hass auf Ausländer Wahlen gewinnen und deren Anhänger NS-Verbrecher ehren. Rechtsradikale Minister werden zusammen mit einer konservativen Partei regieren, die schamlos der FPÖ und ihrer rassistischen Hetze nicht nur den roten Teppich ausrollt, sondern sich dieser Ideologie im Wahlkampf sogar selbst bedient hat. Und die letzten Überlebenden des Holocaust sehen hilflos zu – und wenn sie ihre Stimme erheben, dann werden sie beschimpft.
Mitten in Europa. Im Jahr 2017.
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