Georgien: Eine europäische Hoffnung im Kaukasus?

, von  Maria Popczyk, Übersetzt von Katharina Walch

Georgien: Eine europäische Hoffnung im Kaukasus?
Die georgische Präsidentin Salomé Zourabichvili trifft den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel am 21. Januar 2021 Foto: European Union, 2021 / Fotograf*in unbekannt / Copyright: free use

Irina Mugdusi aus Tiflis hat einen Bachelor in Internationalen Beziehungen an der Kaukasus-Universität absolviert und studiert nun am College of Europe am Institut für European Political and Governance Studies. Mit Leidenschaft möchte Irina so viel wie möglich über die Beziehungen zwischen der EU und Georgien lernen und dazu beitragen, diese Beziehungen in Zukunft zu stärken.

Maria Popczyk (Kurier Europejski): Irina, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit uns über die Beziehungen zwischen der EU und Georgien zu sprechen. Die Östliche Partnerschaft (ÖP) wurde teilweise als Reaktion auf den russisch-georgischen Krieg im Jahr 2008 ins Leben gerufen. Die EU wollte ihre Präsenz in der Region erhöhen. Nach diesem Krieg hat Georgien die Kontrolle über Abchasien und Südossetien verloren. Wie würden Sie die Reaktion der EU auf diesen Konflikt im Rahmen der Östlichen Partnerschaft bewerten?

Irina Mugdusi: Einerseits ist es schwer, den russisch-georgischen Konflikt in den Rahmen der Östlichen Partnerschaft einzuordnen, denn das Ziel dieser Politik ist es nicht, zur Konfliktlösung beizutragen. Sie basiert hauptsächlich auf der Stärkung der Beziehungen der EU zu ihren östlichen Nachbarn. Was den russisch-georgischen Krieg betrifft, so spielte die EU eine wichtige Rolle bei der Aushandlung eines Sechs-Punkte-Abkommens und der Erreichung eines Waffenstillstands am 17. August 2008. Die EU hat im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch eine Beobachtungsmission (EUMM Georgia) eingesetzt, die sich um Abchasien und Südossetien herum befindet. Dort sind derzeit mehr als 200 zivile Beobachter*innen tätig. Ziel ist es, die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens zu überwachen, allerdings kann die EUMM Georgia ihr Mandat aufgrund der Russischen Föderation nicht vollständig erfüllen. [1]

Andererseits macht es Sinn, Ihre Frage zur Östlichen Partnerschaft mit dem russisch-georgischen Krieg zu verbinden. Seit den 1990er Jahren gab es Feindseligkeiten zwischen Georgien und Abchasien, aber damals war die EU nicht sehr interessiert am Kaukasus. Aufgrund des politischen Impulses, der 2008 von Polen und Schweden ausging, engagierte sich die EU stärker in der Region. Einige EU-Mitgliedstaaten erkannten insbesondere nach der Erweiterung, die die EU-Grenzen nach Osten ausdehnte, dass der Konflikt die Außenpolitik der EU beeinträchtigte. Ein weiterer Grund, warum die Östliche Partnerschaft ins Leben gerufen wurde, war die Gründung der Union für das Mittelmeer (UfM) im selben Jahr. Wie die UfM wurde auch die Östliche Partnerschaft als Instrument konzipiert, um die normative Macht der EU zu vergrößern und dafür zu sorgen, dass ihre Nachbarländer im Osten stabiler, liberaler und europäischer werden.

Georgien unterzeichnete 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der EU, das auch ein vertieftes und umfassendes Handelsabkommen beinhaltet, und bekräftigte damit seine Annäherung an die EU. Welche Auswirkungen hatte das Abkommen auf Ihr Land? Wie hat es die Beziehungen Georgiens zu Russland und der Eurasischen Wirtschaftsunion beeinflusst?

Ich habe das Assoziierungsabkommen intensiv studiert, und insgesamt ist die wichtigste Errungenschaft die Vertiefte und Umfassende Freihandelszone (DCFTA). Durch das Abkommen erhielt Georgien Zugang zum EU-Binnenmarkt. Aber es gibt immer noch nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie technische Vorschriften, Produktstandards, geografische Indikatoren und Zertifizierungsverfahren. Das bedeutet, dass das DCFTA zwar die wirtschaftliche Entwicklung Georgiens beschleunigt, insgesamt aber keine große Sache zu sein scheint.

Georgien hat ein Problem, was die wirtschaftlichen Beziehungen angeht - in der Vergangenheit gab es mehr Verbindungen zu Russland. Die meisten Leute sagen, dass das DCFTA wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Vielleicht ist es eine Frage der Zeit, denn die EU-Standards sind sehr hoch, und es braucht viel Zeit und Ressourcen, bis Georgien diese Standards erfüllt. Im Moment ist es ein wenig schwierig, starke wirtschaftliche Beziehungen mit der EU zu erreichen. Aber sicherlich ist das DCFTA bereits ein Schritt in Richtung einer tieferen wirtschaftlichen Integration. Daher ist das DCFTA, zumindest für mich, vor allem ein Signal, dass Georgien sich der EU annähert. Sein Wert ist eher politischer Natur.

Was die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) betrifft, so ist Georgien kein Teil davon und hat einen Beitritt nie in Betracht gezogen. Russland hat die EAWU als Antwort auf die Östliche Partnerschaft gegründet. Armenien zum Beispiel ist Mitglied der EAWU und hat kein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet.

Die EUMM Georgia hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es auf beiden Seiten der administrativen Grenzlinien mit Abchasien und Südossetien nicht zu erneuten Feindseligkeiten kommt. Die Mission informiert die EU-Politik und versucht, ein sicheres Leben für die Gemeinschaften in Georgien zu erleichtern. Foto: EUMM Georgia / Creative Commons

Meiner Meinung nach ist die Abhängigkeit von Russland für Georgien gefährlich, weil es mehrere Wirtschaftsblockaden gegeben hat (eine große im Jahr 2005 und eine Energieblockade im Jahr 2006). Das Gute daran war, dass die georgische Regierung daraufhin beschloss, weniger abhängig von Russland zu sein und begann, aserbaidschanisches Gas zu importieren. Es gab auch einige Embargos für Wein - früher exportierte Georgien den Großteil seines Weins nach Russland. Aufgrund dieser Blockaden steigerte Georgien jedoch seine Exporte in europäische Länder, was eine positive Veränderung ist, da dies sicherere und zuverlässigere Märkte sind. Dieser Kontext ist ein weiterer Grund, warum Georgien das Assoziierungsabkommen unterzeichnete - es garantierte einen besseren Marktzugang zu westlichen Ländern.

Daher war die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens eher eine Folge als eine Ursache für die Verschlechterung der russisch-georgischen Beziehungen. Georgiens Außenpolitik war schon vorher pro-westlich. Und Tiflis’ Beziehungen zu Moskau konnten nach dem Krieg 2008 nicht schlechter werden.

Was ist für Sie persönlich das greifbarste Ergebnis der vertieften Zusammenarbeit zwischen der EU und Georgien?

Persönlich denke ich, dass die Visaliberalisierung den größten Einfluss auf mich hatte. Sie war Teil des Assoziierungsabkommens und ist seit 2017 in Kraft. Weil es jetzt so einfach ist, EU-Länder zu besuchen, fühle ich mich dadurch europäischer. Es hilft auch den Georgier*innen, einer zunehmend pro-europäischen Bevölkerung [2], sich besser mit der Europäischen Union zu verbinden.

Was halten die Georgier*innen von der „Östlichen Partnerschaft Plus“, die 2017 vorgeschlagen wurde? Das Projekt „EaP Plus“ richtet sich an Länder, die signifikante Ergebnisse bei der Umsetzung der von der EU erwarteten Reformen erzielt haben. Zu den wichtigsten Vorteilen gehört die Aussicht auf einen Beitritt zur Zoll-, Digital- und Energieunion sowie zum Schengen-Raum.

Ich denke, wenn Sie Georgier*innen nach der „EaP Plus“ fragen, würden sie nicht wissen, was das ist. Sie könnte für einige andere Länder der Östlichen Partnerschaft interessant sein, besonders für die Republik Moldau. Sie haben das Versprechen der Zollunion erwähnt, aber ich denke, ein EaP-Land müsste schon sehr weit entwickelt sein, um dieses „Zuckerbrot“ zu bekommen. Die georgische Regierung hat einige Reformen durchgeführt, aber sie könnte in wirtschaftlicher Hinsicht noch viel mehr tun. Für Kleine und Mittelständische Unternehmen ist es immer noch schwierig sich zu entwickeln, es gibt Schwächen im Finanzsystem, und die langsame und unvollkommene Rechtsprechung stellt ein Hindernis für Unternehmen dar [3]. Wenn die Idee hinter diesem Vorschlag ist, dass Georgien letztendlich der EU beitritt, muss es wirtschaftlich wirklich stark sein. Wenn man die georgische Wirtschaft mit der kleinsten EU-Wirtschaft, Bulgarien, vergleicht, ist sie davon noch sehr weit entfernt.

Im August 2019 erklärte Präsidentin Surabischwili bei einem Besuch in Paris, Georgien sei „bereit, den Platz derer einzunehmen, die die EU verlassen wollen“. Es stimmt, dass die pro-europäische Regierung in Tiflis Reformen durchgeführt hat, um sich dem gemeinschaftlichen Besitzstand anzugleichen, aber glauben Sie, dass es wirklich eine Möglichkeit für den Beitritt Georgiens zur EU gibt? Wollen die Georgier*innen, insbesondere die Jugend, der EU beitreten?

Es gibt definitiv einen immensen politischen Willen, der EU beizutreten, und die Regierung ist pro-europäisch. Dennoch gibt es, wie gesagt, noch viele Reformen zu bewältigen. Seit dem Beginn der Östlichen Partnerschaft, die eigentlich zu einem großen institutionellen Wandel und guter Regierungsführung führen sollte, hat Georgien keine so bedeutenden Veränderungen erlebt.

Was die Bürger*innen angeht, so würden die meisten jungen Georgier*innen sagen, dass sie gerne der EU beitreten würden. Das ist auch bei der älteren Generation der Fall, besonders nach dem Krieg mit Russland. Aber ich glaube nicht, dass das in naher Zukunft passieren wird. Der erste Grund, den ich bereits erwähnt habe, ist, dass Georgien wirtschaftlich nicht dazu bereit ist. Darüber hinaus würde der Beginn von Beitrittsgesprächen eine Bedrohung für Russland darstellen, und Moskau würde zweifellos alles tun, um dies zu verhindern.

Ein weiterer Faktor, den man im Auge behalten muss, ist, dass die EU nicht nur den Beitritt eines Landes, sondern einer Region oder einer Gruppe von Ländern ins Auge fassen würde. Wenn man sich die anderen Kaukasusländer anschaut, haben sie definitiv keinen politischen Willen, Teil der EU zu sein. Die meisten Georgier*innen sehen sich als Europäer*innen, aber ich frage mich, ob die anderen Länder in der Region das auch so sehen.

Was würden Sie sagen, ist die größte Einschränkung der Östlichen Partnerschaft? Ist es der „everything but institutions“-Ansatz, spezifische EaP-Politiken, die verbessert werden müssen, oder vielleicht die Mitgliedschaft einiger Länder, die zögern, grundlegende demokratische Regeln zu übernehmen?

Meiner Meinung nach ist das größte Hindernis, dass Georgien nicht bereit ist, eine stärkere Beziehung zur EU zu haben. Selbst wenn die Östliche Partnerschaft weiterentwickelt wird, wird das nicht ausreichen. Wenn die Pandemie vorbei ist, wenn Georgien zusätzliche Reformen durchführt und beweist, dass es mehr als nur den politischen Willen gibt, sich der EU anzunähern, dann könnte die EU vielleicht ihren Ansatz anpassen und Tiflis eine Vorzugsbehandlung anbieten. Vielleicht nicht die Mitgliedschaft, aber der Beitritt zur EU-Zollunion zum Beispiel.

Abgesehen davon ist die Östliche Partnerschaft für alle Länder gleich, aber sie haben unterschiedliche politische Bestrebungen. Während die Ukraine bereit ist, alles zu tun, um näher an die EU heranzukommen, sind Länder wie Aserbaidschan und Weißrussland nicht so sehr daran interessiert. Offensichtlich ist die Östliche Partnerschaft auch ziemlich unpopulär, weil sie keine Erweiterung vorsieht. Ich denke, es sollte mehr Differenzierung zwischen den Ländern der Östlichen Partnerschaft geben - vielleicht sollte die EU Ländern, die mehr anstreben, wie Georgien und der Ukraine, Priorität einräumen.

Glauben Sie, dass Georgien in 10 Jahren immer noch ein Land der Östlichen Partnerschaft sein wird oder vielleicht ein EU-Beitrittskandidat?

In zehn Jahren könnte Georgien von einer stärkeren EU-Politik profitieren, etwas anderem als der Östlichen Partnerschaft. Wenn es um den Beitritt geht - will die EU überhaupt neue Mitgliedstaaten? Außerdem gibt es andere europäische Länder, die der EU zuerst beitreten wollen - Nordmazedonien, Albanien, Montenegro.

Alles wird vom Fortschritt Georgiens abhängen, denn so hat sich auch die Östliche Partnerschaft entwickelt. Neben der polnisch-schwedischen Initiative gab es auch in den Östlichen Partnerländern selbst einen gewissen politischen Willen. Im Falle Georgiens besagt der letzte Artikel der 1995 verabschiedeten Verfassung, dass „die Verfassungsorgane im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle Maßnahmen ergreifen, um die volle Integration Georgiens in die Europäische Union und die NATO zu gewährleisten“. Das zeigt, dass es schon lange vor der Gründung der Östlichen Partnerschaft das Bestreben gab, sich der EU anzunähern.

Ein weiteres wichtiges Ereignis, das den politischen Willen und die Entschlossenheit Georgiens, ein EU-Mitglied zu werden, unterstreicht, ist der Besuch der georgischen Präsidentin in Brüssel im Januar dieses Jahres. Die Tatsache, dass die Gespräche über den Antrag auf Mitgliedschaft beginnen, zeigt, dass Georgiens Bestreben nicht unrealistisch ist, und dass es nach dem Durchlaufen mehrerer wichtiger Schritte ein Kandidatenland werden könnte.

Ihr letzter Satz ist ein perfekter Abschluss für unser Interview - obwohl Georgien noch einige Fortschritte in Bezug auf Reformen machen muss, gibt es ganz klar eine Aspiration für den Beitritt. Vielen Dank, Irina, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten!

Anmerkungen

[1Auf der Website der EU-Beobachtermission heißt es: „Das Sechs-Punkte-Abkommen von 2008 bildet zusammen mit den Durchführungsmaßnahmen weiterhin die Grundlage für die Präsenz der EUMM vor Ort und ihre Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage. Punkt Fünf des Abkommens muss weiterhin umgesetzt werden, da die fortgesetzte Präsenz von Militärpersonal und -ausrüstung der Russischen Föderation sowohl in Südossetien als auch in Abchasien eine Verletzung dieses Teils des Abkommens darstellt."

[2Laut einer Umfrage des National Democratic Institute aus dem Jahr 2017 ist die Unterstützung für die Europäische Union in Georgien von 72 Prozent im November 2016 auf 80 Prozent gestiegen.

[3EU Action Document for Economic and Business Development in Georgia, veröffentlicht 2017, S. 3.

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