Seit der Invasion 1974 wird Zypern von einer rund 180 km langen Grenze geteilt. Die Republik Zypern umfasst zwar völkerrechtlich die gesamte Insel, jedoch steht der nördliche Teil unter der Kontrolle der Türkei. Im Süden leben seit der Teilung vor allem griechische Zyprer*innen, im Norden türkische Zyprer*innen. Auf beiden Seiten wurden viele Menschen während den Unruhen zu Binnenflüchtlingen. So mussten viele griechische Zyprer*innen aus dem Norden in den Süden fliehen, und türkische Zyprer*innen vom Süden in den Norden.
Danach war die Grenze 29 Jahre lang geschlossen. Niemand konnte in den jeweils anderen Teil reisen. Die errichtete Grenzzone durchschnitt teilweise Siedlungen und es entstanden abgeriegelte Geisterstädte, wie zum Beispiel das Gebiet Varosha in der Hafenstadt Famagusta. Besonders für Menschen, die ihre Häuser und ihre Heimat im jeweils anderen Teil der Insel zurücklassen mussten, war dies mit großem Schmerz verbunden.
Im Rahmen des EU-Beitritts der Republik Zypern 2004 wurde von allen Zyprer*innen auch über den sogenannten Annan-Plan zur Wiedervereinigung des Landes abgestimmt, denn die Grenze wurde als problematisch angesehen. Während die türkischen Zyprer*innen mit 65 Prozent die Pläne befürworteten, fühlten sich die griechischen Zyprer*innen von den vorgesehenen Lösungen benachteiligt und stimmten mit rund 75 Prozent dagegen. Auf beiden Seiten gab es trotzdem viele Stimmen, die eine Wiedervereinigung anstreben. Das spiegelte sich am 23. April 2003 wider, als die Grenze erstmals seit 1974 passierbar wurde. Bis heute wurden sieben Grenzübergänge mit Passkontrollen eingerichtet, wohingegen die Geisterstädte noch immer ausschließlich für die türkische Armee und Truppen der UN zugänglich sind.
Was bedeutete die Grenzöffnung für Zyprer*innen?
Despina ist griechische Zyprerin und arbeitet heute als Ärztin in einem Krankenhaus in Deutschland. Sie war am 23.04.2003, dem Tag der ersten Grenzlockerungen, neun Jahre alt. Drei Wochen danach machte sie sich mit ihren Eltern auf den Weg in den Nordteil der Insel. In den zwei Wochen davor „seien ihre Eltern unsicher gewesen", berichteten sie ihr. Früh morgens fuhren sie los, doch die Grenze überqueren konnten sie erst abends, so lang war die Schlange der wartenden Autos.
Michalakis ist griechischer Zyprer, der als junger Mann Zypern verließ und heute in Deutschland lebt. Er erzählt, bei dem Gedanken an die Grenze fühle er nicht mehr viel. Bei der Grenzöffnung 2003 war er zuerst euphorisch gewesen, dann wieder traurig. Es schmerzt ihn, dass Zypern trotz einzelner Grenzübergänge durch einen Zaun geteilt ist. Jedoch sieht er derzeit keine Hoffnung auf eine Wiedervereinigung. „Mein Vater ist bereits verstorben, ich bin mittlerweile 73 Jahre alt. Das Problem ist längst chronisch geworden, denn für meine Kinder ist es noch immer aktuell“, so Michalakis. Auf die Annäherungsversuche sind in der Vergangenheit bloß Enttäuschungen gefolgt, wie das Scheitern des Annan-Plans oder die aktuellen Spannung zwischen Zypern und der Türkei, aufgrund der südlich von Zypern entdeckten Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Einer Freundin sagte Michalakis vor 40 Jahren, dass er nicht lange in Deutschland bleiben wollte, nur bis er wieder nach Hause darf. Sein Haus liegt jedoch in Varosha, der von türkischem Militär abgeriegelten Geisterstadt in Famagusta. Jeden Abend schaut er zyprische Nachrichten. Nach Zypern zurück fährt er aber nur, um seine Verwandten zu besuchen. Inzwischen hat er sich in Deutschland ein Leben aufgebaut.
Çağdaş ist türkischer Zyprer und lebt jetzt in den Niederlanden. Er studiert dort Politikwissenschaften im Master. Çağdaş macht sich Gedanken über die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens seit der Grenzöffnung. Er sagt, dass seit 2003 ein Wirtschaftswachstum zu beobachten ist. Mit der offenen Grenze kam der Einkaufstourismus in beide Teile der Insel. Der Nordteil profitiere durch die Kaufkraft aus dem Südteil und der Süden durch günstigere Preise im Norden. „Eine Symbiose", wie Çağdaş sagt. Nach und nach wurde das Überqueren der Checkpoints für einen Teil der Zyprer*innen zur Normalität. Da die Türkische Republik Nordzypern international nur von der Türkei anerkannt wird, konnte sie ihre Wirtschaft bisher nicht an den Süden angleichen. Dieser Umstand sorgt für das Aufkommen von Berufspendler*innen vom Norden in den Süden. Besonders die grenznah im Norden lebenden Zyprer*innen nutzen die geöffneten Grenzübergänge für ihre täglichen Anfahrtswege zur Arbeit. Die Grenzschließung führt nun für viele Menschen zu einer wirtschaftlichen Krise.
Begegnungen auf der Ledra-Street
In der Ledra-Street, der Haupteinkaufstraße in Nikosia, passieren die Menschen seit dem 3. April 2008 unbeschwert die Grenze. Ob türkischer Cay nördlich der Grenze oder Frappé im Süden: Hier ist nun beides nach einer flüchtigen Passkontrolle möglich. Möglich wurde dies durch die Zusammenarbeit des damaligen Präsidenten der Republik Zypern, Dimitris Christofias, und dem Regierungsführer des Nordteils der Insel, Mehmet Ali Talat.
Lange waren solche Begegnungen auf der Ledra-Street undenkbar. In den Jahren der geschlossenen Grenzen konnten Zyprer*innen nur unter erschwerten Bedingungen Kontakt zueinander halten, wenn sie auf unterschiedlichen Seiten der Grenze lebten. Politische Treffen fanden in der von der UN kontrollierten Pufferzone, beispielsweise dem dort stehenden Ledra Palace Hotel statt, dem Hauptquartier der Truppen der UNFICYP. Teilweise mussten Treffen sogar ins Ausland verlegt werden.
Grenzschließung wegen Corona?
Seit dem 29. Februar dieses Jahres wurden die Grenzübergänge im Rahmen weitreichender Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus jedoch nach und nach geschlossen. Gegen diese Grenzschließungen wurde protestiert, von griechischen ebenso wie von von türkischen Zyprer*innen. In der Ledra-Street versuchten Demonstrant*innen, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen. Die Angst ist groß, dass ein politisches Interesse dahinterstehen könnte.
Immer mehr Flüchtlinge aus der Türkei versuchen über den Nordteil der Insel in den Südteil und damit in die EU zu kommen. Verschiedene Stimmen vermuten, die Grenzschließung ist eine Reaktion der Republik Zypern darauf. Sie stärkt außerdem diejenigen Stimmen, die sich für eine endgültige Teilung des Landes, eine Zwei-Staaten-Lösung, aussprechen. Relevant ist das auch im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen, die im Nordteil für Ende April angesetzt waren und nun auf Oktober verschoben wurden. Mit ihnen soll auch entschieden werden, ob sich der Norden in Richtung einer Wiedervereinigung, oder in Richtung der Türkei annähert.
Die Regierung der Republik Zypern betont, die Schließungen seien, wie auch in anderen Ländern der EU, temporär und nicht politisch motiviert. Auch Despina ist überzeugt, dass die Grenzen wieder geöffnet werden, sobald die Pandemie überstanden ist. Çağdaş hätte sich eine gemeinsame Lösung gewünscht. Die Corona-Krise sah er auch als Chance, für die Präsidenten der beiden Seiten zusammenzuarbeiten und somit ein Zeichen der Einheit zu senden.
Michalakis findet, das Problem der Grenzen werde zu gegenständlich gedacht. Bevor ein Grenzzaun gebaut werde, gäbe es bereits andere Grenzen, die Menschen trennen, wie fehlende Solidarität und Rassismus. Solche Grenzen ließen sich allein mit dem Entfernen eines Zauns nicht überwinden. Sie werden gebaut, nicht nur auf dieser Insel, sondern in ganz Europa. Er wünscht sich ein gemeinsames, friedliches Zypern.
Eine Botschaft an Europa
Das Beispiel Zypern zeigt, dass überall in Europa genau hingeschaut werden sollte, wenn plötzlich wieder Grenzen entstehen. Die europäische Gemeinschaft sollte ein Auge darauf haben, dass die Grenzen nach einer hoffentlich bald überstandenen Pandemie wieder geöffnet werden. Denn um außer einer grenzübergreifenden wirtschaftlichen Gemeinschaft auch eine grenzenlose, solidarische Wertegemeinschaft anzustreben, müssen auch die Grenzen in den Köpfen abgebaut werden.
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