Robert Habeck trägt weder Anzug noch Krawatte, lässt noch dazu bewusst das Rednerpult links liegen. Er wandert stattdessen lieber auf der Bühne in Osnabrück auf und ab wie ein hipper Entertainer. Wenn Habeck etwa darüber spricht, wie wütend ihn der lasche Umgang der EU mit großen Konzernen wie Facebook, Google, Amazon, Apple und Microsoft macht, kann er auch mal ein wenig in Rage geraten. „Wie ist es möglich, dass diese Unternehmen ihre Gewinne so umlagern können, dass sie einen Großteil der Steuern in der EU umgehen?“, fragt er. Seiner Kritik am zögerlichen Verhalten der EU folgend, spricht er sich für eine standhaftere europäische Haltung aus. „Wenn wir bei der Verfolgung von legaler Steuervermeidung konsequenter vorgehen würden, dann wären auch die Mittel für viele andere Politikfelder verfügbar.“
Gravierende Veränderungen in der politischen Landschaft Deutschlands
Nicht wenige stellten noch 2017 die Sinn- und Existenzfrage an die Grünen, da allmählich auch andere Parteien begannen, Klimapolitik ernst zu nehmen. Tatsächlich wurden die Grünen bei der letzten Bundestagswahl 2017 auch nur die kleinste Fraktion. Danach jedoch änderte sich die politische Gemengelage. In der öffentlichen Wahrnehmung galt die FDP gemeinhin als schuldig für das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen. Die Grünen hingegen verschafften sich mit ihrer Kompromissbereitschaft Respekt in der Bevölkerung. Habeck und seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock krempelten ihre Partei danach gewaltig um. Konkret beinhaltete das: Keine Flügelkämpfe mehr zwischen Fundis und Realos, eine neue Offenheit und Koalitionsbereitschaft mit anderen Parteien und das Zusammendenken von Wirtschaft und Ökologie. Massentaugliche Politik also.
Synergieeffekte für andere grüne Parteien in Europa?
Bis heute haben diese programmatischen Veränderungen zusammen mit der Schwäche der Volksparteien die Grünen von 8,9% bei der letzten Bundestagswahl bis auf 23% in aktuellen Umfragen katapultiert. Auch die Rekordhitze im Sommer 2018 und Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen hatten sicher ihren Anteil an dieser Entwicklung. Doch ist auch bei den anderen grünen Parteien in Europa ein ähnlicher Trend zu finden? In Skandinavien liegen die grünen Parteien durchschnittlich im einstelligen Bereich, in Süd- und Osteuropa spielen sie politisch kaum eine Rolle. Einzige Ausnahme sind die Niederlande, in denen die „Groen Links“ Partei Umfragen zufolge aktuell bei 17 Prozent liegt. Der große Aufschwung für die Grünen in Deutschland ist also noch kein europäischer Trend.
Das allerdings hielt Robert Habeck bei seiner Rede in Osnabrück nicht davon ab, auch für die kommende Europawahl zuversichtlich zu sein. Er lobte die EU als die einzige Institution, die in der Lage sei, die heutigen transnationalen Aufgaben in Europa zu bewältigen. Damit reagierte er auch auf die mehr und mehr sichtbar werdenden nationalistischen Tendenzen. Konkret forderte Habeck die Erschaffung gesamteuropäischer Sozialstandards und eine „Ökologisierung“ der Wirtschaft innerhalb des Binnenmarkts. Seine kühnen Konzepte spiegeln sein politisches Mantra, dass scheinbar radikaler gewordene Umstände ebenso radikale Antworten erforderten.
Grüne Politik zieht an – auch in Osnabrück
Der Bundesvorsitzende der Grünen antwortete auch auf Fragen aus dem Publikum. „Wie würde eine europäische grüne Außenpolitik aussehen, gerade vor dem Hintergrund des wieder aufflammenden Konflikts zwischen Russland und der Ukraine?“, möchte eine Zuhörerin wissen. Habeck verurteilt daraufhin die geplante Gasversorgungslinie Nord Stream 2, die durch die Ostsee statt durch die Ukraine führen soll: „Wie unser ehemalige Außenminister Joschka Fischer es einmal formuliert hat, wir müssen uns dazu zwingen, die Ängste der Ukraine ernst zu nehmen und nicht an ihr vorbeizusehen.“ Dennoch gab Habeck zu, dass „die europäischen Grünen womöglich keinen großen Einfluss auf solche Fragen“ hätten. In seiner Antwort auf eine Frage zur möglichen Aufnahme einiger Balkanstaaten in die EU bis 2025 lenkte Habeck den Blick auf Fehler in der Vergangenheit: „Meiner Meinung nach müssen wir zum Beispiel aus den Erfahrungen mit der Türkei lernen, die damit begonnen hat, anti-demokratische Strukturen zu schaffen, seit wir unsere Versprechen nicht eingehalten haben. Wann immer wir also mit Ländern über eine Aufnahme in die EU verhandeln, müssen wir es aufrichtig tun.“
Am Ende der Veranstaltung schießen noch viele der Besucher*innen Selfies mit dem Grünen-Politiker. Katrin Wanninger, Studentin an der Universität Osnabrück, äußert sich positiv: „Er ist ein richtiger Sympathieträger. Mir gefällt vor allem seine jugendliche Art zu sprechen.“ Auch Jonas Graeber aus dem Vorstand der Osnabrücker Grünen sagt: „Unser Bundesvorsitzender hat ganz schön vorgelegt für unseren Europawahlkampf. Wir werden uns anstrengen, den Saal auch bei unseren kommenden Veranstaltungen so voll zu bekommen wie heute.“
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