treffpunkteuropa.de: Man kann Sie als Insider der Europapolitik bezeichnen. Auch wenn Sie nicht aktive Politikerin waren, so waren Sie doch indirekt in die Gestaltung der Europapolitik involviert. Was hat Sie aktuell dazu veranlasst dieses Buch zu schreiben? Was ist Ihre Motivation?
Ulrike Guérot: Ich habe tatsächlich Anfang der 90er Jahre bei Karl Lamers gearbeitet, in der Arbeitsgruppe Außenpolitik, als der Maastrichter Vertrag verhandelt wurde. Anschließend habe ich dann sehr viel in Thinktanks zum Thema gearbeitet. Mein Leben ist sehr eng mit diesem europäischen Projekt verknüpft. Das Buch habe ich geschrieben, weil wir 25 Jahre nach dem Maastrichter Vertrag, 1992 bis heute 2016, diese politische Union noch nicht umgesetzt haben. Und weil es mir so scheint, dass wir in der Eurokrise und durch die Eurokrise, wirklich jeden Bezug zum politischen Projekt Europa, wie es einmal gemeint und angestrebt war, verloren haben.
Stellen wir uns vor: Ich wäre ein an Europa interessierter Leser dieses Interviews. Können Sie mir sagen warum ich 18 Euro ausgeben soll, um Ihr Buch zu kaufen?
Weil das Buch einen markanten neuen Debattenbeitrag liefert und den Blick weitet. Es ist eine Einladung mutig und ohne Schranken über die europäische Zukunft nachzudenken. Im Buch skizziere ich wie Europa wirklich funktionieren könnte. Es geht zentral um den Begriff der Souveränität, den wir immer noch am Nationalstaat festmachen. Wir erleben gerade in der Flüchtlingskrise, aber auch in der Brexit- und Grexitkrise, dass die nationale Souveränität immer kollidiert mit dem europäischen Interesse. Daher versuche ich, gerade den Souveränitätsbegriff zu dekonstruieren, um zu sagen wie Europa institutionell ganz anders aussehen müsste, damit ein demokratisches Europa überhaupt entstehen kann.
Sie gehen in Ihrem Buch durchaus hart mit der EU ins Gericht. Ist Ihr Buch irgendwo auch EU-feindlich?
Naja, feindlich? Da müssten wir uns jetzt lange unterhalten was feindlich heißt. Aber in der Tat, ich formuliere eine sehr harte EU-Kritik. Das was ich klar benenne sind die systemischen Mängel der EU, dass die EU eben so nicht funktionieren kann, um gute und nachhaltig tragfähige europäische Lösungen zu bringen, für die europäischen Bürger. Insofern kann man mich als systemfeindlich bezeichnen, weil ich begründetermaßen denke, dass die EU, unter gegebenen Bedingungen, a) sich nicht reformieren kann und b) kaum vernünftige europäische Lösungen produziert.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Parteien wie der Front National, die FPÖ, oder jetzt auch die AfD in Deutschland davon profitieren, dass sie offensichtliche Mängel der EU anprangern, während sich die politische Mitte einer kritischen Debatte verschließt. Wandern Sie bei einer solchen Argumentation nicht auf einem gefährlich schmalen Grad?
Ja, sicherlich! Und das ist in der Tat gefährlich und auch provokant. Dazu stehe ich aber auch, weil ich einfach wollte, dass folgendes klar wird: Auch Jürgen Habermaas sieht technokratische Strukturen und ein Demokratiedefizit in der EU und sagt das als Akademiker. Jetzt ist die Frage warum ein Akademiker das sagen darf und im politischen Raum dürfen wir das nicht sagen? Die eigentliche Schlußfolgerung wäre, daß wir uns das Demokratiedefizit, auf das uns Akademiker hinweisen, anschauen, ernst nehmen und beschließen diese Mißstände zu beheben.
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Sie behaupten ferner, dass zwar die EU unpopulär ist, aber trotzdem noch zwei Drittel der EU-Bürger eine Sehnsucht nach Europa haben. Wenn man aber auf Wahlergebnisse schaut, kürzlich erst in Österreich oder bei den Landtagswahlen in Deutschland, wo nationalistische, europakritische Parteien starken Zulauf bekommen, könnte man an der Einschätzung zweifeln.
Das was ich erfahren habe während unzähliger Reisen und Vorträge und das kann man auch abbilden, ist dass die meisten Bürger intuitiv verstanden haben: Allein kann der Nationalstaat hier auf dem Kontinent nichts mehr richten. Wir müssen irgendwelche europäischen Lösungen finden. Das Problem ist, daß ein gutes Europa nicht im politischen Angebot ist. Im politischen Angebot sind die Populisten, die sagen: „Weil das undemokratisch ist, wollen wir da raus.“, und die anderen sagen: „Alles ist alternativlos und wir machen weiter so.“
Was halten Sie von der Dominanz des Europäischen Rates bei grundlegenden Entscheidungen? Denken Sie dass die EU verständlicher für die Bürger und demokratischer geworden ist, weil die national bekannten Staats- und Regierungschefs bei der EU-Politik die Zügel verstärkt in der Hand halten?
Nein, überhaupt nicht. Der Europäische Rat, im Gefüge der Institutionen ist ein Problem, weil sich im Rat, die nationale Souveränität, die nationalen Karten immer wieder manifestieren und jeder eine nationale Karte zieht, wenn er meint eine ziehen zu müssen. Insofern ist der Europäische Rat, eigentlich das zentrale Problem im Institutionsgefüge der EU.
Das Bewusstsein, dass die EU nicht gut funktioniert, hat ja auch die etablierte Politik erreicht, nur sucht man die Lösung meist in mehr Nationalstaat. David Cameron hat jetzt aktuell im Rahen der Brexitdebatte gewisse Vorschläge zur Reform der EU gemacht. Auch wird oft von britischer Seite moniert, dass das EU-Budget zu aufgeblasen ist.
Wissen Sie, wenn sie im Tennisclub sagen: Ich will dabei sein, aber ich spiel kein Tennis, dann ist das dumm und das macht man auch nicht. Ich kann die Vorschläge von Cameron nicht begrüßen. Das sind politische Inszenierungen, die jetzt das Votum skeptischer Wähler für einen Brexit verhindern sollen. Ist das EU-Budget zu hoch? Nein, natürlich nicht. Das Budget der EU sind 0,9 % vom BIP der Europäischen Union. Große Politik macht man damit sowieso nicht. Für das was wir gemeinsam tun müssten, nämlich eine Sozial- und Fiskalunion, in die der Euro eingebettet werden könnte, dafür reicht das Budget hinten und vorne nicht aus.
Wieso ist die Eurokrise bzw. Griechenlandkrise ein so zentrales Thema in Ihrem Buch?
Zur Eurokrise wurde sehr viel publiziert, auch wissenschaftlich. Und in diesen wissenschaftlichen Publikationen wurden die zentralen institutionellen Mängel der Euro-Governance auch immer angemahnt, aber im politischen Diskurs hatten wir eine andere Diskussion. Vor allem in Deutschland. Diese Diskussion war sehr bestimmt davon, dass wir in Deutschland für alle bezahlen, in Anführungsstrichen, dass wir das Opfer sind usw. und das versuche ich in dem Buch zu dekonstruieren, weil das so nicht stimmt.
Im Buch erwähnen Sie des öfteren das Konzept der „Vereinigten Staaten von Europa“, worunter Sie eine „Föderation aus Nationalstaaten“ verstehen. Sie erklären das Konzept für tot und fordern stattdessen die „Europäische Republik“. Was verstehen Sie darunter?
Als erstes habe ich in die politische Ideengeschichte zurück geschaut, von Platon, über Cicero und Aristoteles, bis hin zu Rousseau und Kant: immer wenn Bürger sich auf ein politisches Projekt einigen, dann haben sie eine Republik gegründet. Der Begriff der Republik ist das Wort für ein politisches Projekt von Bürgern. Und erinnern wir uns daran, dass die Gründungsväter der europäischen Einigung, Walter Hallstein und Jean Monnet immer davon gesprochen haben, dass die Essenz des europäischen Projektes die Überwindung der Nationalstaaten ist. Der Vorschlag dieses Buches ist zu sagen: Wir machen jetzt endlich ein echtes politisches Projekt Europa, das eben auch die demokratische, die soziale und die fiskalische Flanke schließt. Die Republik kann diese Anforderungen weit besser erfüllen. Denn der Begriff und die Idee der Republik haben eine positive Resonanz. Menschen können sich mit ihr identifizieren und ich bin überzeugt, damit können wir die Menschen wieder für das europäische Projekt emotional ansprechen und begeistern.
Ein ganz wesentliches Konzept dabei ist die Gleichheit aller europäischen Bürger. Was verstehen Sie darunter und wo liegt der Unterschied zur aktuellen Situation?
Der Unterschied zur aktuellen Situation ist relativ klar. Wir sind im Moment Staatsbürger von verschiedenen Nationalstaaten, die sich auf ein europäisches Projekt, nämlich die EU eingelassen haben. Aber die Nationalstaaten determinieren, wie wir, die Bürger Europas, wählen, wie wir Steuern zahlen und welche Rechte wir haben. Trotz Binnenmarkt und Rechtsangleichung, sind wir nicht in einem gemeinsamen Rechtsraum. Wir sind auch nicht in einem Steuerraum. Sie zahlen hier andere Steuern als in Frankreich, als in Finnland. Nur basierend auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit können wir überhaupt ein politisches Projekt, im Sinne einer Republik begründen. Dann wären wir gleich vor den Wahlen, vor dem Recht, vor den Steuern und bei gleichem Zugang zu sozialen Rechten.
Der Untertitel Ihres Buches verrät, dass es sich bei dem was Sie beschreiben um eine politische Utopie handelt? Kokettiert Ihr Buch ein wenig mit der eigenen Weldfremdheit?
Vielleicht. Ich habe überhaupt kein Problem damit zu sagen, dass so wie ich die Welt gerade wahrnehme, ich das gar nicht so schön finde. Und es tatsächlich auch ein Bedürfnis war, dieser Nichtschönheit des Realen, eine ästhetische Skizze und ein bisschen Poesie entgegen zu stellen. Dieses Buch ist eine Gesprächseinladung und soll zum Denken und Träumen anregen.
Die Fragen für treffpunkteuropa.de stellte Michael Vogtmann.
Zur Person: Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin und Gründerin des „European Democracy Lab“ Berlin. Sie hat im Laufe ihres Lebens für diverse politische Thinktanks gearbeitet und gilt als ausgewiesene Expertin der Europapolitik. Ihr neuestes Buch "Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie" ist seit April 2016 erhältlich.
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