Wie gefährlich ist Covid-19 und was müssen wir dagegen unternehmen?

Habt keine Panik – Aber nehmt die Lage ernst!

, von  Nadina Kompalla, John Grosser

Habt keine Panik – Aber nehmt die Lage ernst!
Zu den Symptomen einer Corona-Infektion zählt Fieber. Foto: Unsplash / Matteo Fusco / Unsplash License

Das neuartige Coronavirus und die von ihm verursachte Krankheit Covid-19 verbreiten sich in vielen Ländern mit erschreckender Geschwindigkeit. Weltweit gibt es hunderttausende Infektionen und tausende Todesfälle. Besonders betroffene Länder leiten strenge Maßnahmen ein: Ausgangssperren, Einreiseverbote und Quarantänen. Gleichzeitig halten viele Bürger*innen diese Reaktionen für übertrieben und die Berichterstattung für Panikmache. Dies ist fehlgeleitet: Deutschland und seine europäischen Partner*innen müssen jetzt effektiv handeln, um die Pandemie unter Kontrolle zu behalten. Ein Kommentar.

Die meisten italienischen Geschäfte, Schulen, Universitäten und Kitas schließen bis mindestens Anfang April. Einreisen sind nur in Ausnahmefällen erlaubt. Reisende müssen Selbsterklärungsformulare bei sich tragen und ein Verlassen der Quarantäne ist für positiv getestete Personen strafbar. Die Straßen sind leer und werden polizeilich kontrolliert. Für Italiener*innen die neue Normalität.

Im Vergleich dazu zeigen sich bisher noch wenige Veränderungen auf deutschen Straßen. Obwohl in vielen Bundesländern Semesterstart und Schulbeginn verschoben wurden, werden zahlreiche Geschäfte immer noch gut besucht. Viele alltägliche Veranstaltungen finden statt und abends treffen sich in vielen Großstädten die Menschen in Kneipen und Restaurants. Selbst die Bundesligaspiele wurden noch vor Kurzem, bereits nach der Ankunft des Coronavirus in Deutschland, von zehntausenden Zuschauer*innen besucht. Die Entscheidung über ein Zuschauer*innenverbot bei den kommenden Spielen trifft bei vielen auf Unmut und fehlendes Verständnis.

„Flattening the Curve“: Warum die Verbreitung verlangsamt werden muss

Maßnahmen wie Schließungen und Versammlungsverbote haben nicht zum Ziel, die Anzahl an Infizierten insgesamt zu verringern, sondern die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Wenn eine Pandemie schnell ihren Höhepunkt erreicht, sind viele Betroffene gleichzeitig auf medizinische Hilfe angewiesen. Eine zu hohe Anzahl gleichzeitiger Neuinfektionen würde aber das begrenzte Kontingent an Intensivbetten, medizinischem Personal und Ausrüstung in unserem Gesundheitssystem überfordern. Wenn dieses Kontingent ausgeschöpft ist und nicht mehr allen geholfen werden kann, müssen wir uns plötzlich ethischen Fragen über Ressourcenverteilung und Behandlungspriorität stellen. Fragen, die bislang unzumutbar erschienen.

Werden hingegen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, welche die Ausbreitung des Virus eindämmen, verteilen sich die Krankheitsfälle auf einen größeren Zeitraum. Die Anzahl der täglich Neuerkrankten sinkt, Gesundheitseinrichtungen werden nicht auf einen Schlag überlastet und können einen höheren Anteil der Patient*innen behandeln. Dieses Ziel, die Anzahl der gleichzeitig Infizierten möglichst unter der Kapazitätsgrenze des Gesundheitssystems zu haben, wird als „flattening the curve“ bezeichnet.

In Italien ist es dafür zum Teil bereits zu spät. Die Intensivstationen in der Lombardei sind schon längst überfüllt, die Anzahl an Bedürftigen beträgt ein Vielfaches der tatsächlich verfügbaren Intensivbetten. Die Patient*innen müssen zunehmend auf Korridoren behandelt oder weggeschickt werden. Das Szenario ist vergleichbar mit einer Katastrophenmedizin, in der sich das medizinische Personal nach ethischen Richtlinien für den Ausnahmezustand richten muss: Die Patient*innen mit der größten Chance für eine erfolgreiche Therapie müssen den Zugang zur Intensivmedizin erhalten. Bedeutet im Umkehrschluss: Ältere Menschen und Personen mit schweren Atemproblemen, schwachen Immunsystemen oder chronischen Erkrankungen werden teilweise gar nicht mehr behandelt. Die Kapazität reicht einfach nicht aus.

Sofort handeln: Bei exponentiellem Wachstum zählt jeder Tag

„Wieso jetzt schon so drastische Maßnahmen ergreifen? Noch ist die Lage ja nicht so kritisch“, lautet ein anderes Argument gegen schnelle Maßnahmen. Solche Aussagen zeigen ein Grundproblem in der Virusbekämpfung auf: das mangelnde menschliche Verständnis für exponentielles Wachstum. Wie viele Reiskörner benötigt man, um ein Schachbrett zu füllen, wenn man auf dem ersten Feld mit einem Reiskorn anfängt und die Anzahl an Reiskörnern auf jedem Feld verdoppelt? Viele werden dieses Gedankenexperiment wahrscheinlich schon aus der Schule kennen. Dass bereits nach dem 55. Feld die weltweite jährliche Weizenproduktion benötigt wird, ist jedoch für viele kaum zu begreifen. Und nach genau diesen Regeln verbreitet sich das Virus. Bis jetzt ist in den meisten Ländern, in denen noch keine oder erst kürzlich verordnete Maßnahmen zum Infektionsschutz verordnet wurden, ein anhaltender exponentieller Anstieg an Infizierten zu verzeichnen. Was das für die Zukunft im „Worst case“-Szenario bedeuten kann, wirkt gerade noch realitätsfern. Besonders am Coronavirus ist jedoch auch seine hohe Latenzzeit, also die Zeit zwischen der Infektion und dem Erscheinen von Symptomen. Dadurch, dass Symptome erst vergleichsweise spät auftreten, befinden wir uns bereits an einem viel späteren Zeitpunkt der Pandemie, als viele vermuten. Umso schneller müssen nun Maßnahmen folgen.

Covid-19 ist mehr als nur die Grippe!

„Um die Grippe machen wir doch auch kein Drama“, hört man Gegner*innen stärkerer Maßnahmen argumentieren. Doch dieses Argument ist schwach. Um die Krankheiten zu vergleichen, können wir uns drei wichtige Fragen stellen. Wie tödlich sind sie (was ist ihre „Letalität“), wie ansteckend sind sie, und wie gut können wir sie behandeln?

  • Obwohl die Grippe nicht ungefährlich ist, gibt es schon seit Jahren effektive Impfungen gegen viele Arten von Influenza. Behandlungsmöglichkeiten existieren und sind medizinischem Personal und Patient*innen oft geläufig. Für Covid-19 trifft das nicht zu. Es wird zwar weltweit mit Hochdruck an Impfstoffen geforscht, die Entwicklung und Sicherheitsprüfung dieser Impfungen wird aber Zeit beanspruchen, nach gängigen Schätzungen zwischen 12 und 18 Monaten – eine Impfung könnte also womöglich erst im Sommer 2021 verfügbar sein. Behandlungen können wahrscheinlich schneller entwickelt werden, aber auch dieser Prozess könnte sich mehrere Monate hinziehen.

Und jetzt? Maßnahmen gegen die Ausbreitung

Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, muss die Ausbreitung also durch Maßnahmen eingeschränkt werden, die zurzeit noch drastisch erscheinen. Die zuständigen Behörden müssen sicherstellen, dass jede*r mit einem begründeten Verdacht auf Infektion Zugang zu einem Test hat. Regierungen, Arbeitgeber und private Organisationen müssen soziale Distanzierung ermöglichen und erzwingen: Das bedeutet, dass Großveranstaltungen abgesagt werden müssen, Arbeit, Studium und Schulunterricht von zuhause ermöglicht werden muss und zudem jede*r in Deutschland in der Lage sein muss, diese Einschränkungen finanziell und sozial zu überstehen. Gleichzeitig muss die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungen sowohl in Deutschland und international vorangetrieben. Regelmäßig, akkurat und vertrauenswürdig muss über den Ernst der Lage aufgeklärt und informiert werden. Der Handlungsbedarf ist enorm.

Außerdem müssen wir in den kommenden Wochen und Monaten vermehrt auf unser eigenes Verhalten achten. Wir sollten uns regelmäßig die Hände waschen – jeweils mindestens 20 Sekunden lang. Wir sollten vom Handschlag als Gruß absehen und in der Öffentlichkeit möglichst auf Abstand zu anderen Personen gehen. Wer Symptome aufweist oder Kontakt mit einer infizierten Person hatte, sollte sich – nach Möglichkeit – vorerst isolieren, die zuständigen Behörden informieren und auf Anweisungen warten. Wir sollten alle darauf achten, Rücksicht auf besonders schutzbedürftige Teile der Bevölkerung zu nehmen. Diese Pandemie wird sich bewältigen lassen, aber nur wenn wir alle zusammenstehen - am besten aber mit einem Meter Abstand.

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