Ethik und Künstliche Intelligenz

In dubio pro humanitas! - Was eine KI nicht ersetzen kann

, von  Julia Mayer

In dubio pro humanitas! - Was eine KI nicht ersetzen kann
Der digitale Humanismus vertritt die Auffassung, dass KIs nicht in der Lage sein können, moralisch zu urteilen. Fotoquelle: Unsplash / Alex Knight / Unsplash License

Ein wichtiges Thema, zu dem sich die neuen EU-Parlamentarier*innen nach der Europawahl im Mai positionieren müssen, ist Künstliche Intelligenz (KI). Deshalb beleuchten wir in einem Themenschwerpunkt die Chancen und Herausforderungen, die diese Technologie mit sich bringt. Eine Möglichkeit, sich KI aus einer ethischen Perspektive zu nähern, ist die Denkschule „digitaler Humanismus“.

Sich selbst optimieren: Das wünschen sich die meisten. Sei es das Aussehen, die schulische Leistung oder die gezielte Verbesserung bestimmter Fertigkeiten. Doch ist dies überhaupt wünschenswert?

Die Verschmelzung von Mensch und Maschine könnten diese Wünsche, jedenfalls in naher Zukunft, erfüllen. In einem weiten Verständnis von Künstlicher Intelligenz (KI) existieren solche Formen bereits in unserem Alltag, man denke nur an die Brille zur Verbesserung der Sehleistung. Doch dies ist nur der Anfang des sogenannten „Cyborgs“, also der optimierten Form des Menschen. Vertreter der philosophischen Denkrichtung des Transhumanismus plädieren für eine weitergehende Optimierung der menschlichen Natur. Die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten sollen fortlaufend durch technische Hilfsmittel erweitert werden. Ethisch problematisch wird die Thematik dann, wenn die neuen Technologien gezielt eingesetzt werden, um bestimmte Fähigkeiten gesunder Menschen zu optimieren. Mithilfe von Neuroenhancern gelingt es zum Beispiel die Aufmerksamkeit zu erhöhen, die Müdigkeit zu unterdrücken oder gar das moralische Verhalten zu beeinflussen. In Abgrenzung zum Transhumanismus, der solche Eingriffe nicht ablehnt und die fortschreitende Optimierung des Menschen unterstützt, begründen Nida-Rümelin und Weidenfeld (2018) mit dem gleichnamigen Buch die philosophische Denkrichtung des digitalen Humanismus als Ethik für das digitale Zeitalter. Dabei lautet eine zentrale These, dass es nicht gelingen wird, dass eine KI Gefühle und ein Bewusstsein besitzt und dass man diese folglich von der menschlichen Existenz abtrennen muss.

Urteils- und Entscheidungskompetenz

Der digitale Humanismus vertritt die Auffassung, dass KIs nicht in der Lage sein können, moralisch zu urteilen. Dies hängt damit zusammen, dass sie keine Emotionen und Intentionen haben und diese anderen Personen ebenso nicht zuschreiben können. KIs können Gefühle in Form der Mimik und Gestik erkennen und darauf reagieren, indem sie gelernte Ausdrücke simulieren. Dies beruht aber nicht auf der Fähigkeit, sich in andere hineinzudenken und mitzufühlen, sondern auf programmierten Prozessen. Neben der fehlenden Empathiefähigkeit besitzen KIs keine Urteilskraft. Sie sind nicht in der Lage, wertende Stellungnahmen abzugeben, die auf der Abwägung moralischer Gründe basieren. Insbesondere in genuinen moralischen Dilemmata, in denen die Konfliktsituation eine ernste, existenzielle Situation darstellt, versagt die KI, da ihr die praktische Vernunft zur Beurteilung und Abwägung der entscheidungsrelevanten Tatsachen fehlt. Im Gegensatz zu Menschen, bei denen sich Schuldgefühle im Anschluss an die Entscheidung bilden können, entwickelt sich bei einer KI kein Gefühl, falsch gehandelt zu haben.

Anwendungsbeispiel autonomes Fahren

Autonomes Fahren bedeutet, dass die Verantwortung der fahrenden Person abgenommen wird und die Steuerung durch eine KI erfolgt. Der Mensch hat folglich keine Eingriffsmöglichkeit mehr. Für die Realisierung des vollständigen autonomen Fahrens müsste man die Innenstädte umbauen und den Verkehr von dem übrigen Geschehen abtrennen. Denn wie bereits oben erläutert, kann eine KI mit moralischen Dilemmata nach dieser Form der Ethik nicht umgehen. Um dieses Problem zu umgehen, könnte eine Software programmiert werden, deren Ziel es ist, die persönlichen und materiellen Schäden gering zu halten. Diese Form der Problemlösung würde aber gegen das Verrechnungsverbot verstoßen. Unter Zugrundelegung der Unantastbarkeit der Menschenwürde, dürfen Menschenleben nicht gegeneinander verrechnet werden. Die Tatsache, dass Verrechnungen vorgenommen werden, ist unvereinbar mit dem Grundgesetz und der moralischen Ordnung, die unserer zivilen Gesellschaft zugrunde liegt. Eine Umsteuerung des Individualverkehrs müsste durch die öffentliche Hand kontrolliert und gesteuert werden. Studien belegen, dass durch das autonome Fahren weniger Unfälle passieren. Diese Unfälle werden aber ungerechter sein, da sie aus der rationalen Verrechnung einer moralischen Dilemmasituation entstanden sind. In Anbetracht dessen und der Tatsache, dass solche Unfälle weitere Fragen, etwa nach Schuld und Verantwortung aufweisen, gilt es vor der Implementierung sorgfältig abzuwägen.

Digitale Interaktion und Kommunikation

In Anbetracht der Aussage des Digitalen Humanismus, dass KIs keine Empathiefähigkeit besitzen, liegt der Schluss nahe, dass ein Mensch eine KI durch ihr Kommunikationsverhalten enttarnen kann. Dies stellt man schnell fest, wenn man eine Kommunikation mit einem Chatbot startet und nach wenigen Minuten groteske Antworten auf die eigenen Fragen bekommt. Der Mensch erkennt die Maschine aufgrund der fehlenden Intentionalität und somit Bedeutung der kommunizierten Inhalte. Die Kommunikation im Internet eröffnet darüber hinaus eine Fläche zur anonymen Äußerung. Dabei verliert die virtuelle Kommunikation durch die Missachtung von Wahrhaftigkeit und Vertrauen an Wert. Die Tatsache, dass Kommunikation anonym geschehen kann, führt zur Radikalisierung von Meinungen, zur schnelleren Verbreitung von Unwahrheiten und zu Manipulation und Ausbeutung.

Stärkung der digitalen Bildung

Digitale Bildung ist im digitalen Zeitalter essentiell. Dabei sollte das erworbene Wissen stetig mit der Veränderung der digitalen Technologien erneuert werden. Schon heute ist die Spaltung der Gesellschaft in „digital immigrants“ und „digital natives“ klar erkennbar. Die Medienkompetenzen und der Umgang mit digitalen Technologien müssen verbessert werden, damit es leichter wird, eine Unterscheidung zwischen digitaler Simulation und menschlichen Verhaltensäußerungen vorzunehmen. Der digitale Humanismus fordert, die Urteilskraft der Individuen zu stärken, damit jeder selbst Inhalte aus dem Internet vorstrukturieren und ordnen kann und somit den Algorithmen mit Orientierungswissen begegnen kann. Ziel des digitalen Humanismus ist es, die heutige „Datenökonomie“ in eine Wissensgesellschaft zu überführen, um Freiheitsspielräume zur Persönlichkeitsbildung zu gestalten. KI ist in unserem Alltag, insbesondere bei den jüngeren Generationen, omnipräsent. Im Hinblick darauf ist es wesentlich für die Entwicklung, das Recht auf digitale Selbstbestimmung zu stärken und im Rahmen der Bildungspolitik Leitplanken in Bezug auf die Internetnutzung zu setzen.

Wir sind etwas Besonderes!

Die Politik der Digitalisierung treibt die Automatisierung nahezu aller Lebensbereiche voran. Begriffe wie die „disruptive Entwicklung“ mit der die Angst des drohenden Arbeitsplatzverlustes einhergeht und „lebenslanges Lernen“ bringen Verunsicherung mit sich und machen eine ethische Betrachtung des Themas unerlässlich. Dabei muss es uns bewusst sein, dass wir die Technik steuern können und bestimmen, ob und wie wir sie einsetzen. Menschen haben die Fähigkeit moralisch zu urteilen und ihre Entscheidungen abzuwägen. Eine KI stellt nur Berechnungen auf und entscheidet sich für die rationalste Lösung. Der digitale Humanismus erkennt die menschliche Freiheit, Autorschaft und Verantwortung an und möchte diese fördern. Es ist wichtig, dass wir die Digitalisierung nicht als Bedrohung wahrnehmen, sondern erkennen, dass sich durch diese Entwicklung Chancen ergeben, die man selbstverantwortlich nutzen und somit die eigene Zukunft gestalten kann. Moderne Techniken können ambivalent eingesetzt werden. Wir als Menschen können aber kohärente Bewertungen vornehmen und Vorgänge unter ethischen und empirischen Dimensionen betrachten. Diese Fähigkeiten sollten wir im Umgang mit der Digitalisierung nutzen. Um einen verantwortungsvollen Umgang zu gewährleisten, führt kein Weg an dem Aufbau digitaler Kompetenzen vorbei. Digitale Bildung und lebenslanges Lernen sind dafür essentiell. Der digitale Humanismus bietet wichtige Ansatzpunkte für das Verständnis von Digitalisierung und den Umgang mit neuen Technologien. Er rät zur Vorsicht vor Digitalisierungseuphorikern und ist skeptisch gegenüber übertriebenen Erwartungen.

Diese philosophische Denkrichtung setzt auf die menschliche Verantwortlichkeit und Gestaltungskraft, die Stärkung der Demokratie und weist auf den Verfall der menschlichen Verständigung hin. Wir sollten uns zum Ziel setzen, digitale Prozesse gewinnbringend und verantwortungsvoll unter kritischer Abwägung ethischer Gesichtspunkte in unseren Alltag zu integrieren. Menschen mit KIs gleichzusetzen ist ein Fehlschluss!

Weiterführende Informationen:

Nida-Rümelin, J./ Weidenfeld, N.: Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, Piper Verlag, 2018, 2. Auflage

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