Für eine wahrhaftige europäische Industriepolitik

Innovation und Energiewende - Gewinnerformel für die europäische Industrie

, von  Théo Boucart, übersetzt von Gabriel Pritz

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Innovation und Energiewende - Gewinnerformel für die europäische Industrie

Wie kann eine innovative, breit aufgestellte Energiewende der EU und ihrer Industrie einen entscheidenden Vorteil im instabilen 21. Jahrhundert verschaffen? Welche Strategie wird auf europäischer Ebene verfolgt, um eine innovative Energiewende zu verwirklichen?

In den europäischen Verträgen und der Praxis der europäischen Kommission lässt sich ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der Wettbewerbspolitik als „Verfassungsprinzip“ erkennen. Man kann jedoch nicht sagen, dass diese zwei Politikansätze komplett inkompatibel sind: Dank der Ausnahmen im AEUV bezüglich Firmenbündnissen, Monopolstellungen und staatlichen Hilfen weist die Industriepolitik sogar eine Entwicklungstendenz auf.

Insbesondere erlaubt Artikel 101 Absatz 3 des AEUV „technologische Bündnisse“ von Unternehmen (Forschungs- und Lizenzvereinbarungen) unter der Bedingung, dass sich die dadurch entstehenden Abweichungen im Rahmen des Wettbewerbsrechts bewegen. Die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) ermöglicht Staatshilfen in bestimmten Bereichen: Forschung und Innovation, Energiewende, Schaffung von Arbeitsplätzen, Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und wirtschaftlich soziale Kohäsion. Diese Ausnahmenpakete werden als Anfang eines europäischen Konsenses zur Industriepolitik gesehen, dabei eher auf die Ziele konzentrierend denn auf die Mittel.

Zwei dieser Bereiche können jedoch die Basis einer wirklich aktiven Industriepolitik werden und für globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sorgen: Forschung und Innovation sowie die Energiewende. Insbesondere das Zusammenspiel dieser Bereiche, die innovative Energiewende, würde der EU erlauben, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Hier deshalb ein kleines Plädoyer für eine saubere, nachhaltige und innovative Energiewende, auf der eine starke Industriepolitik aufgebaut werden kann.

Auf dem Weg zu einer innovativen Energiewende: Die Energieunion und der „SET-Plan“

Die EU besitzt seit der Ratifizierung der Verträge von Lissabon und der Einführung des Artikels 194 Kompetenzen in der Energiepolitik. Bereits davor hatte die EU angefangen, Vorschriften in diesem Bereich zu erlassen, insbesondere dank des ersten Grünbuchs (2000) über die Energieversorgungssicherheit. Die europäische Energiepolitik verfolgt seit 2009 mehrere Ziele: die reibungslose Funktion des Energiemarktes, Versorgungssicherheit, Energiewende (energetische Effizienz und Entwicklung erneuerbarer Energien) und die Verbindungen zwischen Europäischen Ländern.

Um die schwierige Integration des Energiebinnenmarktes voranzutreiben (vielen Mitgliedsstaaten ist ihre energetische Souveränität sehr wichtig), wurde die Energieunion 2015 geschaffen. Diese Strategie beruht auf fünf Pfeilern: Sicherheit, Solidarität und Vertrauen; integrierter Energiebinnenmarkt; Energieeffizienz; Dekarbonisierung der Wirtschaft; Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Der letzte Pfeiler zur Innovation ist deshalb so wichtig, weil alle anderen Bereiche von energetischen Innovationen betroffen sind.

Diesen fünften Pfeiler stellt die Anpassung des SET-Plans (der seit 2008 existiert) an die Ziele der Energieunion dar. Dieser Plan für erneuerbare Energien kreist um zehn Ziele, die wiederum auf dem integrierten SET-Plan basieren: technologische Führung in den erneuerbaren Energien, ein intelligentes Energiesystem mit dem Verbraucher in einer zentralen Position, effiziente Energiesysteme, nachhaltiger Transport sowie eine besondere fünfte Priorität zur Kohlenstoffspeicherung und Reaktorsicherheit. Um diese Ziele zu konkretisieren hat der SET-Plan europäische Kooperationsstrukturen geschaffen, die Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammenbringen: Die europäische Forschungsallianz zur energetischen Forschung sowie europäische Plattformen zu Technologie und Innovation.

Intensive Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen und Unternehmen

Das Herz des europäischen Tätigwerdens befindet sich also hier: die Kooperation von verschiedenen Akteuren aus allen Bereichen der Innovationskette. Die europäische Energieforschungsallianz ist die Plattform des SET-Plans für die vorgelagerte Forschung, insbesondere durch intensive gesamteuropäische Kooperationsprogramme (250 Forschungseinrichtungen aus 30 Ländern sind an 17 Programmen beteiligt), die im Einklang mit den SET-Plan-Zielen stehen. Die Europäischen Technologie- und Innovationsplattformen stellen die nachgelagerte Seite der Energieforschung dar, wo die Zusammenarbeit mit der Industrie am stärksten ist. Auf zehn Plattformen werden Mittel, Know-How und Forschungsinfrastrukturen gebündelt, um den industriellen Einsatz von Energietechnologien zu fördern. Die Koordinierung zwischen all diesen Initiativen wird durch die SET-Plan-Lenkungsgruppe gewährleistet, die sich aus hochrangigen Vertreter*innen der Partnerländer zusammensetzt.

Der SET-Plan ist die wichtigste europäische Initiative zur Förderung der Entwicklung sauberer Energietechnologien. Es gibt aber noch andere Organisationen. Das Europäische Technologie- und Innovationsinstitut ist ein europäisches öffentliches Institut, das 2008 gegründet wurde und seinen Sitz in Budapest hat, mit dem besonderen Ziel, Innovationen durch die Wissens- und Innovationsgemeinschaften (die starke Integration zwischen Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen) zu fördern. Der Zusammenschluss „InnoEnergy“ ist ein Beispiel für das industrielle Eigentum an Energietechnologien, mit 67 Partnern im Jahr 2011, davon die Hälfte Unternehmen. InnoEnergy ist eine Europäische Aktiengesellschaft (SE), ein Status, der allen 28 EU-Ländern gemeinsam ist, der die Entwicklung ihrer Aktivitäten im gesamten Binnenmarkt ermöglicht, und ist daher ein sehr gutes Beispiel für die Gründung europäischer Unternehmen, die eine europäische Politik im Bereich der Energietechnologien unterstützen.

Leider ist das Potenzial dieser Kooperationen nicht optimiert. Die Kommission bestätigte dies in ihrer Mitteilung von 2015 über einen integrierten strategischen Energietechnologieplan (SET-Plan). Insbesondere die Europäische Energieforschungsallianz und die Europäischen Technologie- und Innovationsplattformen gehen in der Zusammenarbeit nicht weit genug und erfüllen nicht die Ziele des Plans. Generell ist festzustellen, dass die EU zwar bei vielen Energietechnologien Vorreiter ist, dass ihre Unternehmen jedoch kaum in der Lage sind, mit amerikanischen oder chinesischen Wettbewerbern zu konkurrieren. Der Photovoltaiksektor ist ein symbolisches Beispiel, da die europäische Industrie durch chinesische Dumpingpreise zerstört wurde. Was muss die EU in dieser Hinsicht tun, um eine starke Industriepolitik für den Übergang zu innovativen Energien zu entwickeln?

Für eine saubere, nachhaltige und innovative Industriepolitik

Die europäische Wirtschaft wird technologisch und nachhaltig sein - oder wird gar nicht sein. Deshalb muss die EU massiv in einen innovativen Energiewandel investieren. Das Programm Horizon 2020 konzentriert diese Fördermittel auf nachhaltige Projekte, aber das reicht nicht aus. Ein wirklich effizienter CO2-Markt würde viel mehr Geld einbringen. Auch der Juncker-Plan und der Europäische Strategische Investitionsfonds ziehen viele private Investitionen zu innovativen und nachhaltigen Energieprojekte an (obwohl dies nicht in allen Ländern der Fall ist). Die Frage nach einem viel größeren europäischen Haushalt als dem Mehrjahresrahmen 2014-2020 (963,5 Mrd. €) muss angegangen werden, auch wenn der politische Wille nahe Null liegt. Der Vorschlag für einen echten „Green New Deal“ wäre jedoch besonders vorteilhaft für die EU, die Mitgliedstaaten und alle Bürger*innen.

Die Prioritäten des in die Energieunion integrierten SET-Plans müssen gestärkt und von der Europäischen Kommission aktiv unterstützt werden, indem die Bildung europäischer Konsortien gefördert wird, die sich auf saubere Energietechnologien spezialisiert haben und sowohl technologische als auch verfahrenstechnische Innovationen nutzen. Um der Herausforderung gerecht zu werden, wäre viel mehr „InnoEnergy“ und viel mehr Integration erforderlich.

Ebenso sollten die Europäische Kommission, der Rat der EU und das Europäische Parlament die Gründung europäischer Unternehmen in allen Sektoren der europäischen Wirtschaft fördern und sie gleichzeitig verpflichten, sich an die neuen Gegebenheiten der kohlenstoffarmen wissensbasierten Wirtschaft anzupassen. Dies würde der europäischen Wirtschaft einen Vorteil gegenüber dem Rest der Welt verschaffen und gleichzeitig sicherstellen, dass nicht zu viele Arbeitnehmer*innen unter strukturellen Veränderungen leiden.

Der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung arbeiten vorerst an der Bekämpfung von Ausgrenzung und sozialer Degradierung. Sie könnten durch eine überwachte Übergangsmission zu einer sauberen und innovativen Wirtschaft ergänzt werden. Die europäische Industrie muss Hand in Hand gehen mit nachhaltigen und gut bezahlten Arbeitsplätzen, was auch für die Nachhaltigkeit des europäischen Projekts und die Unterstützung der Bürger*innen dafür unerlässlich ist. Das Ausmaß der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfordert eine ehrgeizige und aktive Antwort der Europäischen Union, deren Zukunft sich maßgeblich in diesem Bereich entscheidet.

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