Ein historisches Referendum in Irland
Die Iren haben abgestimmt: In einem Land, das lange das Bild einer extrem konservativen Gesellschaft widergespiegelt hat, ebnet das mit 66,4% Zustimmung eindeutige Ergebnis des Referendums endlich den Weg für die Liberalisierung der Abtreibung. Der umstrittene 1983 per Volksabstimmung eingeführte 8. Zusatzartikel verankerte in der irischen Verfassung das Abtreibungsverbot, indem er das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben mit dem der Mutter gleichstellte. Dadurch sollte verhindert werden, dass dieses durch die Verabschiedung eines gewöhnlichen Gesetzes infrage gestellt wird. Indem sie jetzt für die Aufhebung des Zusatzartikels gestimmt haben, haben die Iren radikal beschlossen, der Heuchelei ein Ende zu bereiten und den Schleier über einer absurden und unhaltbaren Situation zu lüften. Wir erinnern uns an Einzeltragödien wie die Savita Halappanavars, einer 31 Jahre alten Zahnärztin, die 2012 an den Folgen einer Blutvergiftung starb, nachdem man sie informiert hatte, dass sie gerade eine Fehlgeburt erleide. Die Ärzte warteten, bis das Herz des Fötus aufgehört hatte zu schlagen, bevor sie eine therapeutische Abtreibung durchführten.
Infolge dieser Tragödie wurde 2013 das Recht auf Abtreibung auf Fälle ausgeweitet, in denen die Schwangerschaft eine erhebliche Gefahr für das Leben der Frau darstellte. Es handelte sich hierbei jedoch um ein vages Kriterium, das Ärzte und Geburtshelfer kaum dazu ermutigte, im Wissen, dass sie ebenso wie die Mutter im Falle einer Fehldiagnose eine vierzehnjährige Gefängnisstrafe riskierten, eine Entscheidung zu treffen. Die Kampagne des Referendums hat es ermöglicht, eine große Anzahl von Erfahrungsberichten über die Widersprüche einer so strengen Gesetzgebung zu veröffentlichen. Hinter dem Recht auf Leben des Kindes befinden sich junge Mädchen, die man dazu zwingt, Mütter zu werden, Paare, die beschämt ihr Leiden nach einem in aller Heimlichkeit im Ausland durchgeführten Abbruch verbergen, Ärzte, die trotz ihrer wesentlichen Pflicht, Leben zu retten, mittellos sind, und Frauen, die vom Austragen eines dem Tode geweihten Kindes traumatisiert sind, weil man ihnen das Recht, über ihren Körper zu verfügen, vorenthalten hat. Die Liberalisierung der Abtreibung in Irland, einem der letzten europäischen Staaten mit einer derart strengen Gesetzgebung, ist somit ein hoch symbolträchtiger Sieg.
Große Unterschiede zwischen den Staaten hinsichtlich des Zugangs zur Abtreibung
Obwohl Irland sich damit der großen Mehrheit der EU-Staaten anschließt, in denen Frauen frei abtreiben können, solange die von Staat zu Staat unterschiedlichen Fristen (zwischen der 10. und 24. Schwangerschaftswoche) eingehalten werden, ist der Kampf nicht gewonnen. Trotz des offensichtlichen Konsenses über die Liberalisierung der Abtreibung haben Europäerinnen nicht überall den gleichen Zugang zu ihr und werden weiterhin mit der Diskrepanz der nationalen Gesetzgebung diesbezüglich konfrontiert. In Italien ist die Abtreibung seit 1978 legal, doch in der Praxis ist es immer noch äußerst schwierig, sie durchführen zu lassen. Das italienische Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche zulässt, sieht einen Vorbehalt der Ablehnung aus Gewissensgründen für Ärzte vor, die diese nicht durchführen möchten. In diesem überwiegend katholischen Land lehnen 70% der Gynäkologen Schwangerschaftsabbrüche aus Gewissensgründen ab. Der Tod Valentina Milluzzos, einer 32-jährigen Italienerin, schockierte im Oktober 2017 Menschen in Italien und im übrigen Europa zutiefst, nachdem sich ein Gynäkologe geweigert hatte, eine therapeutische Abtreibung an ihr durchzuführen. Selbst im Vereinigten Königreich haben Britinnen nicht überall den gleichen Zugang zur Abtreibung: Da sie in Nordirland illegal ist, sind jedes Jahr mehrere hundert Frauen gezwungen, sich auf eigene Kosten nach Schottland oder England zu begeben, um dort versorgt zu werden. Die britische Regierung hat im Juni 2017 versprochen, die Abtreibungskosten für Frauen aus Nordirland zu übernehmen.
In Polen sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten, aber in drei Fällen zulässig: wenn das Leben der Mutter gefährdet, der Fötus fehlgebildet oder die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung oder von Inzest ist. Zahlreiche Polinnen begeben sich daher nach Deutschland, in die Slowakei oder nach Tschechien, um dort eine Abtreibung legal durchführen zu lassen. Darüber hinaus muss frau die finanziellen Mittel haben. Zu diesen komplexen Situationen kommen noch die in Europa längst nicht verschwundenen Bemühungen hinzu, das Recht auf Abtreibung einzuschränken. 2013 versuchte die liberal-konservative Regierung Spaniens, es auf Fälle von Vergewaltigung und Gesundheitsgefährdung der Mutter einzuschränken, während in Polen die Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) schlichtweg ein absolutes Verbot vorschlug. Infolge von Bürgerinitiativen wurden beide kontroversen Entwürfe zurückgezogen.
Und was ist die Rolle Europas?
Angesichts dieser Schwierigkeiten könnten die Europäische Union und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einheitliche Standards festlegen, um das Recht auf Abtreibung zu garantieren. Die Europäische Union bleibt jedoch in ihrer Organisation nach dem Subsidiaritätsprinzip eingeschränkt: Sie kann nur in den Zuständigkeitsbereichen tätig werden, die ihr von den Mitgliedsstaaten übertragen werden, und abtreibungsbezogene Themen gehören nicht dazu. Das Problem bleibt also ungelöst. In den USA war es zum Beispiel bis 1973 jedem Staat freigestellt, Abtreibungen zu legalisieren oder zu verbieten. Der Oberste Gerichtshof entschied im Fall Roe gegen Wade, dass Abtreibungen dem Recht auf Privatsphäre unterstehen, das von der Verfassung der Vereinigten Staaten geschützt wird. Seitdem sind die amerikanischen Bundesstaaten dazu verpflichtet, Abtreibungen zu genehmigen, und der Oberste Gerichtshof erklärt systematisch Gesetze für verfassungswidrig, die diese innerhalb der ersten 24 Wochen der Schwangerschaft verbieten wollen.
Heikler erscheint hingegen die Situation in Europa in einem Kontext, in dem Staaten zunehmend die Legitimität supranationaler europäischer Organisationen infrage stellen. Zum Beispiel haben einige Pro-Life-Verbände versucht, mit Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Leben schützt, am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Einschränkungen bei der Abtreibung zu rechtfertigen. Der EGMR lehnt es systematisch ab, sich zu diesem Thema zu äußern, und zieht es vor, es den Staaten freizustellen, Abtreibungen zu erlauben beziehungsweise zu verbieten. 1991 musste der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Fall entscheiden, in dem die irische Regierung Studierendenverbänden verboten hatte, Informationsblätter über britische Abtreibungskliniken zu verteilen. Er nutzte diese Gelegenheit jedoch nicht, um den Schutz des Abtreibungsrechts zu betonen, und sagte lediglich, das EU-Recht stehe nicht im Gegensatz zu dem Verbot der Verteilung von Flugblättern in den Mitgliedsstaaten, in denen Abtreibungen verboten seien.
Nichtsdestotrotz hat das Europäische Parlament am 12. September 2017 eine Entscheidung getroffen, in der es heißt, Anti-Abtreibungsgesetze seien eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, und die die Mitgliedsstaaten zur Legalisierung von Abtreibungen ermutigt. Von einem harmonisierten Schutz auf europäischer Ebene sind wir weit entfernt. Dennoch haben die Iren auf brillante Weise gezeigt, dass sich die Ansichten zum Thema Abtreibung ändern können und dass eine Mehrheit der Bürger in puncto Liberalisierung die Seite der Menschlichkeit sowie die des Gesundheitswesens verstehen kann.
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