Ist die Östliche Partnerschaft der EU "de facto” tot? - Von Armenien über Belarus in die Ukraine

, von  Fryderyk Lachaise, Übersetzt von Jean-Marie Bryl

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Ist die Östliche Partnerschaft der EU "de facto” tot? - Von Armenien über Belarus in die Ukraine
Europa ist bislang ein undefinierter Begriff und reicht weit über die Grenzen der EU hinaus. Foto: Pixabay/FotoshopTofs/Lizenz

Vor etwa 3 Jahren urteilte Witold Jurasz, ein erfahrener polnischer Diplomat und Vorsitzender des Thinktanks “Zentrums für strategische Analysen” ​(OAS)​, im Internetportal Defence24, dass die Östliche Partnerschaft der EU “de facto tot” sei.

Diese pessimistische Sichtweise wurde allerdings schon kurz nach Abschluss der Nachbarschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, Moldau und Georgien (im Gründungsjahr 2009) geäußert. Wenn man sich jedoch die jüngsten Ereignisse anschaut, die sich östlich der EU-Grenzen abgespielt haben, kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass das Ziel der Annäherung zwischen den östlichen europäischen Staaten, sowie dem Kaukasus auf der einen Seite und der EU auf der anderen Seite, nicht sehr von Erfolg gekrönt war.

Armenien wieder im Stich gelassen

2020 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in welchem Aserbaidschan (hauptsächlich von der Türkei unterstützt) und Armenien (von russischer Hilfe profitierend) erneut in einen bewaffneten Konflikt über die Region Bergkarabach eingetreten sind. Folgen: Tausende Opfer auf beiden Seiten und massenhafte Emigration. Doch schon einen Monat nach dem Waffenstillstandsvertrag (am 10. Dezember 2020) feierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Gast auf der Militärparade in Baku den aserbaidschanischen Gebietsgewinn. Außer, dass er zu einem Regierungswechsel in Armenien aufrief, bekräftigte er, dass der Krieg an vielen Fronten in der Region fortgeführt werde. Die Situation im Kaukasus bleibt damit kaum vorhersehbar. Wie lange die derzeitige fragile Verständigung von Dauer bleibt, ist ungewiss.

Belarus kommt aus der Lethargie

Als Reaktion auf die Scheinwahlen in Belarus, an deren Ausgang der Präsident Aleksander Lukaschenko seinen angeblichen Sieg mit 80 % erklärt hatte, fingen die Bewohner der Städte Minsk, Grodno, Brest und vielen anderen Orten an, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. In diesen - bis heute andauernden und teilweise blutig verlaufenden - Demonstrationen fordern sie den Diktator auf, die - allem Augenschein nach - eigentliche Wahlsiegerin Swetlana Tichanowskaja anzuerkennen. Die kontinuierlichen sowie beträchtlichen Anstrengungen der Oppositionsbewegung werden von vielen ausländischen Beobachtern genau verfolgt: so würdigte letztens das Europäische Parlament die demokratische Opposition in Belarus mit dem Sarachow-Preis (auch EU-Menschenrechtspreis genannt).

Historischer Umbruch in Kischinau?

Ein politischer Umbruch ereignete sich vor kurzem auch in Moldau, der in unseren Medien leider nur selten und allzu beiläufig erwähnt wurde. Nach den Präsidentschaftswahlen im November 2020 wird ​Maia Sandu​ das Amt der Präsidentin betreten. Als ehemalige moldauische Premierministerin, langjährige Ministerin sowie Ökonomin, präsentiert sie sich als proeuropäische Politikerin und steht damit in Opposition zu ihrem Rivalen, dem abtretenden Präsidenten ​Igor Dodon.​ Dodon ist mit der im Kischinauer Parlament dominierenden Sozialistischen Partei (PCRM) verbunden, die auf eine Annäherung an Russland zielt, welches jedoch nach wie vor die abtrünnige Region Transnistrien kontrolliert.

In der moldauischen Gesellschaft lässt sich seit einiger Zeit ein pro-westlicher Umschwung beobachten. Ziel dieser Kräfte ist es vor allem, sich der russischen Einflusssphäre zu entziehen und der grassierenden politischen Korruption sowie den sozioökonomischen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Um den politischen Wechsel schneller voranzubringen, fordern die Bürger*innen Moldaus, angespornt durch die designierte Präsidentin, vorgezogene Parlamentswahlen. Diese könnten den politischen Weg, ähnlich wie einige Jahre zuvor auf dem Maidan in der Ukraine, in Richtung einer europäischen Integration Moldaus ebnen.

Der holprige Weg der Ukraine Richtung Westen

Ukraine ist der größte Staat in der Östlichen Partnerschaft und im Grunde genommen der einzige in dieser Region, von dem man sagt, dass er sich in nächster Zukunft um eine EU-Mitgliedschaft bewerben könne. Nichtsdestoweniger kämpft auch dieses Land mit großen Herausforderungen, die ihm den Gang Richtung Westen blockieren. Abgesehen von dem nicht zu Ende gehenden Krieg im Donbass, welchen auch keiner von den 29 (!) Waffenstillstandsvereinbarungen ein Ende setzen konnte, wird unser östlicher Nachbar immer noch von der allgegenwärtigen Korruption geplagt; einer der Hauptgründe für die Revolution auf dem Maidan.

Und was noch schlimmer ist: Ende Oktober 2020 fällte das ukrainische Verfassungsgericht ein Urteil, welches praktisch die Arbeit der staatlichen Antikorruptionsbehörden blockierte. Das Problematische dabei ist, dass gegen dieselben ukrainischen Verfassungsrichter, die hinter dem kontroversen Urteil standen, bereits vor dem Urteil Antikorruptions-Verfahren geführt wurden. Das Urteil wurde jedoch scharf vom ukrainischen Präsidenten ​Wolodomyr Selenskyj​angegriffen: so hat er das ukrainische Parlament dazu aufgerufen, alle Verfassungsrichter zu entlassen, was jedoch zu einer bis heute andauernden Verfassungskrise geführt hat.

Wie geht es mit der polnischen Ostpolitik weiter?

Auch wenn in diesem Beitrag über die inneren Angelegenheiten der einzelnen Staaten gesprochen wurde, lohnt es sich kurz zu fragen, ob die EU ausreichend die dynamischen Ereignisse hinter ihrer östlichen Grenze verfolgt und ob sie vielleicht nicht stärker auf diese reagieren sollte. Vor allem Polen könnte eine größere Rolle in der Östlichen Partnerschaft spielen, zumal deren Programm nicht nur einen integralen Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik darstellt, sondern auch durch polnische sowie schwedische Diplomatie initiiert wurde.

Obwohl bestimmte Ziele in den letzten Jahren realisiert wurden - wie die visafreie Einreise in den Schengen-Raum, oder den Zugang zum europäischen Binnenmarkt - kann man mit Sorge eine gewisse Zurückhaltung seitens der EU-Mitglieder beobachten. Demgegenüber ist der Wille der östlichen Partner zur Annäherung an den Westen auch trotz wirtschaftlicher und politischer Hindernisse unverkennbar. Die Beispiele der Ukraine, Moldaus, Georgiens, aber auch Belarus machen dies klar. Ein weiteres Mal könnte sich hierbei die polnische Außenpolitik als eine Schlüsselfigur in der Zukunft der Europäischen Ostpolitik erweisen.

Wie wird die EU-Politik in den Augen der Bewohner*innen in den Staaten der Östlichen Partnerschaft bewertet? Dazu habe ich Vertreter*innen der jungen Generation in Osteuropa sowie im Kaukasus befragt. Deren Ansichten auf die gegenwärtigen Beziehungen mit der EU sowie die Perspektive auf ihre Entwicklung werden bald hier veröffentlicht.

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