Die Pressefreiheit steht auf der Tagesordnung der neuen Europäischen Kommission, die seit 2019 im Amt ist, nun ganz oben. Damit wird der bedrohten Pressefreiheit auf angemessene Weise Rechnung getragen. Denn die Befürchtungen einer „autoritären Wende“ haben sich in Ungarn bewahrheitet: Ministerpräsident Viktor Orbán hat unter dem Vorwand der Coronavirus-Pandemie auf unbestimmte Zeit die volle Macht übernommen. Die neuen Maßnahmen ermöglichen es der Regierung, Gesetze per Verordnung zu erlassen. Damit drohen die letzten verbliebenen unabhängigen Informationsquellen zerstört zu werden. In Polen greift die Regierung die Unabhängigkeit der Justiz an und setzt somit auch die Pressefreiheit zunehmend unter Druck. Einige polnische Gerichte greifen auf Artikel 212 des Strafgesetzbuches zurück, welcher es erlaubt, Journalist*innen, die der Verleumdung beschuldigt werden, zu einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr zu verurteilen. Dies hat die bereits vorherrschende Selbstzensur ungarischer Journalist*innen zusätzlich verstärkt.
Im Süden Europas ist der Kreuzzug der Behörden gegen die Medien besonders ausgeprägt. In Bulgarien, dem sogenannten schwarzen Schaf der EU hinsichtlich der Pressefreiheit, führten 2019 autoritäre Methoden innerhalb der staatlichen Medien zu einer deutlichen Verschlechterung der Situation.
Journalist*innen müssen sich auch zunehmend der Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstrant*innen stellen. Im Rahmen der Gelbwesten-Proteste in Frankreich, wurden viele Journalist*innen von den Sicherheitskräften verletzt oder von wütenden Demonstrant*innen angegangen. Dieses Phänomen, das in ganz Europa zunimmt, ist nicht zuletzt auf die Folgen von Hasskampagnen und einem generellen Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in die Medien zurückzuführen. In Spanien griffen katalanische Unabhängigkeitskämpfer*innen bei Demonstrationen Journalist*innen an. Der beunruhigende Durchbruch der spanischen rechtsextremen Vox-Partei und die Angriffe ihrer Anhängerschaft auf Journalist*innen kam also zu einer bereits gewaltaufgeladenen Situation erschwerend hinzu. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber Migrant*innen, greifen in Italien und Griechenland Rechtsextreme regelmäßig Reporter*innen vor Ort an.
Digitale Bedrohungen, wie Gewalt im Netz und Überwachung tragen zu einer weiteren Schwächung der Journalist*innen auf dem ganzen Kontinent bei und dies auch in den freiheitsliebendsten Ländern. In Norwegen, einem Land, das zu den führenden Staaten in Sachen Demokratie und Meinungsfreiheit gehört, nimmt Belästigung im Netz weiter zu. Diese neue Bedrohung trifft auch Schweden, wo ein Drittel der Journalist*innen angeben, im Netz bedroht oder Hass ausgesetzt gewesen zu sein. Dies habe manche dazu veranlasst, sich selbst zu zensieren.
Die Infragestellung der Geheimhaltung von Quellen ist eine weitere Bedrohung für den Journalismus in Europa. In Deutschland wird die Verarbeitung „geleakter“ Daten unter Strafe gestellt, hinzu kommt ein Gesetzesentwurf der Regierung, der es den deutschen Nachrichtendiensten erlaubt, Computer und Smartphones zu hacken. Aufgrund der fehlerhaften Auslegung der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Rumänien, ist es den dortigen Behörden möglich Medien, die investigative Artikel veröffentlicht haben, zu verklagen – diese Klagen können auch von Unternehmen oder Einzelpersonen ausgehen.
In ganz Europa haben wirtschaftliche Schwierigkeiten die Medienkonzentration beschleunigt und neue Gefahren für die Lage der Journalist*innen geschaffen. In Lettland entließ der älteste private Fernsehsender des Landes nach einem Eigentümer*innenwechsel 30 Journalist*innen. In Tschechien erregte die Übernahme der Mediengruppe CME, die in mehreren osteuropäischen Ländern viele einflussreiche Fernsehsender kontrolliert, durch den reichsten Milliardären des Landes Besorgnis.
In ganz Mittel- und Osteuropa wird der Rundfunkjournalismus nun durch die unerbittlichen Angriffe von Regierungen auf die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien geschwächt. Dies gilt für Bulgarien, sowie für Polen und die Slowakei, wo Journalist*innen immer größerem politischem Druck seitens der Führungsetagen ausgesetzt sind.
Auch in Westeuropa verschlechtert sich die Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vor allem aufgrund neuer Finanzverwaltungsmethoden, welche die Informationsfreiheit oftmals missachten. Während in Luxemburg der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter der Einmischung der Regierung in seine Verwaltung leidet, protestieren in Belgien Journalist*innen gegen mangelnde Mittel, die durch Haushaltskürzungen verursacht wurden.
Europa bleibt trotz der repressiven Politik einiger Länder der EU und des Balkans der für die Pressefreiheit sicherste Kontinent. Auch im Kampf gegen die mangelnde Strafverfolgung bei Verbrechen gegen Journalist*innen sind endlich Fortschritte zu verzeichnen. In der Slowakei wurden die mutmaßlichen Anstifter*innen des Mordes an einem Journalisten im Jahr 2018 vor Gericht gestellt. Auch in Malta gab es in den letzten Monaten einige Fortschritte bei der Untersuchung des Mordes an der berühmtesten Journalistin im Jahre 2017.
Betrachtet man den unabhängigen Journalismus in Europa, so wird klar, dass er aktuell von mehreren Krisen gleichzeitig getroffen wird. Nun ist noch eine Gesundheitskrise hinzugekommen, die den vorherigen Trend weiter verstärkt: Autoritäre Länder können die Unterdrückung der Presse weiter ausbauen. Damit Journalist*innen auch weiterhin ihre so wesentliche Funktion ausüben können, bedarf es einer Mobilisierung der gesamten Gesellschaft. Denn um eine vertrauenswürdige vierte Gewalt in allen Gesellschaften zu bleiben, dürfen ihr nicht die Hände gebunden werden.
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