Politische Entscheidungsfindung zwischen rechtlichen Verpflichtungen und politischer Realität

Klimapolitik: Gesellschaftlicher Sprengstoff?

, von  Denise Ott, Moritz Hergl

Klimapolitik: Gesellschaftlicher Sprengstoff?
Teilnehmende des Bürgerrats Klima vor dem Bundestag Foto: Manoel Eisenbacher, Bürgerrat Klima

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 war die Klimapolitik eines der am kontroversesten diskutierten Themen in Deutschland. Noch immer erhitzen sich am Aus des Verbrennnungsmotors, der Förderung von Lastenfahrrädern und einem Tempolimit auf Autobahnen die Gemüter. Doch um auf den im Pariser Klimaabkommen beschlossenen 1,5 Grad-Pfad zu kommen, helfen diese moralisch aufgeladenen Debatten wenig. Im Gegenteil, sie spalten die Gesellschaft.

Die Klimakrise politisch bewältigen

Im März 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht das deutsche Klimaschutzgesetz, das 2019 von der Großen Koalition auf den Weg gebracht wurde, für teilweise verfassungswidrig. In der Begründung heißt es, das Gesetz verletze unter anderem das Recht auf Leben, das im Grundgesetz verankert ist. Weil “hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen”, seien schwerwiegende Freiheitseinbußen zukünftiger Generationen zu erwarten, so das Urteil. Gleichzeitig erkannten die Richter*innen ein pauschales Grundrecht auf Klimaschutz aber nicht an.

93 Prozent der EU-Bürger*innen sehen den Klimawandel als ein ernstes Problem an, doch ambitionierte Klimapläne stoßen nicht immer auf Begeisterung. Viele Menschen, ob in Deutschland, Europa, oder darüber hinaus, zeigen sich skeptisch anlässlich steigender Energiepreise, dem Ausbau der Windkraft oder gegenüber vegetarischer Ernährung. In Frankreich protestierten 2018 die sogenannten Gelbwesten erfolgreich gegen Klimaschutzpläne der Regierung, weil sie die sozialen Auswirkungen und Kosten, vor allem für Menschen mit geringem Einkommen, fürchteten. Präsident Macron zog einige Maßnahmen daraufhin zurück, zum Beispiel eine Steuer auf Diesel. Die Entwicklungen in Frankreich zeigen: Die ökologische Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise birgt gesellschaftlichen Sprengstoff, vor allem wenn Maßnahmen nicht sozial gerecht ausgestaltet werden.

Die Rolle von Bürgerräten in der Klimadebatte

Katharina Liesenberg lehrt und promoviert zu Demokratietheorie und sieht die Politik in der Pflicht, in der Klimafrage den konstruktiven Diskurs in der Gesellschaft zu stärken. Sie setzt dabei auch auf Bürgerräte – eine relativ neue Form von politischer Teilhabe. Bürgerräte bestehen aus zufällig ausgewählten Teilnehmer*innen, die sich über einen festgelegten Zeitraum treffen und mit verschiedenen Expert*innen über eine konkrete politische Fragestellung beraten. Ziel ist es, politische Handlungsempfehlungen zu formulieren.

“Bürgerräte haben das Potential, zu mehr gesamtgesellschaftlicher Deliberation beizutragen und Entscheidungsfindung inklusiver zu gestalten”, sagt sie. Ihre Erfahrung in der Organisation von Bürgerräten auf lokaler und nationaler Ebene hat ihr aber auch gezeigt, dass Bürgerräte kein Selbstbestätigungsinstrument der Politik sein dürfen. Solche Strukturen könnten nur Erfolg haben, wenn unterschiedliche Gruppen, die sonst kaum in Kontakt treten, miteinander ins Gespräch kommen und alle Meinungen gehört werden.

Hinter den Kulissen bei der ersten Sitzung des digital stattfindenden “Bürgerrat Klima” vom 26.04.2021
Foto: Robert Boden, Bürgerrat Klima

Die Möglichkeit, in einem Bürgerrat ins Gespräch zu kommen, hatte die Studentin Charlotte Felthöfer. Ihr Name wurde für den ersten bundesweit organisierten Bürgerrat auf Basis eines Mandats des Bundestags ausgelost. Anfang 2021 kamen zum Thema “Deutschlands Rolle in der Welt” etwa 160 Menschen zusammen, deren demografische Merkmale repräsentativ für die deutsche Bevölkerung stehen. Für Charlotte Felthöfer war das eine intensive und spannende Erfahrung:

Weiter merkt Charlotte Felthöfer an, dass das neue Instrument vielen im Parlament noch nicht geheuer sei – das habe sie in Gesprächen mit Politiker*innen nach der Vorstellung der Ergebnisse gemerkt sowie an der Wahl des Themas durch den Ältestenrat des Bundestages: Gerade das Thema der Außenpolitik sei abstrakt und deswegen nur begrenzt für Bürgerräte geeignet. Auch für sie steht außer Frage, dass Bürgerräte kein reiner Selbstzweck sein sollten, sondern einen anhaltenden Dialog zwischen Bevölkerung und Regierung auf lokaler wie nationaler Ebene ermöglichen sollten. Dieser soll die Institutionen der repräsentativen Demokratie und der organisierten Zivilgesellschaft jedoch nicht verdrängen, sondern bestenfalls ergänzen. Bürgerräte alleine würden nicht ausreichen, um Menschen, die sich politisch nicht gehört fühlen, zu inkludieren. Stattdessen brauche es Maßnahmen, wie sich Menschen langfristig und niedrigschwellig politisch und gesellschaftlich engagieren können.

Bürgerräte Weltweit und ihre (Miss-)Erfolge

Weltweit gibt es eine Vielzahl von Bürgerräten zu den verschiedensten Themen: So wird beispielsweise in einem Salzburger Bürgerrat über die Stadtentwicklung diskutiert und in mehreren brasilianischen Bürgerräten über Bildung zu Pandemiezeiten beratschlagt. In Budapest diskutieren Bürger*innen über die Herausforderungen der Europäischen Union.

Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise wurde 2019 auch ein Bürgerrat zur Klimapolitik in Deutschland durchgeführt. Dieser war nicht vom Bundestag initiiert, sondern zivilgesellschaftlich organisiert. In der Abschlusserklärung heißt es, das 1,5 Grad-Ziel habe “oberste Priorität” und auch weitere Forderungen wurden aufgestellt. Doch bei der Klimafrage gehe es nun einmal um alles oder nichts. Konkrete, umsetzbare Lösungswege gegen die Klimakrise kommen in der Erklärung kaum vor. “Das Thema war zu groß angesetzt, das geben im Nachhinein selbst die Organisator*innen zu”, so Katharina Liesenberg, die hier selbst mitgearbeitet hat. Eine Fokussierung auf ein Handlungsfeld, wie zum Beispiel Mobilität, wäre zielführender gewesen.

Zwar läuft nicht immer alles nach Plan, aber das soll es ja auch gerade nicht. Bürgerräte gibt es auf allen Kontinenten, sowohl zu lokalen aus auch zu globalen Themen. Und alle haben sie gemeinsam, dass ergebnisoffen beratschlagt werden muss. Sonst drohen sie zu politischen Legitimierungsinstrumenten zu verkommen. Im Europäischen Raum sind die Bürgerräte aus Irland und Frankreich diesbezüglich besonders interessant. Sie zeigen, was alles möglich ist und was nicht:

Irland: Citizens‘ Assemblies

Im Laufe eines Jahres trafen sich hundert per Los ausgewählte Bürger*innen zwölf Mal in der Nähe von Dublin. Mit dabei waren Expert*innen, Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen, Mitglieder von NGOs oder anderen Institutionen, die zu bestimmten Themen ihre Expertise teilten und den Mitgliedern des Rats ein möglichst umfassendes Bild gaben. Am Ende standen dann die großen Fragen im Raum – die von den Bürger*innen, nicht den Politiker*innen, beantwortet und abgestimmt werden. Die großen Erfolge: 2015 wird auf Raten des Citizen’s Assemblies die Ehe für alle eingeführt und 2018 das Abtreibungsrecht eingeführt. Was zuvor seitens der Regierenden unmöglich schien, stellte sich als ein großer Wunsch der Bürger*innen heraus. Das Vorgehen des Bürgerrats in Irland sowie die tatsächlich umgesetzten Forderungen wurden von vielen Seiten gelobt.

Frankreich: “Grand Debate”

Während das Citizens‘ Assemblies in Irland als authentisch und erfolgreich wahrgenommen wird, erscheint die Initiative der Politik in Frankreich eher wie eine Versuch, den Leuten Teilhabe vorzutäuschen.

Die Idee zu der sogenannten „Grand Debate“ kam Frankreichs Präsidenten Macron nach den Gelbwesten-Protesten 2018 um möglichst viele Perspektiven in die Gesetzgebung miteinzubeziehen. In diesem Fall gestaltete sich das Vorgehen so, dass 150 Bürger*innen die Klima-Agenda des Landes aufsetzen sollten. Ähnlich wie in Irland trafen sie sich dafür an sieben verlängerten Wochenenden und erhielten Briefings von Expert*innen aus Landwirtschaft und Klimaforschung oder sie trafen sich mit Ökolog*innen und Gesetzgeber*innen. Am Ende legten sie 149 Vorschläge vor.

Doch Ernüchterung setzte in diesem Fall schnell ein: Macron machte deutlich, dass ihm der Rat zu weit gegangen sei: „Man kann nicht sagen, nur weil 150 Bürger*innen etwas aufgeschrieben haben, sei es nun die Bibel oder der Koran", so wird er zitiert. Von den 149 Vorschlägen wurden gerade einmal 46 berücksichtigt und auch die nur in abgeschwächter Form – immerhin sagen andere.

Insgesamt scheint Macron die Sorgen und Forderungen von Bürger*innen rund um ihre Zukunft und die Klimaschutzpolitik allerdings nicht ernst genug zu nehmen. Ist der französische Bürgerrat demnach ein Zeichen für das Scheitern von der gemeinsamen Gestaltung des Klimaschutzes?

Weitere Möglichkeiten zur Institutionalisierung von Klimaschutzpolitik

In Wales wird nicht nur anhand eines Bürgerrats versucht, die Politik nachhaltig zu gestalten, sondern auch durch das Amt der „Future Generations Commissioner“. Seit 2016 ist Sophie Howe die erste, die dieses Amt besetzt. Ihre Aufgaben und Pflichten reichen von der Förderung nachhaltiger Projekte über das Ermutigen von öffentlichen Einrichtungen nachhaltig zu agieren bis hin zu Appellen an unterschiedliche Personen und Institutionen, ihr Handeln nachhaltig zu gestalten. Dabei beschließt sie nicht wie sonst in der Politik von oben herab Beschlüsse, sondern setzt sich auf Augenhöhe mit den Sorgen der Bürger*innen über die Zukunft auseinander.

Bisher erreichte Sophie Howe vor allem lokale Ziele wie beispielsweise eine Entlastung von Hauptverkehrsstraßen, eine Aufstockung der Mittel für Klima- und Naturkatastrophen oder eine reformierte Wohnungsentwicklung. Spannend bleibt auch: Inspiriert ihr Amt andere Länder dazu, ebenfalls mehr an künftige Generationen zu denken und intensiv eine Klimaschutzpolitik zu entwickeln, bei der Politiker*innen und Bürger*innen auf Augenhöhe gemeinsam arbeiten? Wales legt auf jeden Fall eine Initiative für den Schutz künftiger Generationen an den Tag, die bisher in Deutschland fehlt.

Die Klimakrise gemeinsam überwinden

Die Bewältigung der Klimakrise ist eine Menschheitsaufgabe. Und sie wird nur gelingen, wenn alle Menschen in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden, insbesondere die, die normalerweise wenig Einfluss auf Gesetze haben und besonders harte soziale Konsequenzen durch höhere Energiepreise etc. schultern müssten. In dieser Abwägung zwischen klimapolitischer Notwendigkeit und sozialer Realität sind innovative Beteiligungskonzepte wie Bürgerräte oder die Position einer “Future Generations Commissioners” ein wichtiges Instrument um einen gesellschaftlichen Konsens zu stärken und einer Spaltung entgegenzuwirken.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Themenschwerpunkts „EuroRights“ entstanden. Alle Beiträge dazu findest du hier.

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