„Kommunikation ist ein mächtiges Instrument für Demokratie“

Die ehemaligen Generaldirektorin für Kommunikation Juana Lahousse im Interview.

, von  Anna Ferrari, übersetzt von Luisa Kersch

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„Kommunikation ist ein mächtiges Instrument für Demokratie“
Juana Lahousse (rechts) beim Tag der offenen Tür des Europäischen Parlaments 2012 © European Union 2012 - European Parliament / Flickr/ CC 2.0-Lizenz

Juana Lahousse war von 2007 bis 2017 als Generaldirektorin für die Kommunikation des Europäischen Parlaments zuständig. Im Februar dieses Jahres übertrug sie ihr Amt auf Jaume Duch Guillot, den Sprecher des Europäischen Parlaments. TheNewFederalist-Autorin Anna Ferrari hatte die Möglichkeit, Juana Lahousse während ihrer Amtszeit im Rahmen des Europäischen Jugend-Events 2016 im Europäischen Parlament in Straßburg zu interviewen.

Treffpunkt Europa: Vielen Menschen empfinden die EU-Institutionen als bürgerfern und distanziert. Denken Sie, dass dies auch darauf zurückzuführen ist, dass bestimmte Inhalte im Verlauf von Übersetzungsprozessen verloren gehen? Sie waren ja selbst einmal als Übersetzerin tätig…

Lahousse: Mit Informationen verhält es sich wie mit Übersetzungen. Eine identische Botschaft in 24 Sprachen in alle EU-Länder zu senden, stellt eine besondere Herausforderung dar, aber das ist nun einmal unsere Aufgabe. Sie fragen, was hinsichtlich der politischen Botschaft verloren gehen kann? Ich würde sagen, sicherlich Vertrauen. Heutzutage bringen Menschen Politikern und politischen Entscheidungsträgern generell weniger Vertrauen entgegen als noch vor fünfzig Jahren zu Beginn des europäischen Projekts, dies gilt besonders für jüngere Bürger*innen. Auch der Verlust von Wohlstand spielt dabei eine Rolle, denn er hat große Auswirkungen auf die Zukunft junger Menschen, den Arbeitsmarkt und das Gesundheits- und Bildungswesen. Darüber hinaus sind auch ideologische Komponenten verloren gegangen: Die europäische Integration wurde zu Beginn von Menschen unterstützt und vertreten, die noch mit Kriegszeiten vertraut waren. Sie strebten danach, ein friedvolles, entwicklungsstarkes und wachsendes Europa ohne Barrieren zu schaffen. Diese Elemente müssen von uns neu definiert werden und wieder stärkeres Gewicht erhalten. Man könnte auch sagen, auf einer neuen Grundlage muss jetzt eine andere Dynamik gefunden werden. Denn momentan sitzen wir ein wenig „zwischen zwei Stühlen“: Während die einen die europäische Integration gerne weiter vorantreiben möchten, sprechen sich andere im Gegenteil dafür aus, lieber ein paar Schritte zurückzugehen. Diese Entwicklungen verunsichern viele Menschen.

Ich vermute, Sie möchten die Stärken der EU betonen und eine positive Botschaft senden. Versuchen Sie dabei auch, krisenhafte Entwicklungen anzuerkennen und offen zu thematisieren?

Dass die Krise allgegenwärtig ist, lässt sich nicht verbergen. Lenkt man den Blick allerdings auf all die Erfolge, die in der Vergangenheit bereits errungen wurden und auch gegenwärtig erzielt werden, kann jedoch durchaus von einem positiven und dynamischen Europa gesprochen werden. Es ist wichtig, auch diesen realistischen Blickwinkel zu kommunizieren, denn insbesondere die Medien fokussieren sich hauptsächlich auf die Krise. Über verspätete Züge wird häufig gesprochen, pünktliche Züge bleiben hingegen unerwähnt – genau das ist es, was hier passiert.

Wie begegnen Sie dieser Problematik in der Praxis, also bezogen auf die Kommunikation seitens des Europäischen Parlaments?

Die Kommunikationsstrategie des Parlaments ist sehr dynamisch - und das sage ich jetzt nicht nur aufgrund meiner Position. Wir unterscheiden drei Hauptzielgruppen, für die wir jeweils unterschiedliche Kommunikationskanäle und -inhalte bereitstellen: Medien, Bürger*innen und Interessensvertreter*innen.

In Bezug auf die Kommunikation mit medialen Vertreter*innen haben sich vor allem soziale Medien und der persönliche Kontakt zu Politiker*innen als effektive Mittel zur Etablierung eines Vertrauensverhältnisses erwiesen. Auch das Veranstalten von Seminaren, unsere sorgfältige Vorbereitung und die Bereitstellung umfangreicher Informationen haben meiner Meinung nach zu einem guten Verhältnis zwischen Parlament und Medien beigetragen. Darüber hinaus bieten wir den Pressevertreter*innen in Brüssel und Straßburg eine hochwertige technische Ausrüstung an, die sie nach Belieben nutzen können. Sie können kommen, ihre Geräte anschließen und ihre eigenen Programme verwenden. Wir zeichnen uns durch Transparenz und Offenheit aus. Auf unserer Webseite stellen wir beispielsweise Online-Streams unserer Sitzungen und weiterführende Links zu unseren Mitgliedern zur Verfügung. Der Zugang und die Registrierung sind dabei grundsätzlich sehr offen gestaltet.

Den Kontakt zu Bürger*innen stellen wir vor allem durch die Nutzung möglichst moderner Kommunikationsmittel her. Wer sich zudem speziell für den europäischen Einigungsprozess und Konflikte und Erfolge der EU interessiert, kann sich im Rahmen eines Besuchs des „Parlamentariums“ oder des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel umfassend informieren. Auch Gruppen sind bei uns jederzeit willkommen. Neben dem Standort Brüssel haben wir auch in Berlin, Unter den Linden, ein Besucherzentrum eröffnet und im nächsten Jahr soll auch in Straßburg ein entsprechendes Angebot eingerichtet werden. Es ist für jeden zugänglich und sehr interaktiv gestaltet. In jeder unserer Hauptstädte werden wir zudem Empfangsbereiche einrichten, um immer auf dem neusten Stand zu sein.

Eine dritte wichtige Gruppe sind die Interessensvertreter*innen: Für sie organisieren wir unter anderem Seminare und Lehrgänge, bei denen beispielsweise Streitpunkte hinsichtlich bestimmter Rechtsakte thematisiert werden. Gerade junge Menschen stellen eine wichtige Zielgruppe für uns dar. Speziell auf Jugendliche und junge Erwachsene zugeschnittene Veranstaltungen wie das Europäische Jugend-Event ermöglichen es uns, die Kommunikation und Beziehung zu ihnen zu stärken. Das Ziel ist es, die Mitglieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wir sind Vermittler*innen, keine Politiker*innen. Wir stellen ihnen nur unser Wissen und unsere Werkzeuge zur Verfügung.

Angenommen, Sie könnten auf der Stelle eine beliebige Änderung an der Kommunikation im Europäischen Parlament vornehmen. Wofür würden Sie sich entscheiden?

Ich würde mir partizipativere Parlamentsmitglieder wünschen. Sie sind meist einfach sehr beschäftigt, weil sie an verschiedenen Arbeitsplätzen in Brüssel und Straßburg tätig sind und aus ganz Europa stammen.

Wie haben sich die Kommunikationsformen des Europäischen Parlaments seit der Wirtschaftskrise verändert? Mir ist aufgefallen, dass die Betreuer*innen der EP-Facebookseite beispielsweise sehr schnell auf Fragen in den Kommentarspalten antworten. Zeigt sich hier eine neue Kommunikationsstrategie, die sich durch eine aktive und initiative Vorgehensweise auszeichnet?

Ja, wir investieren heutzutage sehr viel Zeit und Aufwand in die Kommunikation über soziale Medien, denn viele Menschen interessieren sich für unsere Arbeit. Soziale Medien bieten uns die Möglichkeit, die Zugänglichkeit von Informationen zu erhöhen. Unterschiede zu früher ergeben sich vor allem im Hinblick auf die Menge der zu übermittelnden Informationen: Sie ist enorm groß und nimmt weiterhin zu. Die Bürger*innen möchten nicht nur über die Handlungen und Entscheidungen von Politiker*innen, sondern auch über die der EU-Parlamentsmitglieder Bescheid wissen.

Betrachten wir die Kommunikationsprozesse einmal von der anderen Seite: Welche Fehler der Medien sind im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das EP besonders häufig?

Manchmal ist die Berichterstattung etwas oberflächlich. Politische Prozesse sind eben in den meisten Fällen sehr komplex, das beschränkt sich nicht nur auf Europa. Auch Nationalpolitik ist kompliziert. Oft werden dann Meinungen und Ideen weitergegeben, ohne sie zuvor einer kritischen Bewertung unterzogen zu haben. Dies ist in vielen Fällen darauf zurückzuführen, dass Journalist*innen aufgrund von Zeitrestriktionen und begrenzten Ressourcen nicht immer die Möglichkeit haben, weitere Nachforschungen anzustellen.

Denken Sie, dass Kommunikation eine Möglichkeit ist, die Demokratie in der EU zu stärken?

Ja, weil sie Transparenz und Verantwortlichkeit fördert; sie ist ein mächtiges Instrument. Ohne Kommunikation gibt es keine Rechtsordnung. Ohne Kommunikation gibt es keine Diskussionen, keine Debatten. Kommunikation ist wesentlich, das haben Politiker*innen bereits vor langer Zeit verstanden. Sogar in der schlimmsten historischen Epoche wurde sie beispielsweise als ein positives Mittel eingesetzt – aber sie kann natürlich auch sehr gefährliche Konsequenzen haben.

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