Kurz erklärt: Die türkische Militäraktion in Nordsyrien

, von  Lukas Baake

Kurz erklärt: Die türkische Militäraktion in Nordsyrien

Seit vergangener Woche kämpfen türkische Truppen im Rahmen der Operation „Friedensquelle“ gegen die Kurdenmilizen in Nordsyrien. Während sich die EU-Außenminister*innen geschlossen gegen die Militäraktion ausgeschlossen haben, kam es bereits zu zahlreichen Demonstrationen auf deutschen Straßen gegen die Militäroffensive. Wir erklären, vor welchem Hintergrund die Militäraktion stattfindet und mit welchen Folgen für die Region zu rechnen ist.

Worum handelt es sich bei dem Einsatz?

Am Mittwoch den 09.10. hat der türkische Präsident Erdogan bekannt gegeben, dass die Türkei militärisch in Nordsyrien eingreifen wird. Erklärtes Ziel ist die Bekämpfung der Kurdenmiliz YPG. Unmittelbar im Anschluss begannen Luft- und Artillerieangriffe, auf die am nächsten Tag der Einmarsch der türkischen Bodentruppen in Syrien folgte. Dabei gab es zahlreiche Meldungen, die von willkürlichen Gewalttaten und Hinrichtungen durch arabische Hilfstruppen gegen kurdische Dörfer berichteten. Es handelt sich dabei um das nordsyrische Gebiet an der türkisch-syrischen Grenze, das bisher von den Demokratischen Kräften Syriens (DFS), in der die kurdische YPG einen großen Einfluss hat, beherrscht wird. Offiziell wird der Einsatz „Operation Friedensquelle“ genannt und als Antiterrorangriff deklariert. Dies wird damit begründet, dass die YPG enge Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. Darüber hinaus ist es Erdogans erklärtes Ziel, eine Sicherheitszone in Nordsyrien zu schaffen, um circa 2 Millionen Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten, unterzubringen.

Welche Rolle spielen die USA?

Die Zusammenarbeit mit den Kurd*innen in Nordsyrien hat unter US-Präsident Obama bereits 2014 zur Bekämpfung des Islamischen Staates begonnen. Seit Beginn dieser Koalition wurde diese regelmäßig von türkischer Seite kritisiert. Trump hatte schon im Wahlkampf 2016 angekündigt, die amerikanische Militärpräsenz im Nahen Osten zu reduzieren. Im Dezember 2018 folgte dann die Bekanntgabe des Rückzugs von 2000 Soldaten aus Syrien. Seine Entscheidung, die amerikanischen Truppen aus dem türkischen Grenzgebiet abzuziehen, steht im Kontext dieser Politik. Dennoch kam sie überraschend und kann als implizite Zustimmung zu der türkischen Aktion verstanden werden, die dadurch erst ermöglicht wurde. Trump wurde nicht nur von den Demokrat*innen, sondern auch innerhalb seiner Partei sehr stark dafür kritisiert, das Bündnis mit den Kurd*innen aufgebrochen zu haben. Als Reaktion auf das türkische Vorgehen wurden von US-Präsident Sanktionen angekündigt.

Wie verhält sich die EU?

Die EU-Außenminister*innen haben Ankara geschlossen dazu aufgefordert, die Militäraktion einzustellen. Trotz dieser einhellig formulierten Forderung wird es vorerst kein Waffenembargo geben, an dem alle EU-Mitgliedsländer beteiligt sind. Es bleibt also den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie weiterhin Waffen an die Türkei verkaufen. Die Bundesregierung hatte ebenso wie Frankreich und andere Mitgliedstaaten verlautbaren lassen, keine weiteren Verträge über Waffenlieferungen in die Türkei zum Einsatz des Krieges in Syrien abzuschließen.

Mit welchen Folgen ist zu rechnen?

Die genauen Folgen für die Region und den weiteren Verlauf des Krieges in Syrien sind zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Unbezweifelbar ist, dass die Militäroperation der Türkei, ähnlich wie der Eintritt Russlands in den Kriegsverlauf 2015, einen entscheidenden Wendepunkt des Syrienkriegs darstellt. Insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Nachkriegsordnung haben der Eingriff der Türkei und der Abzug der USA große Auswirkungen: Die Macht-Arithmetik verschiebt sich zugunsten von Assad und Putin. Auch für den Kampf gegen den Islamischen Staat könnte der Einsatz weitreichende Folgen haben: Da sich viele islamistische Kämpfer*innen in kurdischen Gefängnissen aufhalten, diese aber in Folge der Militäraktion nicht ausreichend bewacht werden können, können zahlreiche Gefangene fliehen. Dies kann zu einem Wiedererstarken der Islamischen Staates führen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Menschen durch den Einsatz der Türkei aus ihrer Heimat vertrieben und befinden sich nun auf der Flucht. Die UN schätzt die Anzahl der Menschen, die sich auf der Flucht befinden, auf 190 000. Des Weiteren werden die Entscheidungen Trumps und Erdogans, die gleichermaßen den türkischen Einsatz ermöglicht haben, die innenpolitische Debatte ihrer Länder bestimmen. Auch mit erhöhten Spannungen innerhalb der NATO ist zu rechnen, besonders wenn es zu einem Bündnisfall kommt, der die weiteren NATO-Mitglieder zur militärischen Unterstützung der Türkei verpflichten würde.

Was bedeutet die aktuelle Waffenruhe?

Der amerikanische Vize-Präsident Mike Pence war wenige Tage nach Beginn der türkischen Offensive gemeinsam mit dem Außenminister Mike Pompeo nach Ankara gereist, um über ein Ende des Militäreinsatzes zu verhandeln. Das Ergebnis der Verhandlungen ist nun eine fünftägige Waffenruhe. Zu den Bedingungen der Waffenruhe zählen die Errichtung einer von der Türkei kontrollierten Schutzzone, 420 Kilometer breit und 30 Kilometer tief, in der syrische Flüchtlinge angesiedelt werden sollen, sowie der Rückzug der kurdischen Miliz YPG aus diesem Gebiet. Darüber hinaus verzichten die USA auf die geplanten Sanktionen gegen die Türkei. Damit entsprechen die Bedingungen der Waffenruhe denjenigen strategischen Zielen Erdogans, die die militärische Aktion motiviert haben. Mike Pence wird in den USA sowohl aus Diplomatenkreisen als auch im Kongress scharf für das Ergebnis der Verhandlungen kritisiert, da man der Türkei zu viele Eingeständnisse gemacht habe. Offen ist, ob alle Vereinbarungen umgesetzt werden und ob die Kampfhandlungen nach dem Ablauf der vereinbarten Waffenruhe wieder aufgenommen werden.

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Ihr Kommentar
  • Am 26. Oktober 2019 um 11:39, von  Sina Als Antwort Kurz erklärt: Die türkische Militäraktion in Nordsyrien

    Schöner Artikel! Kann man also sagen, dass Russland und die Türkei zusammen arbeiten? Und außerdem kommt bei mir die Frage auf, ob das ein Vorwand ist um den IS zu stärken, somit würden sie ebenfalls mit dem IS sich verbünden, oder ist das zu weit gegriffen?

    Liebe Grüsse, Sina

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