Kurz vor dem Abschluss des EU-Freihandelsabkommens mit dem MERCOSUR

Ein Überblick

, von  Theresa Bachmann

Kurz vor dem Abschluss des EU-Freihandelsabkommens mit dem MERCOSUR
Mercosur ist die abgekürzte Bezeichnung für den „Gemeinsamen Markt Südamerikas“. Die spanische Bedeutung für die Abkürzung ist Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens). Die ebenfalls offizielle portugiesische Bezeichnung lautet Mercosul für Mercado Comum do Sul, auf in Paraguay gesprochenem Guaraní ist Ñemby Ñemuha die geläufige Bezeichnung. Foto: © Cancillería del Ecuador / Flickr / Creative Commons 2.0-Lizenz

Die Agenda der schwedischen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ist in diesen Tagen noch voller als für gewöhnlich. Ganz im Sinne ihres Auftritts auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos letzte Woche, wird derzeit das formale Bekenntnis zur weltweiten Abschaffung von Handelsbarrieren und freiem Handel auch praktisch im Brüsseler EU-Alltag vorangetrieben.

Nach Abschluss der Freihandelsabkommen mit Kanada und Japan, soll nun in direkten Verhandlungen in Brüssel mit den Ministern der vier südamerikanischen MERCOSUR-Staaten der entscheidende Durchbruch erzielt werden. Doch die Zeit drängt. Die anstehenden Wahlen in Brasilien könnten das Abkommen noch torpedieren.

Mehr als 20 Jahre Verhandlungen und immer wieder Unterbrechungen

Das Ende des Kalten Krieges und die damit einhergehende goldene Ära des Kapitalismus und des Freihandels in den 1990er Jahren läuteten auch in Lateinamerika eine neue Epoche ein. Regionale Integrationsprojekte erlebten auf dem ganzen Subkontinent einen Aufschwung. 1991 gründeten die Regierungen Argentiniens, Brasiliens, Paraguays und Uruguays den Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR) und nahmen kurz darauf Verhandlungen mit den damaligen 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über ein Handelsabkommen auf. Obwohl seitdem viele Jahre verstrichen sind, wurden diese nie vertraglich besiegelt. Stattdessen kam es aufgrund massiver Differenzen zu Verzögerungen, Unterbrechungen und zeitweise zum völligen Erliegen der Gespräche.

Seit nunmehr zwei Jahren hat sich jedoch eine neue Dynamik entwickelt, sodass eine Einigung plötzlich zum Greifen nah ist. Die Regierungswechsel in Argentinien und Brasilien scheinen die Abkehr von dem seit Beginn des Jahrtausends in der ganzen Region vollzogenen Linksruck endgültig zu besiegeln. Zuvor als Hauptursachen der ökonomischen Misere gebrandmarkt, werden eine tiefere Integration in die Weltwirtschaft und Freihandel derzeit wieder salonfähig in Südamerika. „Argentinien will sich der Welt öffnen“, unterstreicht beispielsweise dessen Präsident Mauricio Macri. Neue Töne, die für neuen Schwung in den Verhandlungen mit Brüssel gesorgt haben.

Die aktuellen Verhandlungen oder warum Kühe zum entscheidenden Faktor avancieren können

Doch was ist überhaupt Gegenstand des Vertrags? Primäres Anliegen ist zunächst einmal die weitestgehende Liberalisierung der Handelsbeziehungen der beiden Blöcke, indem Zollbarrieren abgeschafft und der gegenseitige Marktzugang erleichtert wird. Dadurch soll, so offizielle Vertreter, die Wirtschaft aufgrund wachsender Exporte angekurbelt werden und Unternehmen sowie deren Angestellten begünstigen. Die MERCOSUR-Staaten erhoffen sich insbesondere Vorteile für den Agrarsektor. Landwirtschaftliche Produkte, allen voran das begehrte Rindfleisch und Ethanol, machen einen Großteil der derzeitigen Exporte aus. Aus Sicht der EU eröffnen sich insbesondere der Automobilbranche und durch die Gleichstellung ausländischer Investoren neue Möglichkeiten.

Dennoch gibt es breite Kritik, auch wenn öffentliche Massenproteste bislang ausblieben: Gegner des geplanten Abkommens lehnen die weitestgehend unter Verschluss gehaltenen Inhalte und Zwischenresultate der Gespräche als intransparent und undemokratisch ab. Angesichts der fehlenden Konsultation der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaften, werden bereits Vergleiche zu kontrovers diskutierten Handelsverträgen wie TTIP bemüht: „TTIP, CETA und das MERCOSUR-Abkommen werden sich kaum voneinander unterscheiden. Sie alle sehen Schiedsgerichte vor, was ein Verlust nationaler Souveränität an private Gerichte mit wenig demokratischer Kontrolle und großem Einfluss multinationaler Unternehmen impliziert“, betont beispielsweise der Vizepräsident der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zum MERCOSUR, Xavier Benito Zuluaga.

Als entscheidender Knackpunkt sehen Unterhändler auf beiden Seiten die Einigung in Bezug auf den Zugang zum Landwirtschaftssektor: Während besonders Argentinien und Brasilien auf eine weitestgehende Deregulierung pochen, hat die EU-Kommission dies bereits abgelehnt. Zu groß sind die Bedenken beispielsweise Irlands, dass südamerikanisches Rindfleisch einheimische Produzenten in den Ruin treiben könnte. Doch auch jenseits des Atlantiks gibt es Zweifel: Kleinere und mittlere Unternehmen sehen sich durch das Abkommen bedroht und fürchten sowohl in Europa als auch in den MERCOSUR-Staaten verschlechterte Arbeitsbedingungen.

Verhandlungsentspurt in Brüssel – Einigung um jeden Preis?

Es gibt also nach wie vor Diskussionsbedarf. Ohne Frage, die Gespräche können auch auf der Zielgeraden noch scheitern. Aber wie wahrscheinlich ist das? Die Vorzeichen sind so günstig wie lange nicht. Der protektionistische Kurs der Trump-Regierung eröffnet der EU geopolitisch neue Räume und begünstigt die Annäherung an die MERCOSUR-Staaten. Auch die Regierungen der mit am Tisch sitzenden südamerikanischen Staaten befürworten das Abkommen prinzipiell. „Es muss genau abgewogen werden, wie viel angeboten wird und wo die roten Linien sind. Das ist immer schwierig, aber wenn der politische Wille da ist, so wie im Moment, dann bin ich sicher, dass wir das bald unter Dach und Fach bringen“, betont daher auch der Vizepräsident der Europäischen Kommission Katainen. Doch kann dieser Wind, wie schon in der Vergangenheit, schnell ins Gegenteil umschlagen. In Brasilien stehen im Oktober Präsidentschaftswahlen an, bei denen der liberal-konservativen Regierung Michel Temers angesichts desaströser Umfragewerte keinerlei Chancen eingeräumt werden. Sollte die neue Führung in Brasília das Verhandlungsergebnis jedoch ablehnen, wäre die Unterzeichnung hinfällig. Dementsprechend gilt die von der EU-Chefunterhändlerin Gallina vorgegebene Marschroute: „Wir müssen das abschließen und wir müssen es jetzt abschließen.“ Die Uhr tickt.

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