Damit eine Demokratie gesund funktionieren kann, braucht sie gegenseitige Korrektive. Sie braucht staatliche und unabhängige Institutionen, die sich gegenseitig überwachen und darauf achten, dass niemand gegen Bürger*innen und Staat arbeitet. Das ist ohnehin schon sehr schwierig, denn während sich Technologie, Gesellschaft und Wirtschaft weiterentwickeln und damit auch immer neue Wege für Korruption entstehen, bleibt die rechtliche Lage oft gleich – oder ändert sich nur im Schneckentempo. Besonders wichtige Korrektive sind die Judikative, die aufpasst, dass alles rechtlich korrekt abläuft, und die Medien, die letztlich das kritische Auge der Öffentlichkeit verkörpern.
Nun könnte man denken, die Krise der amerikanischen Demokratie hätte einen Namen: Donald Trump. Der Präsident sei ein Autokrat, schere sich nicht um demokratische Prinzipien und eifere Diktatoren nach. All diese Vorwürfe sind nicht neu. Sie sind auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie Trumps Rückgriff auf den Nationalen Notstand demonstriert, nur um seine Mauer zu bauen. Umso mehr noch, da sich Trump direkt im Anschluss selbst vorführte und erklärte, dass er den Notstand eigentlich nicht erklären müsse. Es ist völlig außer Frage, dass der Mann im Weißen Haus ein pathologischer Lügner ist, der die Demokratie selbst untergräbt.
Aber der Niedergang der Demokratie in den USA ist älter und auch vielschichtiger. Trump ist lediglich der erste, der es völlig offensichtlich macht.
Jede*r kann Präsident*in werden – oder nicht?
Die Misere der amerikanischen Demokratie beginnt, zumindest wenn man wissenschaftlich an das Thema heran geht, schon beim Zugang zu politischen Ämtern. Bereits im Jahre 2014 argumentierte eine Studie, dass die USA de facto keine Demokratie mehr seien, sondern eher eine Oligarchie, da Wohlhabende einen größeren Einfluss auf die Gesetzgebung hätten. Die Studie selbst wurde in der Folge kritisiert.
Aber auch wenn sich statistisch nur schwer belegen lässt, ob die wirtschaftliche Elite den größten Einfluss habe, bleibt ein Punkt unstrittig: Wer gewählt werden will, braucht nicht nur eine angesehene gesellschaftliche Stellung oder die richtige Familiendynastie, sondern vor allem eines: Geld.
Geld, das vor allem von Spender*innen kommt und erstmal an sogenannte Super-PACs (Political Action Committees) wandert. Diese sind von den Transparenzgesetzen und Spendenhöchstgrenzen ausgenommen. Und dürfen auch Gelder von Firmen und Interessenverbände annehmen. Laut der „New York Times“ kam zudem im Wahlkampf 2016 die Hälfte des gesammelten Geldes von nur 158 reichen Familien.
Aber auch die Kandidat*innen selbst greifen tief in die Taschen. Bei den Wahlen in 2016 investierte Hillary Clinton 1,4 Millionen aus ihrem Privatvermögen in ihren Wahlkampf, ihre Kampagne gab insgesamt 768 Millionen US-Dollar aus. Donald Trump investierte sogar 66 eigene Millionen in seine Kampagne, insgesamt gab das „Team Trump“ 398 Millionen aus. Die finanzielle Hürde besteht aber nicht nur für Kandidat*innen auf das Amt der*ie Präsident*in, sonden auch für einfache Abgeordnete. Viele Menschen aus unteren und mittleren Gehaltsschichten trauen sich aufgrund der Kosten kaum anzutreten.
Zwischen Gerrymandering und Power Grab
Genauso problematisch ist das Konzept des Gerrymandering. In den USA ist die Praxis, dass Parteien Wahlbezirksgrenzen derart ziehen, dass sie einen erheblichen Stimmenvorteil bekommen, so verbreitet, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt. Gerrymandering ermöglicht es, selbst eine Region, deren Wähler*innen sich 50 zu 50 Prozent auf die Parteien verteilen, so zurechtzuschneiden, dass man selbst als klarer Sieger hervorgeht. So kann man beispielsweise den Großteil der Wähler*innen der anderen Partei zu einem großen Bezirk zusammenfügen und dann die restlichen in vier kleine verteilen. Am Ende gewinnt man dann die Bezirke vier zu eins, obwohl die Stimmenanteile bei je 50% liegen. So zogen beispielsweise die Republikaner*innen die Wahldistriktgrenzen in North Carolina so geschickt, dass sie, obwohl sie nur ca. 53% der Gesamtstimmen erhielten, 77% der Sitze einnahmen.
Nach den jüngsten Kongresswahlen gingen die Republikaner*innen dann sogar noch einen Schritt weiter. In Wisconsin hat die bei den „Midterms“ abgewählte republikanische Regierung Gesetze verabschiedet, die den neuen, demokratischen Amtsinhaber direkt bei der Amtsausführung behindern und es unmöglich machen sollen, die Sozialpolitik des Staates zu ändern und eine Klage gegen Obamacare zurückzuziehen. Dinge, für die er ausdrücklich von den Bürgern gewählt wurde.
Weiter verschoben diese Maßnahmen die rechtlichen Machtbefugnisse weg vom scheidenden Gouverneur und hin zu der Legislative Wisconsins, die weiterhin von den Republikaner*innen kontrolliert wird. Das Vorgehen der Republikaner ist ohne jeden Zweifel eine direkte Zersetzung der Demokratie. Es ist ein absolutes Grundprinzip der Demokratie, dass die Macht an die gewählten Vertreter*innen übergeht und nicht, dass sich die Abgewählten diese Macht gegen den Willen des Volkes aneignen.
Fatal dabei ist nicht nur, dass nun die abgewählten Republikaner*innen in Michigan, North Carolina, Ohio und Missouri ähnliche Maßnahmen auf den Weg brachten, sondern dass auch ihre Wähler*innen, die Bürger*innen selbst, dieses antidemokratische Vorgehen unterstützen.
Schwächelnde Wächter*innen der Demokratie: Parteiische Unparteiische
Ein weiteres Problem ist auch, dass die Judikative der USA immer weniger unabhängig ist. Dabei geht es nicht nur um die politisch hart umkämpften Plätze am obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, sondern auch um beispielsweise die Generalstaatsanwälte der Bundesstaaten. Auch diese verteilen sich inzwischen in den beiden großen Parteien angegliederte Anwaltsvereinigungen und vertreten auch in ihrem Amt deren Interessen. Da diese Generalstaatsanwälte auch direkt gewählt werden, treten sie sogar oft mit dem Versprechen an, ihr Amt dazu zu nutzen, die Regierung in Washington zu verklagen. Eine wirklich unabhängige Judikative existiert in den USA dementsprechend nur noch bedingt.
Auch viele Behördenposten übergab Trump an Personen, die seinen Zielen positiv gegenüber standen, oder gar dem erklärten Ziel der Behörde entgegen stehen. So setzte Trump ursprünglich Scott Pruitt an die Spitze der Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency). Einen Mann, der die EPA bis zu diesem Zeitpunkt massiv bekämpft hatte. Pruitt musste, begleitet von Skandalen, diesen Posten inzwischen räumen. Der Posten ist seitdem vakant und wird kommissarisch von Pruitts Stellvertreter, dem Kohlelobbyisten Andrew Wheeler übernommen.
Schwächelnde Wächter*innen der Demokratie: Abhängige Medien
Wie Trump die Medien attackiert ist kein Geheimnis. Er hat oft genug erklärt, dass er kritische Berichterstattung am liebsten rechtlich unterbinden würde. Alles, was nicht passt, wird als Fake News abgetan, ganz mit wie vielen Fakten man konfrontiert wird. Ohne eine unabhängige und vielfältige Presse kann der Grundbaustein einer gesunden Demokratie, eine informierte und diskursive Gesellschaft, nicht existieren. Wie viele westliche Demokratien kämpfen die Medien in den USA mit der kostenlos-Kultur des Internets und damit drastisch sinkenden Einnahmen, aber auch mit dem Problem der Medienkonzentration, also dem Zusammenschluss oder dem Aufkaufen vieler Zeitungen durch große Medienkonzerne.
Auf den ersten Blick scheint hier trotzdem noch alles halbwegs in Ordnung zu sein. Doch auch das trügt: Aus der europäischen Ferne betrachtet, sind die überregionalen Medien wie die New York Times, die Washington Post und auch CNN, NBC und andere durchaus wachsam und berichten unabhängig. Aber diese Medien haben weit weniger Reichweite, als man in Europa annimmt.
Auf der anderen Seite steht aber nicht nur der ultrakonservative Haussender des Präsidenten, Fox News, sondern vor allem lokale Stationen und Nachrichten. Dort versuchte vor kurzem die Sinclair Broadcasting Group, Tribune Media zu übernehmen. Das Resultat wäre nicht nur eine Verschlimmerung der Medienkonzentration gewesen, sondern vor allem, dass viele lokale Sender ihre Inhalte von Sinclair direkt diktiert bekommen hätten und verpflichtet worden wären, Shows und Kommentare ins Programm zu nehmen, in dem Sinclairs Kommentator*innen liberale Positionen angriffen und sie unverhohlen beleidigten. Glücklicherweise scheiterte Sinclair am Ende an sich selbst und der Deal platzte am Widerstand der zuständigen Behörde, der Federal Communications Commission (FCC). Und das, obwohl Trump Sinclair unterstützte und mit Ajit Pai wieder einer von Trumps getreuen an der Spitze stand. Aber selbst dem waren Sinclairs Pläne am Ende zu viel.
Letztlich mag die Politik Trumps global nur eine von vielen sein, welche die Demokratie herausfordern, vielleicht sogar massiv gefährden. Vielleicht sollten die amerikanischen Zustände den Menschen anderswo eine Lehre sein, sich rechtzeitig einzumischen. Denn wenn Abeordnet*innen scheitern, wenn Justiz und Medien ihre Unabhängigkeit verlieren, dann ist es definitv zu spät.
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