Der Ablauf einer Organspende wird durch vier wesentliche Aspekte bestimmt: 1) die Ermittlung des Willens des Verstorbenen und die Vorbereitung auf die Spende, 2) die Allokation, also die konkrete Vermittlung und Verteilung an Empfänger*innen nach bestimmten Kriterien, 3) die Logistik und 4) schließlich die eigentliche Transplantation. Die Staaten agieren bezüglich der Regelung zur Einwilligung in die Organspende unabhängig und kooperieren im skandinavischen Raum teils über die geographischen Grenzen der EU hinweg.
Wichtig zu wissen ist, dass es dennoch auf europäischer Ebene seit 2012 Richtlinien zur Qualitätssicherung der Organspende gibt. Zudem werden im Rahmen des dritten EU-Gesundheitsprogramms viele Maßnahmen zur Unterstützung und Verbesserung der Organspende- und Transplantationssituation durch die EU gefördert. Und in allen Ländern gilt das Gebot: Organspende geschieht freiwillig und unentgeltlich. Der Handel und Verkauf von Organen ist verboten.
Wer wird Spender? Europäische Regelungen zu Widerspruch und Zustimmung
In 23 EU-Staaten gilt die Widerspruchslösung, bei der zu Lebzeiten der Organentnahme nach dem Tode widersprochen werden muss. Die Organe einer Person, die nicht explizit widerspricht, können somit für eine Organspende genutzt werden. Diskutiert wurde auch in Deutschland eine solche Lösung, um die niedrigen Zahl von Organspenden zu erhöhen. Eine zutiefst ethische Diskussion: Sollte der Staat ein Schweigen, also eine Nicht-Aussage, als ein „Ja!“ werten? Sollte das Allgemeinwohl über die Unversehrtheit eines Toten gestellt werden? Ein Schweigen bedeutet in der Regel das Verweigern weiterer Kommunikation. Im Fall der Widerspruchslösung würde diese Geste anders interpretiert werden. Axel Rahmel, Vorstand der DSO (Deutsche Stiftung Organspende), fasst es so zusammen: „Die Widerspruchslösung lebt in gewisser Weise von der Passivität der Menschen, die Zustimmungslösung leidet darunter.“
Spanien ist ein in diesem Zusammenhang häufig genanntes Land, denn dort gilt die Widerspruchslösung. Die Organspendezahlen in Spanien sind hoch (46,9 Spender/Million Einwohner), doch in der Praxis werden ohne die Einwilligung der Familie der verstorbenen Person keine Organe entnommen. Auf dem Papier gilt die Widerspruchslösung, umgesetzt wird das Prinzip der sogenannten erweiterten Zustimmungslösung: Das bedeutet, dass Verstorbene zu Lebzeiten ihr „Ja“ dokumentiert haben müssen. Sollte dem nicht der Fall sein, dürfen jedoch die Angehörigen (bzw. eine bevollmächtigte Person) nach dem mutmaßlichen Willen der Verstorbenen befragt werden, welcher anschließend umgesetzt wird. In Spanien heißt das: Bevor Verstorbene automatisch Spender*innen werden und ihnen Organe entnommen werden, gibt es trotz der Widerspruchslösung immer noch ein Gespräch zwischen den Angehörigen und einem*einer Arzt*Ärztin. Sollte es seitens der Familie ein Nein geben, wird dies respektiert, sodass die Organe nicht zur Transplantation freigegeben werden.
Das Problem der niedrigen Spendenzahlen, wie beispielweise in Deutschland, liegt also scheinbar nicht in der Regelung der Einwilligung, sondern in der Kommunikation, den Abläufen und dem Vertrauen der Bevölkerung. Angehörigengespräche werden sowohl in Deutschland als auch in Spanien geführt. Aber: Wo in Deutschland große Skepsis herrscht und in Krankenhäusern Transplantationsbeauftragte fehlen, steht Organspende in Spanien als ein Zeugnis für Solidarität und Zusammenhalt und wird durch ausreichend geschultes Personal ermöglicht.
Kooperation vs. Abstoßungsreaktion – auf der Suche nach dem „Perfect Match“ über nationale Grenzen hinweg
Wenn Organe entnommen werden dürfen, können sie nicht einfach dem*der nächsten bedürftigen Patienten*in transplantiert werden. Das Knifflige bei der Organverteilung ist vor allem das immunologische Match von Spender*in und Empfänger*in. Da das menschliche Immunsystem ein sehr kompetentes und komplexes System der Abwehr darstellt, ist es in der Lage, neben körperfremden Erregern (wie Bakterien) sogar Gewebe und Zellen eines anderen menschlichen Organismus zu erkennen und zu eliminieren. Genau das wäre im Falle der Transplantation aber das Worst-Case-Szenario für das gespendete Organ: Eine Abstoßungsreaktion würde es zerstören. Das Immunsystem unterdrückende Medikamente spielen eine wichtige Rolle beim Verhindern einer solchen Reaktion. Noch wichtiger als die Medikamente ist jedoch, dass die Immunsysteme von Spender*in und Empfänger*in eine besonders hohe Ähnlichkeit aufweisen: Ein perfektes Match wird benötigt.
Um einen besonders großen Pool von potentiellen Empfängern zur Auswahl und hohe Chancen einer Überschneidung der Immunmerkmale zu haben, entstand Ende der 60er Jahre die Stiftung Eurotransplant. Sie besteht aus acht EU-Staaten (Deutschland, Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien und die BeNeLux-Länder, also Belgien, die Niederlande und Luxemburg) und hat ihren Sitz im niederländischen Leiden. Die Stiftung hat Zugriff auf die nationalen Wartelisten. Mit Scanditransplant gibt es eine ähnlich transnational angelegte Stiftung: Diese stellt eine Kooperation über die EU-Grenzen hinweg dar, denn hier arbeiten die skandinavischen EU-Länder Schweden, Dänemark und Finnland mit Norwegen und Island zusammen. Großbritannien und Frankreich hingegen haben jeweils eigene nationale Netzwerke: Eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Netzwerken besteht, sodass der Verlust von Organen verhindert werden kann.
Allokation: Wie wird Verteilungsgerechtigkeit definiert und umgesetzt?
Die Allokation, also Vermittlung und Verteilung der entnommenen Organe, bedeutet die Konfrontation mit einer weiteren ethischen Fragestellung. Das deutsche Transplantationsgesetz definiert in § 12 als vermittlungspflichtige Organe Leber, Niere, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Das heißt: Die Allokation dieser Organe muss durch eine offizielle Organisation wie Eurotransplant vorgenommen werden. Eine spontane Verteilung der Organe auf lokaler oder nationaler Ebene darf nicht geschehen. Wie soll aber entschieden werden, wer ein Organ erhält? Verdient der eine Patient ein neues Organ eher als eine andere Patientin? Braucht eine 71-jährige Witwe eine neue Niere genauso dringend wie ein 28-jähriger Vater? Was ist, wenn die Erfolgsaussichten der Transplantation schlecht aussehen? Utilitarismus und Therapie-Effizienz stehen hier der Gerechtigkeit und Gleichheit der Patienten gegenüber.
Die endgültige Verteilung entscheidet sich unter anderem über die oben genannten nationalen Wartelisten, in die verschiedene Faktoren einfließen. Für die Leber zum Beispiel gibt es einen sogenannten „MELD Score“ (Model End-Stage Liver Disease), der aus medizinischen Parametern die Dringlichkeit einer Lebertransplantation errechnet und somit den Bedarf aus messbaren, wissenschaftlichen Daten ableitet. Das subjektive Krankheitsgefühl und die Lebensqualität hingegen werden mit dem Score nicht abgebildet. Die Verteilung der vermittlungspflichtigen Organe durch Eurotransplant wird zudem neben Dringlichkeit, Wartezeit, Erfolgsaussicht auch über eine Austauschbilanz geregelt, die die national verschieden hohen Spenderzahlen ausgleichen soll. Zum Beispiel weisen Länder wie Österreich und Kroatien innerhalb der Eurotransplant-Zone höhere Spendenzahlen als beispielsweise Deutschland auf. Um zu verhindern, dass sich „Geber-“ und „Nehmer“-Länder entwickeln und die gerechte Verteilung zwischen den Ländern gewahrt wird, fließen Informationen über die Anzahl entnommener und empfangener Organe in den Verteilungsalgorithmus ein.
Logistik und reibungslose Abläufe - die Basis der gelungen Transplantation
Das Herz hat eine kalte Ischämiezeit von circa fünf Stunden. Konkret heißt das: Innerhalb dieser fünf Stunden müssen die Entnahme-OP, der Transport quer durch Europa und der Anschluss an den Kreislauf des wartenden Patienten stattfinden. Sonst stirbt das Organ.
Das bedeutet Transport mit Helikopter und Blaulicht - oft auch mit 210km/h über die Autobahn. Organisiert werden die Entnahme, der Transport und die eigentliche Transplantations-Operation durch nationale Organisationen, in Deutschland durch die DSO (Deutsche Stiftung Organspende). Deutsche Entnahme-Teams, bestehend aus Chirurg*innen und Assistent*innen, werden mit von der DSO gestellten Verkehrsmitteln nach Luxemburg, Kroatien oder Slowenien geschickt. Dort entnehmen sie in einer Operation der*dem hirntoten Patienten*in das jeweilige Organ, das ihnen durch Eurotransplant zugeteilt wurde, und müssen es auf schnellstmöglichem Wege in ihr Transplantationszentrum bringen.
Diese Abläufe sind am anfälligsten für Fehler - zum Beispiel wenn ein Stau auf der Autobahn verhindert, dass das gekühlte Organ schnell in die Klinik transportiert werden kann. Da tagsüber außerdem auch in großen Zentren meist keine Operationssäle speziell für Transplantationen reserviert sind, finden die meisten Transplantationen in Deutschland nachts statt. Wie viele andere Chirurg*innen auch arbeiten auch die operationstechnischen Assistent*innen in Bereitschaft und werden keinen expliziten Teams zugeteilt, die freigestellt sind und nur Transplantationen vornehmen. Das bedeutet, dass sie nachts in den Operationssaal gerufen werden müssen, obwohl sie vielleicht schon den ganzen Tag vorher gearbeitet haben.
Das Potential von Kooperation auf EU-Ebene
„In the field of organ donation and transplantation in particular, there is huge potential for sharing experience and expertise among EU Member States“
Dieser Satz entstammt einem von der EU entworfenen Action Plan für die Jahre 2009 bis 2015. Gemeinsame, EU-weite Leitlinien, die Abläufe bei der Organspende klar umreißen, sowie Austausch von Erfahrungen sollen die einzelnen Länder dabei unterstützen, dem europaweiten Organmangel kompetent zu begegnen. Thematisiert werden drei europäische Herausforderungen der Organspende: Verfügbarkeit von Organen, Effizienz der Transplantationssysteme und die Qualitätssicherung.
Verschiedene Projekte zur Bewältigung der Herausforderungen wurden ins Leben gerufen, so unter anderem das FOEDUS (Facilitating the exchange of organs donated in EU Member States)-Projekt. Im Rahmen dieses Projektes wurden vermehrt bilaterale Abkommen zum wissenschaftlichen Austausch der Mitgliedsstaaten untereinander getroffen. Außerdem einigten sich die EU-Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen, um in der Bevölkerung das Bewusstsein und Vertrauen in die Organspende zu fördern. Zahlreiche weitere Projekte wie auch EUDONORGAN, bei dem der Focus neben dem sozialen Bewusstsein auch auf der Ausbildung des Fachpersonals liegt, werden von der EU subventioniert.
Innerhalb der Eurotransplant-Zone werden pro Jahr nur circa 20% aller entnommenen Organe im Ausland transplantiert. EU-weite Abkommen können den Weg zu einem paneuropäischen Netzwerk ebnen, um gemeinsam den gegenseitigen Austausch von Organen auszuweiten, mehr Matches zu erreichen und damit mehr Patient*innen zu retten. Gleichzeitig muss verstärkt gegen illegalen Organhandel vorgegangen werden. In einer 2017 entstandenen Auswertung des Action Plans werden Erfolge der europäischen Kooperation sichtbar: Zwischen 2009 und 2015 stieg die Zahl der Organspenden um 17% an. Potential zu weiterem Wachstum besteht weiterhin, aber Europa steuert erfolgreich in die richtige Richtung. Herausforderungen wie das „Perfect Match“ der Immunsysteme, kurze Transportzeiten trotz hoher Distanzen oder der Austausch von Fachwissen müssen auf transnationaler, europäischer Ebene angegangen und von der EU gefördert werden. Zu wenig Kooperation gibt es nicht, wenn es darum geht gemeinsam Leben zu retten.
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