„Lippenbekenntnisse zur Kulturellen Bildung aus den Sonntagsreden verbannen“

, von  Eva Olschewski, Regine Möbius

„Lippenbekenntnisse zur Kulturellen Bildung aus den Sonntagsreden verbannen“
Die Buchpreisbindung ist in der Diskussion um ein transatlantisches Freihandelsabkommen ein kontroverser Punkt.

Morgen sollen etwa 380 Millionen Bürger ihre Repräsentanten für das Europäische Parlament bestimmen. Der EU stehen Herausforderungen auf verschiedenen Fronten bevor, von der Wirtschaft über die Sozialpolitik bis hin zum Klima- und Umweltschutz. Treffpunkteuropa.de hat Personen verschiedener Bereiche außerhalb der Politik gefragt, welche Erwartungen sie an die Wahl haben und wie sie die Zukunft der EU sehen. Im dritten Interview spricht Regine Möbius, Bundesbeauftragte für Kunst und Kultur der ver.di und Vizepräsidentin des Deutschen Kulturrats, über die europäische Kulturpolitik und die Gefahren des transatlantischen Freihandelsabkommens.

Die Europawahl 2014 naht - welche Befürchtungen haben Sie?

Die Wahlkampfstimmung empfinde ich als problematisch. Es gelingt mit leeren Floskeln auf den Plakaten nicht, die weniger interessierten Teile unserer Bevölkerung abzuholen. Selbst die Rededuelle der Spitzenkandidaten feuerten die breite Diskussion nicht an. Viele Bürger unseres Landes verbinden Europa lediglich mit Krisengipfel zur Finanz-und Wirtschaftskrise, bürokratischen Vorgaben und humanitären Fehlleistungen (Beispiel Flüchtlingshilfe). Durchdringend hingegen die rechtspopulistischen und europakritischen Äußerungen von Parteien wie z. B. Front National aus Frankreich.

Was wünschen Sie sich vom transatlantischen Freihandelsabkommen?

Ich möchte auf zwei der grundlegenden Bedenken hinweisen, die mich im Rahmen der Verhandlungen zu TTIP besonders beschäftigt haben und noch beschäftigen:

a) In der Kritik steht das geplante Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, das im Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA verankert werden soll. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Grundfesten der Demokratie in Frage gestellt sind, wenn künftig Staaten für ihre politischen Vorhaben von Unternehmen verklagt werden können. Welche Regierung wird dann noch wagen, bestimmte politische Maßnahmen zu ergreifen?

b) Ein weiterer Bereich, der Künstlerinnen, Künstler und in der Kultur Arbeitende existenziell beschäftigt, ist die dringend notwendige vollständige Bereichsausnahme für den Kultursektor. Ohne hier auf alle Kultur- und Medienbereiche des geplanten Abkommens eingehen zu können, möchte ich mit aller Dringlichkeit für Ausnahmeregelungen werben. Gelingen sie nicht, sind beispielsweise die mühsam erstrittenen Vergütungsregeln im Urheberrecht in Gefahr, ebenso die Buchpreisbindung und damit eine vielschichtige Verlags- und Buchhandelslandschaft, die unterschiedlichen Formen der Kulturförderung, die öffentlich finanzierte Kulturlandschaft, bestehend aus Museen, Theatern, Orchestern und Bibliotheken. Es geht auch um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um privaten Rundfunk, um die Musikwirtschaft sowie um den wachsenden Markt der E-Books.

Diskutiert wird, sogenannte Negativlisten zu formulieren, in denen festgelegt wird, welche Sektoren vom Abkommen nicht erfasst werden können. Aber weder Negativlisten noch Positivlisten weisen in die Zukunft. Das Vertragswerk, so es nicht ausgesetzt wird, muss die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt in Europa verankern. Die UNESCO-Konvention, die bindendes Völkerrecht ist, muss dem Abkommen zugrunde gelegt werden.

Mit welchen kulturpolitischen Maßnahmen sind Sie bereits zufrieden? Wo gibt es noch Ausbaubedarf?

Seit 2011 ist die Kulturpolitik Bestandteil der auswärtigen Politik der EU. Sie bietet in dieser Form Parteien die Chance, mit Drittstaaten in einen Dialog zu treten, um kulturelle Standards und Forderungen auszutauschen. Das neue EU-Kulturförderprogramm „Kreatives Europa“ ist seit fünf Monaten in Kraft. Bis jetzt sind seine Chancen und Wirkungsmöglichkeiten kaum erkennbar.

Wofür würden Sie sich einsetzen, wären Sie Mitglied des Europäischen Parlaments?

  • Für eine enge Vernetzung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) mit der Kultur- und Bildungspolitik des Inlandes.
  • Lippenbekenntnisse zur Kulturellen Bildung aus den Sonntagsreden zu verbannen und die Bereitschaft zu schärfen für eine intensive, kontinuierliche Einbindung künstlerischer Formen und Angebote in schulische Bildung, d.h. Kulturelle Bildung als ein unerlässliches, finanziell zu unterstützendes Bindeglied zwischen Kunst und den formalen Bildungsangeboten diesen gleichzusetzen und als entscheidenden Impulsgeber zu werten.
  • Für die Durchsetzung der in Frage 2 formulierten vollständigen Bereichsausnahme für den Kultursektor.

Foto: © carolinchen123: „Bücher, die berühren“, http://www.jugendfotos.de/media/104164-b-cher-die-ber-hren-. CC BY-NC 3.0-Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/deed.de

Ihr Kommentar
  • Am 24. Mai 2014 um 22:49, von  Uwe Friesel Als Antwort „Lippenbekenntnisse zur Kulturellen Bildung aus den Sonntagsreden verbannen“

    Wenn die kulturelle Vielfalt Europas, unser wirklicher Reichtum und unsere wirkliche Stärke, nicht besser verteidigt wird, haben wir schon verloren. Es scheint so, als ob sogenannte Real-Politiker wie Angela Merkel gar nicht wissen, was das ist. Vor lauter Globalisierung vergessen sie die eigene Identität.

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