Essay: Wie eine Schülerin Klimaschutz wieder zum wichtigsten Thema macht

Make the world Greta again

, von  Carlotta Grünjes

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Make the world Greta again
Weltweit streiken junge Menschen für besseren Klimaschutz wie diese Anhängerin von Greenpeace Polen.
Foto: Flickr / Greenpeace Polska / CC BY-ND 2.0

Im August 2018 endeten in Schweden die Sommerferien, doch Greta Thunberg ging am ersten Montag des Schuljahres nicht wie andere Schüler*innen in die Schule. Stattdessen stellte sie sich mit einem selbstgemalten Schild in Stockholm vor das schwedische Parlament. „Skolstrejk för klimatet“ stand darauf: Schulstreik für das Klima. In ihrem Essay arbeitet Carlotta Grünjes die Geschehnisse der letzten Monate auf und schaut sich die Kritik an Greta genauer an.

Zunächst wollte sie bis zu den schwedischen Parlamentswahlen im September nicht in die Schule gehen, da sie fandt, dass in den Wahlkampagnen das Thema Klimawandel und die Maßnahmen, die die einzelnen Parteien dagegen unternehmen möchten, zu kurz kamen. Greta saß allein dort, Tag für Tag, bekam schnell viel Aufmerksamkeit und jetzt setzte europaweit Proteste in Gang. Doch hat sie auch Auswirkung auf die Politik? Oder demonstrieren die Jugendlichen ohne Aussicht auf Erhörung?

2015: Klimagipfel in Paris

2015 beschlossen die UN-Staaten auf dem Klimagipfel in Paris, dass alle daran arbeiten werden, dass die durchschnittliche Temperatur auf der Erde im Vergleich zu vorindustrieller Zeit nicht um mehr als 1,5 Grad Celsius ansteigen würde. Gretas Heimatland, Schweden, ist nicht auf einem guten Weg diese Auflagen zu erfüllen. Und das obwohl, wie Greta sagt, Schweden ein reiches und fortschrittliches Land ist, das propagiert umweltfreundlich, nachhaltig und grün zu sein. Deswegen will sie nun, auch über die Parlamentswahlen hinaus, streiken und jeden Freitag die Schule schwänzen - bis Schweden das Klimaziel erreicht hat.

Schweden ist nicht das einzige Land, das bei den Auflagen hinterherhinkt. Auch in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Klimaziele erfüllt werden eher gering - besonders nach den neuen Beschlüssen der Kohlepolitik. Als das Klimaabkommen 2015 in Paris unterzeichnet wurde, waren die die Staaten der Erde auf einem Kurs, nach dem die Durchschnittstemperatur um 2,8 Grad Celsius verglichen zu vorindustrieller Zeit ansteigen würde. In Paris wurde ebenfalls beschlossen, dass alle fünf Jahre überprüft werden sollte, welche Maßnahmen die einzelnen Staaten ergreifen, um die Klimaziele zu erreichen und voranzutreiben und wie erfolgreich sie dabei sind, diese umzusetzen.

Sommer 2018: Gretas Schulstreik

Über Zeitungen und soziale Medien verbreitet sich die Nachricht von der streikenden Schülerin aus Schweden schnell in ganz Europa. Ebenso schnell wie ihre Bekanntheit wächst Gretas Popularität. Bereits im November darf sie in Stockholm einen TEDX-Talk halten, mit gerade einmal 15 Jahren. Sie erzählt, wie sie mit acht Jahren von der Erderwärmung und dem Klimawandel erfahren hat und wie es für sie völlig unverständlich ist, dass nicht jeden Tag darüber gesprochen und daran gearbeitet wird, dass diese Krise gelöst wird. Sie erzählt, wie Erwachsene zu ihr kommen und lächelnd sagen, sie solle doch besser wieder in die Schule gehen und dann später studieren und Klimaforscherin werden, um so das Klima zu retten. Doch die Lösungen seien schon gefunden, prangert Greta an, sie würden nur nicht umgesetzt.

Wofür, fragt sie, sollen Jugendliche noch zur Schule gehen und für eine Zukunft lernen, die vielleicht nie kommen wird. Am eindrucksvollsten ist ihre Feststellung, dass Politiker*innen, die meistens schon über 50 Jahre alt sind, über ihre Zukunft entscheiden, an der diese selbst nicht teilhaben werden. „Wenn ich 100 Jahre alt werde, bin ich noch im Jahr 2103 am Leben. Die Klimaziele reichen meistens nur bis ins Jahr 2050. Mit etwas Glück habe ich da noch nicht mal die Hälfte meines Lebens gelebt“. In anderen europäischen Ländern folgen erste Schüler*innengruppen Gretas Vorbild. In den Niederlanden und Deutschland finden erste Schulstreiks schon im September statt, im Oktober und November ziehen andere Länder wie Belgien, die Schweiz, England und Finnland nach.

Winter 2018: Fridays for Future

In Deutschland nennt sich die Bewegung Fridays for Future und unterteilt sich in regionale Ortgruppen, die sich autonom mithilfe von WhatsApp-Gruppen verständigen und ihre Botschaften über soziale Medien und Flugzettel verbreiten. Im Februar 2019 verzeichnen Fridays for Future bereits über 155 Ortgruppen innerhalb Deutschlands. Gegenwind erhalten sie zumeist von konservativen Politiker*innen, die finden, dass die Jugendlichen fahrlässig die Schulpflicht missachten. Die Schulen werden aufgefordert, das Fehlen der Schüler*innen für Umweltdemonstrationen nicht zu entschuldigen und die Fehlzeiten auf den Zeugnissen zu vermerken. Aber, werden die Stimmen der Jugendlichen laut, worauf könnten sie in ihren Zeugnissen stolzer sein, als wenn es bezeugt, dass sie sich gegen die Klimapolitik und für die Umwelt eingesetzt haben?

Die Regierungen in den einzelnen Bundesländern handhaben die Situation unterschiedlich streng. Letztendlich hängt es von den Schulen ab, wie hart sie die Schulschwänzer*innen bestrafen und ob sie das Fehlen entschuldigen.

Dezember 2018: UN-Klimakonferenz in Katowice

Im Dezember 2018 fandt die 24. UN-Klimakonferenz in Katowice in Polen statt. Die ersten Überprüfungen der von den Staaten ergriffenen Maßnahmen, um das Klimaabkommen von Paris einzuhalten, fanden bereits hier statt. In Katowice wurden die Maßnahmen außerdem noch einmal verschärft: Ab 2020 müssen alle Staaten, die das Abkommen unterzeichnet haben, ihre ergriffenen Maßnahmen zur Verringerung der von ihnen ausgestoßenen Treibhausgase sowie ihre tatsächlichen Emissionen genau protokollieren und berichten. Ebenfalls offengelegt werden müssen die Methoden, mit denen die Emissionen gemessen wurden.

Alle fünf Jahre soll eine Klimabilanz gezogen werden, um abschätzen zu können, wie effektiv die getroffenen Maßnahmen sind. Die Finanzmittel, die die Staaten in ihre Klimapolitik investieren, sollen bis 2025 auch aufgestockt werden. Die Staaten, die sich an die Auflagen nicht halten oder zu wenig und zu wenig effektiv umsetzen, sollen von der UN Veröffentlicht werden, nach dem „Naming and Shaming“-Prinzip: Da die UN keine wirklichen Sanktionen ergreifen kann, ist dieses Verfahren das, was in der Vergangenheit am wirkungsvollsten war.

Greta reiste ebenfalls nach Katowice - mit dem Elektroauto und ihrem Vater. All die Beschlüsse fand Greta zu vage und zu weit in der Zukunft. In ihrer Rede, in der sie den Politiker*innen vorwarf, sich der Realität nicht stellen zu wollen, um sich nicht unbeliebt zu machen, sagte sie: „Es ist mir egal, ob ich beliebt bin. Ich will Gerechtigkeit in der Klimafrage und einen Planeten, auf dem wir leben können.“ Sie will, dass alle endlich aufhören, die Wahrheit zu verschleiern und anfangen zu handeln, besonders, wenn man die Macht hat und den Reichtum. Greta betont, der Klimawandel trage sich hauptsächlich auf den Schultern der armen Länder der Welt aus. Sie sagt auch: „ihr sagt immer, ihr liebt eure Kinder mehr als alles andere auf der Welt. Und trotzdem stehlt ihr ihnen die Zukunft, direkt vor ihren Augen.“

Dezember 2018: Verbot von Einwegplastik

Ebenfalls im Dezember verbietet die EU die Produktion und den Gebrauch von Einwegplastik. Das beinhaltet Gegenstände wie Strohhalme und Wattestäbchen. Vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber noch immer ist lächerlich viel im alltäglichen Leben in Plastik verpackt: Gemüse und Obst, Nudelverpackungen, sämtliche Hygieneartikel zum Beispiel. Es ist schwierig, ohne Plastik auszukommen, selbst wenn man bewusst darauf achtet, den eigenen Plastikkonsum gering zu halten.

Dadurch, dass in den vergangenen Jahren in Deutschland einiges an Plastik, das vorher selbstverständlich war, weggefallen ist, wie beispielsweise die kostenlosen Einwegplastiktüten in der Drogerie, entsteht der Eindruck, dass wir hierzulande auf einem guten Weg, eventuell sogar progressiv seien. Die Statistiken sagen jedoch etwas anderes. Der Plastikverbrauch pro Tag und Person liegt in Deutschland bei durchschnittlich einem halben Kilo, der Jahresverbrauch an Plastik insgesamt beträgt 14,8 Millionen Tonnen. Damit landet Deutschland auf Platz drei, hinter den USA und China. Ein ernüchterndes Bild.

Januar 2019: Weltwirtschaftsforum in Davos

Im Januar 2019 trafen sich Politiker*innen, Forscher*innen und Klimaaktivist*innen in Davos zum Weltwirtschaftsforum. Dort geht es nicht allein um den Klimawandel wie in Katowice, sondern um einen Austausch hochrangiger Regierungsvertreter*innen, Forscher*innen und Wirtschaftler*innen. Wichtige Gespräche fanden nicht nur in den offiziellen Podiumsdiskussionen und Meetings statt, sondern auch zwischen den Programmen, quasi „auf dem Flur“. Laut Presse und dem offiziellen Programm war dieses Jahr das Hauptthema aller der Brexit - und das obwohl das Weltwirtschaftsforum in seinem kurz vor dem Treffen in Davos veröffentlichten Risikobericht den Klimawandel als eines der fünf größten Probleme unserer Zeit deklariert hatte. Auch Greta Thunberg reiste erneut an, rund 65 Stunden mit dem Zug. Sie ist mal wieder die einzige: Nie zuvor reisten so viele Teilnehmer*innen mit einem Privatjet nach Davos wie dieses Jahr.

An die Erwachsenen, die sich, wie sie sagt, gerne Erfolgsgeschichten aus ihrem politischen Leben erzählen, richtet sie einen eindringlichen Appell: In der Klimapolitik hätten alle versagt und deswegen möchte sie, „dass ihr, die anwesenden und abwesenden Machthaber der Welt, handelt, als befänden wir uns in einer Krise. Denn das tun wir. Und ich möchte, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn das tut es“.

Abgesehen von Greta sprechen in Davos wenige vom Klima. Betont wird, dass vor allem die deutsche Automobilbranche unter den neuen Abgas- und Verbrauchsstandards leide und die Produktion sich nur langsam normalisiere. Greta ist also umgeben von Menschen, die Umweltschutz als schädlich für Ihr Geschäft erachten.

Februar 2019: Kohleausstieg beschlossen

Im Februar wurde in Deutschland über den Kohleausstieg entschieden. Genauer: wann er stattfinden soll. Die immer größer gewordene Aktion „Fridays for Future“, organisiert in erster Linie von Schüler*innen und Student*innen, forderte in einem offenen Brief den Kohleausstieg ab 2020. Nur durch einen schnellen Braunkohleausstieg seien die Klimaziele Deutschlands für 2020 und 2030 noch einzuhalten: „Es wird in Deutschland voraussichtlich keine vergleichbare Chance mehr geben, einen so weitreichenden Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.“

Außerdem versammelten sich mehr als 10 000 Jugendliche am 25. Januar in Berlin vor dem Ministerium für Wirtschaft und Energie um für einen schnellen Kohleausstieg zu demonstrieren. Sie sind dort, sie sind laut und sie lassen den Energie- und Wirtschaftsminister Peter Altmaier nicht zu Wort kommen, der sichtlich überfordert ist.

Allerdings wurden sie vom Ergebnis der Kohlekommission bitter enttäuscht: Deutschland beschloss den Kohleausstieg ab dem Jahr 2038. So wird das Klimaziel, die Erdtemperatur nur um 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen, hierzulande definitiv nicht eingehalten. Außerdem sicherte die Kommission nicht zu, dass alle Dörfer erhalten bleiben, und setzte nur ein sehr langsames Ausstiegstempo ab 2022 als Ziel. Die Demonstrant*innen kündigten an, ebenso wie Greta, jede Woche weiter zu streiken, bis sich etwas tut. „Wenn es sein muss, auch noch an 991 Freitagen bis zum Kohleausstieg".

Politiker*innen und besorgte Erwachsene reagierten wie erwartet: Sie baten die Jugendlichen nach der Schule und am Wochenende zu streiken. Ihr Punkt sei doch nun klar und bei der älteren Generation angekommen. Warum sich die Zukunft durch Fernbleiben aus der Schule verbauen? Andere Stimmen unterstellten den Jugendlichen und Greta sich gar nicht wirklich für das Klima und realistische Politik zu interessieren. Eigentlich, so behaupten einige, schieben die Jugendlichen nur das Klima vor, um die Schule zu schwänzen. Und Greta stifte sie dazu an.

Greta wird scharf kritisiert - vor allem im Netz

Allgemein fällt auf, dass die Kritik, der sich Greta besonders im Netz stellen muss, selten inhaltlich bezogen auf ihre Forderungen ist. Da ihre Aussagen bezüglich des Klimas schwer zu dementieren sind, sehen wohl einige Politiker*innen und Unternehmer*innen keinen anderen Weg, als Greta als Person anzuzweifeln. Sie bezweifeln, dass ein gerade sechzehn gewordenes Mädchen so wortgewandte Reden schreiben kann, wie Greta es tut. Sie werfen ihr vor, von ihren Eltern für deren Vorteile instrumentalisiert zu werden. Sie behaupten, dadurch dass Greta das Asperger-Syndrom, eine milde Form des Autismus, hat, sei sie nicht fähig, die Lage um das Klima, die Politik und die Wirtschaft zu begreifen und anzuprangern.

Diese Reaktionen zeigen nur umso besser, wie Recht Greta hat, den Entscheider*innen in unserer Welt Versagen vorzuwerfen: Wer sich als erwachsener Mensch dazu getrieben fühlt eine 16-jährige persönlich anzugreifen, ohne ihr inhaltliche Fehler oder Unlogik vorwerfen zu können, sollte hinterfragt werden. Und zwar nicht nur von Jugendlichen, sondern von allen. Denn wenn wir ehrlich wären, dann wüsste jede*r, dass es unser geringstes Problem ist, wenn Jugendliche freitags die Schule schwänzen.

Greta ist in dieser Bewegung nicht nur Vorreiterin, sondern Schlüsselfigur geworden. Und das macht sie so wichtig. Es hilft den Jugendlichen zu sehen, dass Greta mit ihren Forderungen auf wichtige politische Treffen eingeladen wird und dass ihre Stimme eine Plattform findet. Die jüngsten Jugendproteste in Deutschland zu anderen Themen, wie die Demonstrationen im Hambacher Forst, die dazu beigetragen haben, dass die Rodung des Forstes nicht in der ursprünglich geplanten Form stattfindet, gibt den Jugendlichen ebenfalls Hoffnung. Hoffnung und Optimismus, dass sie, obwohl sie teilweise noch zu jung sind, um wählen zu dürfen, etwas ändern und bewegen können.

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