Es wird Reformen geben - wie üblich
Wahrscheinlich werden sich nicht viele Wähler durch die langen und wortreichen Wahlprogramme kämpfen, obwohl diese die Grundlage jeder Partei sind. Wichtig sind die Ansichten der Kandidaten. Martin Schulz möchte als ehemaliger Bürgermeister von Würselen den Fokus auf die lokale Ebene Europas legen. Er unterstützt lieber regionale Regierungen als ständig über die zentralen Fragen zu brüten. Deswegen fordert er eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte für die Bürger und eine Neuverteilung der Macht zwischen den europäischen Organen. So großzügig und verlockend das klingen mag: man kommt nicht umhin, Schulz zu unterstellen, inhaltslose Worthülsen zu verbreiten, die uns an die Wahlurnen locken sollen.
Als ein waschechter Sozialist verspricht Martin Schulz, die Arbeitslosigkeit in Europa mit entschiedenen Maßnahmen anzugehen. Gleichzeitig fordert er die Eindämmung zu hoher Konzerneinnahmen durch eine angemessene Besteuerung. Anders als Angela Merkel möchte er keine weiteren Sparauflagen für angeschlagene Mitgliedsstaaten. Doch die Frage ist: Was sind die Alternativen? Schulz scheint dazu während des Wahlkampfs absichtlich zu schweigen. Wie bereits die Süddeutsche Zeitung feststellte, kann der Wettstreit um die Wählergunst zwischen dem Sozialisten und Jean-Claude Juncker schwerlich so weitergehen. Beide klammern die wichtigen und großen Themen praktisch aus, wie das TV-Duell auf France24 zeigte. Außerdem sind ihre Ansichten zu fast allen Themen identisch. Die Einigkeit der zwei Spitzenkandidaten geht so weit, dass der Moderator des TV-Duells nicht umhin kam, zu fragen: „Was unterscheidet sie nun voneinander?” In anderen Interviews versucht Schulz den Wählern zu versichern, dass er ein und zugleich kein Föderalist sei. Es ist schwer, beim sozialistischen Spitzenkandidaten die wahren Absichten herauszufiltern.
Freundliche Kollegen oder verschworene Feinde?
Was sich ebenso schädlich für das Image Martin Schulz erweisen könnte, ist dessen schlechter Ruf unter einigen Europäischen Parlamentariern. Sie nehmen ihm die Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten übel. Unterstellt wird ihm, dass er seine Kompetenzen für Wahlkampfzwecke ausnutze und als Parlamentspräsident nicht mehr politisch neutral auftreten würde. Er sei außerdem zu nachsichtig in vielen politischen Fragen und habe zu wenig Erfahrung für das Amt des Kommissionspräsidenten. Juncker hingegen kann auf eine lange Zeit als europäische Führungsperson zurückblicken.
Um noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, wird in den europäischen Medien immer wieder der Unwille Angela Merkels thematisiert, Martin Schulz zum Kommissionspräsidenten zu ernennen. Die Wahrheit ist: Um Einigkeit zu erzielen, können wir nicht denjenigen wählen, der so viele Kontroversen provoziert. Im Falle Martin Schulz hängt die Wahlentscheidung nicht von der Frage der richtigen Ideologie ab, die in vielen Bereichen eh mit der Jean-Claude Junckers übereinstimmt. Entscheidend ist vielmehr das Vertrauen, welches ein Kandidat genießt. Er muss andere davon überzeugen können, dass er der „Auserwählte” ist. Es ist kein Geheimnis, dass Politiker, die sich gegenseitig respektieren, schneller Kompromisse schließen - gerade über Parteigrenzen hinweg. Europa braucht einen anderen Kommissionspräsidenten als Schulz, um geeint auftreten zu können.
Was spricht für Martin Schulz als Kommissionspräsident? Auf OneEurope könnt ihr eine andere Meinung über den sozialistischen Spitzenkandidaten auf Englisch lesen - und morgen dann auf Deutsch bei treffpunkteuropa.de.
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