Angela Merkel besucht in dieser Woche, in Vorbereitung auf den informellen EU-Gipfel in Bratislava am 16. September, gleich drei sogenannte „neue EU-Mitgliedsstaaten“: Estland, Tschechien und Polen. In Warschau nimmt sie heute an einem Treffen mit den Regierungschefs der vier Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei teil. Es ist wichtig, dass die deutsche Kanzlerin auf Staaten zugeht, die sich innerhalb der EU oft übergangen oder zu unpopulären Maßnahmen - Stichwort Flüchtlingsquote - gezwungen fühlen.
In allen vier Visegrád-Staaten breitet sich momentan eine bedenkliche Form des Populismus aus - der nicht, wie in Deutschland, durch die Ankunft tausender Flüchtlinge oder terroristische Attentate erklärt werden kann. Wenn dieser Populismus nicht eingedämmt wird, dann wird er für den Zusammenhalt in der EU mindestens so gefährlich wie der Brexit oder die Eurokrise, wie es die unselige Diskussion um die Flüchtlingsquote bestens demonstriert hat.
In Prag wurde Merkel nicht nur mit offenen Armen empfangen. Die Organisation „Blok proti islamizaci“ (BPI, Block gegen die Islamisierung) rief bereits am Dienstag auf Facebook zu einer Demonstration gegen Angela Merkel auf der Prager Burg auf. Das Motto: „Prag gehört uns“. Auf der Website des BPI macht Miroslav Lidinský, Vorsitzender der fremdenfeindlichen tschechischen Partei „Úsvit“, Merkel dafür verantwortlich, dass „Europa die Grenzen noch nicht geschlossen und es nicht geschafft hat, Europas Bürger vor der Islamisierung zu retten.“ Selbstverständlich sind diese Organisationen und Parteien nicht repräsentativ für die ganze tschechische Gesellschaft.
Dennoch erregen in dem kleinen EU-Mitgliedsland immer wieder islamfeindliche Parolen Aufsehen, nicht zuletzt unterstützt vom tschechischen Präsidenten Miloš Zeman. Dieser rief unter anderem Anfang August das tschechische Parlament dazu auf, EU-Flüchtlingsquoten im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens zu ignorieren. Auch Finanzminister Andrej Babiš, der von vielen bereits als nächster Premierminister gehandelt wird, bezweifelte bereits öffentlich, ob Asylbewerber sich in die tschechische Gesellschaft integrieren ließen. Dunkelhäutige Bekannte von mir berichten, dass sie auf den Straßen Prags regelmäßig angepöbelt werden und dazu aufgefordert werden, in ihr Land zurückzukehren.
Am Sonntag vergangener Woche, mit dem 21. August der Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, ereignete sich in Prag der vorläufige Höhepunkt antiislamisch motivierter Hasstiraden. Tschechische Islamgegner fingierten auf dem Altstädter Ring in Prag mit langen Bärten und in Camouflage verkleidet einen Aufmarsch der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Dabei riefen sie „Allahu akbar“ und schossen mit falschen Kalaschnikows in die Luft. Die „Satireaktion“, die man nur als besonders schlechten Scherz verstehen kann, war von der Prager Stadtregierung genehmigt. Erst kurz bevor die Gruppe sich anschickte, eine öffentliche Enthauptung zu inszenieren, wurde sie von der Polizei unterbrochen. Die tschechische Zeitschrift Respekt kritisierte am Montag die Stadtregierung und die Prager Polizei scharf dafür, dass sie das „Fiasko“ am Sonntag auf dem Altstädterring zugelassen hätten.
Hinter der Aktion steht die Gruppe „Initiative Martin Konvičkas“ des Antiislam-Hetzers Martin Konvička, der hauptberuflich an der Südböhmischen Universität in Budweis Vorlesungen über Schmetterlinge hält. Mit ihm gemeinsam trat auch schon Staatspräsident Miloš Zeman auf - vergangenen November, bei einer Antiislam-Kundgebung im Prager Stadtteil Albertov. Das Gespräch von Angela Merkel am Donnerstag mit Miloš Zeman dürfte also interessant verlaufen sein.
Die EU kann nur von allen Mitgliedsstaaten gemeinsam voran gebracht werden. Angela Merkels Reise ist daher ein wichtiges Signal dafür, dass auch die Bedürfnisse der neuen EU-Länder berücksichtigt werden. Noch wichtiger aber ist es für die Bürger der EU-Länder, sich auf ihre Verantwortung für ein freies, tolerantes Europa zu besinnen. Vielleicht hilft es, sich dabei an den tschechischen Dissidenten, Präsidenten und Bürgerrechtler Vaclav Havel zu erinnern. Dieser sagte 1996 in einem Interview mit der kanadischen Zeitung „Globe and Mail“: „Die Europäische Union ist eine große historische Chance für einen Kontinent, dessen politische Ordnung immer darauf begründet war, dass die Großen und Mächtigen entschieden, wie was sein wird, und die Kleinen sich damit abfinden mussten. Die Möglichkeit, dass [Europa] ein politisch integrierter Körper wird, aufbauend auf enger, friedlicher Kooperation, sollte nicht zunichte gemacht werden. Dies ist eine Aufgabe für ganz Europa.“
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