Nach sechzehn Stunden endlich ein Hoffnungsschimmer im Ukraine-Konflikt. Am Mittwochabend kamen der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, der russische Präsident Wladimir Putin, der französische Präsident François Hollande und die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Minsk zusammen, um einen Beschluss über die Waffenruhe in der Ostukraine zu erzielen. Die Verhandlungen waren zäh und zogen sich bis zum nächsten Morgen. Am Ende dann der Erfolg: eine Friedensvereinbarung. Doch ob die Waffenruhe eintreten wird, ist ungewiss, sogar unwahrscheinlich.
Alle gewinnen, alle verlieren?
Wenn mit diesen Verhandlungen wirklich einen Kompromiss zwischen allen Beteiligten angestrebt werden sollte, dann scheint das Dokument - das Minsker Abkommen - nicht die schlechteste aller Lösungen zu sein. Der Frage nach Schuldigen und Verantwortlichen des Konfliktes wird damit zwar kaum Rechnung getragen, jedoch erscheint es höchst fraglich, ob man angesichts der bestehenden „verschiedenen Narrative“ einen solchen Ansatz realpolitisch überhaupt anpeilen könnte. Verhandelt haben die vier Staatschefs zwar hinter verschlossenen Türen, doch es fällt nicht schwer zu deuten, wer welche Forderungen erzielen konnte und wer einstecken musste. François Hollande und Angela Merkel mussten große Überzeugungsarbeit leisten, um den ukrainischen Präsidenten von den hohen Kompromissen zu überzeugen. In seinen Grundsätzen ähnelt das Dokument zunächst den Vereinbarungen vom September letzten Jahres, die nicht mal annähernd durchgesetzt werden konnten. Doch ein genauerer Blick auf die Details lässt hoffen auf einen anderen, einen besseren Ausgang dieser Verhandlungen.
Kein Föderalismus für die Ukraine
Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen sind die vereinbarte Waffenruhe zum Sonntag, 15. Februar, ab Mitternacht Kiewer Zeit sowie die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone und der Rückzug schwerer Artillerie aus der Ostukraine. Ein Zugeständnis an die Ukraine ist, dass ihre territoriale Integrität bewahrt werden soll. Von einer Föderalisierung kann also keine Rede sein, und alle ausländischen und illegalen Truppen sollen das Staatsgebiet räumen. Anders als bei den ersten Verhandlungen, wurde diese Vereinbarung -nach erheblichem Druck seitens Putins - auch von den Separatistenführern unterzeichnet. Von Bedeutung ist zudem, dass die Ukraine wieder die vollständige Kontrolle über ihre Grenzen zu Russland erhält. In den letzten Monaten kontrollierten die Separatisten die Grenzübergänge.
Verfassungsänderung für die Rebellen
Doch auch die Kontrahenten Poroschenkos gingen nicht leer aus. Die gravierendste Errungenschaft Putins in diesen Verhandlungen wird die Verfassungsänderung der Ukraine sein, welche bestimmte autonome Rechte der Gebiete Donezk und Lugansk festschreibt und deren Durchsetzung garantieren soll. Schließlich soll es eine Aufhebung der Wirtschaftsblockade geben, welche Kiew über die Ostukraine verhängt hat. Gleichzeitig wurde die Wiederaufnahme von Sozialleistungen beschlossen. Die Region befindet sich momentan am Rande einer humanitären Katastrophe. Vor allem in diesem Punkt haben die Bundeskanzlerin und der französische Präsident ihre Unterstützung zugesichert. Im Interesse beider Parteien lag wiederum der beschlossene Austausch von Gefangenen nach dem Prinzip „alle gegen alle“.
Ein Frieden, an den niemand glaubt?
An wen diese Runde im Tauziehen um Frieden, Werte, Einfluss und die Ukraine geht ist somit schwer zu sagen: der Ukraine wird ihre territoriale Souveränität garantiert, die Separatisten erhalten gewisse Autonomierechte, Putin verliert sein Gesicht nicht vollends, kann sich am Ende sogar als einer der Friedensstifter präsentieren, und Europa kann eine militärische Einmischung der USA verhindern, wobei auch ein mögliches Freihandelsabkommen mit der Ukraine deutlich näher rückt.
Dennoch kann bisher von keiner Friedenseuphorie gesprochen werden. Die Pressereaktionen auf beiden Seiten des Konfliktes fallen negativ aus, jeder scheint sich als Verlierer zu sehen: Ukrainer, Separatisten wie Russen gleichermaßen. Selbst die westlichen Politiker bringen ihre Zweifel deutlich zum Ausdruck. „Wir haben keine Illusionen“, so Angela Merkel, es sei „ein Hoffnungsschimmer, nicht mehr und nicht weniger“. So mag wohl einer der größten Schwachpunkte des Dokumentes darin liegen, dass keine der beteiligten Parteien wirklich von seiner Durchsetzbarkeit überzeugt ist. Zu tief sitzt die Wunde der enttäuschten Hoffnungen vom September letzten Jahres. Tatsächlich ist die Lage vor der Waffenruhe heikel in der Ostukraine. Diese ist zu einem beachtlichen Teil vom Gutdünken der Verantwortlichen an der Frontlinie abhängig. Noch flauen die Kämpfe nicht ab. Es bleibt der Sonntag abzuwarten, ob es die kämpfenden Parteien satt haben ein Spiel zu spielen, bei dem man nur noch verlieren kann.
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