NACHRUF: HELMUT KOHL, ARCHITEKT VON EUROPA

, von  Willem Van Boxtel

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NACHRUF: HELMUT KOHL, ARCHITEKT VON EUROPA

Deutsche Titelseiten sind voll mit Rezeptionen für den verstorbenen Bundeskanzler Helmut Kohl. Wie wird sein Ableben in Europa gesehen? Wir haben den Beitrag unseres Autors Willem van Boxtel von der englischsprachigen Redaktion übersetzt.

Kohl stieg rasch durch die Reihen der westdeutschen christdemokratischen Partei, also der gleichen Gruppierung, der heute auch Angela Merkel angehört, und wurde 1982 zum Kanzler gewählt. Während seiner Amtszeit suchte er die Annäherung an Ostdeutschland. Diese Art von Ostpolitik war zuvor von den Christdemokraten abgelehnt worden. Er lud die ostdeutschen Regierungschefs zu Besuchen nach Bonn ein, reiste nach Moskau, um bei der russischen Führung für die deutsche Wiedervereinigung zu werben und schloss schließlich 1990 einen wirtschaftlichen und diplomatischen Vertrag mit der ostdeutschen Regierung, kurz nachdem die Berliner Mauer gefallen war.

Kohl fuhr dann fort, den russischen Staatschef Michail Gorbatschow zu überzeugen, die Masse der russischen Truppen, die in Ostdeutschland stationiert waren, abzuziehen. So wurde am 3. Oktober 1990 der deutsche Traum der Wiedervereinigung verwirklicht. Die Deutsche Demokratische Republik wurde aufgelöst und ihre fünf Bundesländer in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Deutschland war wieder eins. Kohls politischer Einfallsreichtum und manchmal auch rücksichtslose Durchtriebenheit hatten zu diesem Vorgang enorm beigetragen.

Kohl besiegte die Opposition zu einem vereinten Deutschland aus dem Ausland mithilfe des US-Präsidenten George Bush, den er später seinen „größten Verbündeten“ auf dem Weg zur deutschen Vereinigung nannte. Kohl belebte die ostdeutsche Wirtschaft neu. Dies geschah mit erheblichen Kosten für den westlichen Teil des Landes, der in den vierzig Jahren zuvor prosperiert hatte.

Und so wurde Deutschland wiedervereinigt, aber das war nur ein Teil der Vision, die Kohl hatte. Ein vereinigtes Deutschland war nach seiner Ansicht Teil eines Größeren, eines einheitlichen Kontinents. Kohl behauptete sehr enge Beziehungen zu den Franzosen, vor allem mit dem französischen Präsidenten Mitterand, mit dem er eine solide Basis für die Errichtung einer Kontinentalunion bildete. The Guardian schreibt: „Beide Männer erinnerten sich an die schlechten alten Zeiten. Beide meinten, dass Europa nur dann sicher und stabil wäre, wenn beide führenden Mächte in Europa und die traditionellen Antagonisten des Kontinents, Frankreich und Deutschland, im Tandem arbeiteten.“

Als Architekt des Maastricht-Vertrages von 1992 war Kohl - zumindest teilweise - für die Einführung des Euro und für die weitere Integration der europäischen Mitgliedsstaaten direkt verantwortlich. Dieser Vertrag konsolidierte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und verwandelte den Staatenbund in die Europäische Union. Von da an wurden weitere integrative Maßnahmen ergriffen.

Kohl war daher ein erstklassiger Architekt der europäischen Integration, und es ist nicht ohne Grund, dass er 1998 von verschiedenen europäischen Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rates ehrenbürgerliche Staatsbürgerschaft verliehen bekam. Jean-Claude Juncker, derzeitiger Präsident des Europäischen Parlaments Kommission, schlägt jetzt vor, dass für Kohl als Ehren-Europäer und als einen Hauptakteur der EU-Integration die erste offizielle europäische Staatsbeerdigung im Gedenken an den ehemaligen Bundeskanzler stattfinden sollte.

Das würde Kohls wertvolle Rolle sichtlich ehren und uns daran erinnern, wie die Handlungen einzelner Menschen einen großen Einfluss auf die Zukunft unseres vereinten Kontinents haben können.

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